#Interview

“Der Fußball ist besser als in Berlin oder Köln”

Seit etlichen Jahren digitalisiert Readbox die Buchbranche - und zwar von Dortmund aus. "Ich glaube, das Ruhrgebiet wird nach wie vor total unterschätzt. Hier schlummert ein riesiges Potenzial. Ein Riesen Ballungsraum mit allem, was das urbane Leben ausmacht: Kultur, Infrastruktur", sagt Gründer Ralf Biesemeier.
“Der Fußball ist besser als in Berlin oder Köln”
Freitag, 15. November 2019VonChristina Cassala

Dass Ralf Biesemeier irgendwann versuchen würde, die Buchbranche zu retten, hätte er sich als Schüler nicht vorstellen können. “Eigentlich bin ich überhaupt kein großartiger Leser“, sagt der Gründer von Readbox, einem Unternehmen, das seit 2008 Marketing- und Vertriebslösungen für Verlage und andere Anbieter bereitstellt. In der Vorstellung eines perfekten Urlaubstages im Liegestuhl kommt für ihn weder zwingend der Schmöker, der Krimi oder der Abenteuerroman vor.

“Wenn ich lese, dann eher fachbezogene Bücher“, sagt der Ruhrpreneur. Kein Bücherwurm zu sein, sei manchmal in seiner Branche sogar von Vorteil. „Die Buchbranche hat noch immer einen ideologischen Blick auf das Produkt, das sie verkauft. Mit dem Kulturwandel tut sie sich schwer.” Die ganze Geschichte von Readbox kann jeder in unserem Buch #EmscherEinhörner nachlesen. Im Ruhr-Interview mit deutsche-startups.de spricht Biesemeier nun einmal ausführlich über die Startup-Szene im Revier.

Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Ich glaube, das Ruhrgebiet wird nach wie vor total unterschätzt. Hier schlummert ein riesiges Potenzial. Ein Riesen Ballungsraum mit allem, was das urbane Leben ausmacht: Kultur, Infrastruktur. Und auch wegen der Geschichte des „Ruhrpotts“ eine offene Gesellschaft. Menschen aus 150 Nationen leben hier. – Das Ruhrgebiet ist Berlin in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich: Die Leute sind direkt und ehrlich, die Gegend besticht durch einen, sagen wir mal: authentischen Charme – nicht alles ist hübsch, und die Region leidet an chronischen Haushaltsdefiziten und hoher Arbeitslosigkeit. Arm, aber sexy, könnte man sagen. Der Industriewandel ist hier noch nicht durch, und gerade das bringt für Startups viele Chancen. Man hat hier sehr gute Startvoraussetzungen, eine vergleichsweise hohe Kaufkraft – vergleicht mal Immobilienpreise in Dortmund mit Köln! – und wirklich sehr schöne Ecken zum Leben. Ach ja, und der Fußball ist besser als in Berlin oder Köln. Ich bin seit 1994 im Ruhrgebiet, mit Unterbrechungen, aber mich hat es immer wieder hierher zurück gezogen.

Was genau macht den Reiz der Startup-Szene in Dortmund aus?
Ich würde, ehrlich gesagt, gar nicht so sehr unterscheiden zwischen den einzelnen Städten und Gemeinden des Ruhrgebiets. Ich mag es, die Region als die Metropole zu sehen, die sie eigentlich ist. Und ich glaube auch, dass es gut wäre, wenn in den Verwaltungen die Verteidigung der eigenen kleinen Königreiche fallengelassen würde, um gemeinsam für die gesamte Region mehr zu erreichen. Da hat das Ruhrgebiet mit seinen Städten und Gemeinden vielleicht ein ähnliches Problem wie Europa mit den vielen Mitgliedsstaaten. Über die „Startup-Szene“ kann ich eigentlich gar nicht viel sagen. Ich weiß nicht einmal, ob es eine „Szene“ als solche eigentlich gibt. Da hat sich seit unserer Gründung aber auch hoffentlich einiges getan. Mehr „Szene“ würde dem Ruhrgebiet sicher gut tun. Bevor wir Readbox 2008 gründeten, haben wir am start2grow-Gründungswettbewerb in Dortmund teilgenommen. Das war sehr wertvoll, und den Wettbewerb gibt es immer noch. Ein wirklich gutes Angebot der Wirtschaftsförderung Dortmund, weil man Zugang zu Wissen, Netzwerken, Kontakten und gutes Feedback zur eigenen Geschäftsidee bekommt. Als wir damals teilnahmen, waren aber viele der sich bewerbenden Teams nicht aus dem Ruhrgebiet, wenn ich mich recht erinnere. Das hat sich möglicherweise inzwischen geändert.

Was ist in Dortmund einfacher als im Rest der Republik?
Das ist so pauschal gar nicht zu beantworten, befürchte ich, und auch hier würde ich mich nicht auf Dortmund allein beziehen: Die Menschen hier sind offen, ehrlich und authentisch, das habe ich während Engagements zum Beispiel in Koblenz oder Stuttgart auch schon ganz anders erlebt. Authentizität steht jedenfalls auch auf meiner Liste ziemlich weit oben, und insofern fühle ich mich hier sehr wohl. Ich würde auch sagen, es ist grundsätzlich ziemlich unkompliziert hier – und die Currywurst hier ist eh besser als irgendwo anders.

Was fehlt in Dortmund bzw. im Ruhrgebiet noch?
In vielerlei Hinsicht verkauft sich das Ruhrgebiet als Metropole weit unter Wert. Vieles passiert in Köln und eben nicht hier. Und das, was hier passiert, bekommt manchmal über die Grenzen gar keiner so richtig mit: Schon mal bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen gewesen, bei einem der ältesten und größten Theaterfestivals Europas? Der Grimme-Preis wird übrigens jedes Jahr in Marl verliehen. In den Köpfen der Leute ist das Ruhrgebiet nicht präsent genug, und es steht auch für nichts. Ich habe die Erfahrung selbst gemacht: Als ich damals den Job gewechselt habe und von Koblenz nach Bochum gezogen bin, haben mich in der alten Firma alle für bekloppt erklärt, weil keiner verstehen konnte, wie man da freiwillig hinziehen kann – und Bochum ist die schönere Stadt, das weiß nur keiner.

Zum Schluss hast du drei Wünsche frei: Was wünscht du dir für den Startup-Standort Ruhrgebiet?
Erstens: mehr Zusammenarbeit der Städte für ein starkes, gemeinsames, positives Image als „die Metropole Ruhrgebiet“. Berlin hat nichts, was du nicht auch hier bekommen kannst. Zweitens: mehr und aktivere Unterstützung der kommunalen und wirtschaftlichen Infrastruktur für Startups und innovative Unternehmen insbesondere aus dem Software-/Technologiebereich. Da ist noch viel altes Industriedenken aufzubrechen. Gerade im Bereich der Finanzierungsmöglichkeiten hier in der Region gibt es noch viel Luft nach oben. Ein Startup aus Berlin hat sicher schon mal bessere Startvoraussetzungen, einfach weil es aus Berlin kommt. Klingt blöd, ist aber so. Und drittens: dass das Ruhrdeutsch nicht ausstirbt.

Der digitale Pott kocht – #Ruhrgebiet


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Foto (oben): Shutterstock

 

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.