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Hier kommt das Essen mit dem Fahrrad zum Kunden

Das Food-Startup Pottsalat beliefert Essen und Umgebung mit leckeren Salaten. In Sachen Marketing setzt das Team voll und ganz auf Facebook. Zum ersten Mal lieferte Pottsalat Anfang Januar 2017 aus. „An dem Morgen gab es Neuschnee“, erinnert sich Gründer Ben Küstner.
Hier kommt das Essen mit dem Fahrrad zum Kunden
Montag, 16. März 2020VonAlexander Hüsing

„Spargel Tarzan“, „Tofu Trulla“, „Curry Peitsche“. – Auf so klangvolle Namen hören die Salate von Pottsalat. In Sachen Marketing setzt das knackfrische Unternehmen – es bietet seine Speisen in keinem Restaurant an, sondern liefert sie in einigen Stadtteilen von Essen bzw. angrenzenden Stadtbezirken von Mülheim, Gelsenkirchen und Oberhausen aus – voll und ganz auf Facebook. Und das macht die Pottsalat-Crew extrem gut! Zwei Jahre nach dem Start lobte sogar die bekannte Facebook-Managerin Sheryl Sandberg die Werbeaktivitäten der Jungfirma, bei denen meist die appetitlichen Speisen im Vordergrund stehen. Ein medialer und unternehmerischer Ritterschlag für Ben Küstner, der das Startup 2016 gemeinsam mit seiner Freundin Pia Gerigk und Alexandra Künne auf die Beine gestellt hat.

„Wie Sheryl Sandberg auf uns aufmerksam geworden ist, weiß ich nicht. Fakt ist jedoch, dass Facebook – und später Instagram – seit dem ersten Tag unser Hauptmarketingkanal ist. Ich sehe häufig, dass am Anfang zu viele Kanäle gleichzeitig halbherzig angegangen werden, aber keiner wirklich richtig“, erzählt Pottsalat-Macher Küstner, der sich sein Marketing-Fachwissen über mehrere Jahre und verschiedene Angestelltenjobs, aber auch über mehrere eigene Unternehmungen Schritt für Schritt aufgebaut hat. Heute macht ihm auf Facebook in Sachen Anzeigen so schnell keiner was vor.

Der Marketing-Experte wurde 1984 in Berlin geboren, ist aber im Pott, in Gelsenkirchen, zur Schule gegangen. Sein Vater, gebürtiger Gelsenkirchener und jahrzehntelang bei RWE beschäftigt, führte die Familie, die Mutter ist Tierärztin, damals zurück in den Pott. Nach dem Abi studierte Küstner in Bochum Wirtschaftswissenschaften. Danach wollte er in der Digitalwelt durchstarten, zog 2012 deswegen nach Berlin. Zunächst arbeitet er für Found Fair, einen sogenannten Inkubator, der aus Ideen Unternehmen entwickelt. In dessen Auftrag wirkte er bei Returbo, einer Jungfirma, die Retouren, also die zurückgeschickten Waren von E-Commerce-Firmen, weiterverwertet. Dort stieg er schnell vom Praktikanten zum Verantwortlichen in Sachen Marketing auf und kümmerte sich letztendlich um alle Online-Marketing-Kanäle. Danach zog es Künstner 2013 nach Köln zu Sparhandy. Dort beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung und half dabei, dass der Mobilfunkvermittler bei Google und Co. gut gefunden wurde. Zwei Jahre pendelte er von Gelsenkirchen, wo der Ruhrpreneur während all der Jahre eine Wohnung als Basis behielt.

Gelsenkirchen spielt allgemein eine ganz wichtige Rolle im Leben von Küstner. Ebenso wie Schalke 04! Schon zu Uni-Zeiten veranstaltete er in der Fußball-Metropole gemeinsam
mit Florian Beisenbusch und Alexander Schlüter Partys und Events. Bang Bang Gelsen, der Startschuss fiel 2009, wurde schnell zum Geheimtipp. „Unsere ersten Partys habe ich noch über StudiVZ beworben“, erinnert sich Küstner. StudiVZ war zu dem Zeitpunkt das wichtigste soziale Netzwerk in Deutschland. Erst später lief Facebook dem deutschen Wettbewerber den Rang ab.

Als Event-Veranstalter erlebte Küstner viele Höhen, aber auch Tiefen. „Wir hatten ausverkaufte Events, volle Boote, gut besuchte Open-Air-Festivals, aber auch leere Hallen und abgesagte Termine – und dann halt diesen Sturm im Amphitheater.“ Im Jahre 2000 fegte ein Orkan eine geplante Veranstaltung im Amphitheater Gelsenkirchen mitten im Nordsternpark weg. Die Veranstaltung fiel ganz sprichwörtlich ins Wasser, es entstand ein Schaden – die gemietete Soundanlage wurde ein Opfer der Fluten – in Höhe von 120 000 Euro. In einer Blitzaktion versuchten die Revierler zu retten, was noch zu retten war. Zunächst sah es aber alles nicht gut aus. Nach einem Treffen mit zwielichtigen Vertretern aus der Unterwelt, die die BangBang-Macher aus dem Nachtleben aber zum Glück selbst kannten, folgte eine außergerichtliche Einigung. „Und so konnten wir unsere in den Brunnen gefallene Zukunft dann doch noch retten“, erinnert sich Küstner.

Als weitere Spielwiese von Bang Bang Gelsen entstand Ende 2014 mit Bang Bang Burgers & Beer ein stylisches Burger-Restaurant. Selbstverständlich in Gelsenkirchen, direkt in der Innenstadt. „Das mit den Burgern war eigentlich eine spontane Idee“, erzählt Küstner. Das BangBang-Trio übernahm sich dabei maßlos. Es waren mehr Umbaumaßnahmen notwendig als geplant, und auch der bürokratische Aufwand war viel höher als gedacht. Infolgedessen konnte der Burger-Laden, der in einem denkmalgeschützten Eckhaus aus dem Jahr 1928 residierte, erst zwei Monate später als geplant eröffnen. „Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Die Gründungskosten waren viel höher, als ursprünglich geplant. Am Eröffnungstag war unser Konto so gut wie leer.“

Anfangs war der Laden voll, dann aber ließ die Zahl der Besucher jeden Tag nach. Küstner und seine Mitstreiter analysierten den Markt und versuchten ihr Glück mit Anzeigen bei Facebook. Die erste Anzeige, die das Monatsangebot „Den Ernst Kuzorra seine Frau ihr Burger“ bewarb, wurde direkt ein Erfolg. Dafür wählten die Burger-Macher gezielt Schalke-Fans als Zielgruppe aus, welche die Werbebotschaft, die auf den legendären Gag „Den Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion“ anspielt, auch verstehen. Erste Kunden tauchten umgehend im Laden auf, weil sie die Anzeige auf Facebook gesehen hatten. Es folgten weitere Anzeigen, die noch besser angenommen wurden, und plötzlich war Bang Bang Burgers & Beer immer voll. Wie viele Kunden letztendlich tatsächlich in den Laden kamen, weil sie die Werbung gesehen hatten, war dennoch kaum überprüfbar. Am Ende stimmte aber die Kasse: Innerhalb von zwölf Monaten verkauften die Neu-Gastronomen 30000 Burger, setzen 500 000 Euro um.Dennoch stiegen Küstner und Mitstreiter Beisenbusch, inzwischen Rechtsanwalt in Gelsenkirchen, bei Bang Bang Burgers aus. „Wir mussten lernen, dass es mehr als Marketing braucht, um in der Gastronomie erfolgreich zu sein. Selbst wenn ein Laden immer bis auf den letzten Platz ausgebucht ist, muss das nicht heißen, dass er sofort profitabel ist“, sagt Küstner.

Nach dem Ausstieg formulierte der Seriengründer einen knallharten Entschluss: „Nie wieder Gastronomie!“ 2016 gründete er deswegen gemeinsam mit Jan Stranghöner in Köln die Agentur Social Marketing Nerds. Das Unternehmen beriet und schulte seine Kunden bei allen Marketing-Aktivitäten auf Facebook. Die Gastronomie ließ Küstner dennoch nicht los. Denn auch seine Freundin, die damals in der Modebranche tätig war, verspürte den Drang, sich selbstständig zu machen. Die treibende Kraft bei der Gründung von Pottsalat war somit Küstners Lebenspartnerin und spätere Mitgründerin Gerigk.

Aus der Idee zu einer Salatbar wurde Pottsalat. Anders als beim Burger-Laden sollte der Kunde nicht zum Essen, sondern das Essen zum Kunden kommen. Das Marketing würde – so viel war schon vor dem Start klar – nach den guten Erfahrungen mit dem Burger-Laden wieder vor allem über Facebook stattfinden. Küstner warf dabei sein ganzes Knowhow in die Waagschale, und Gerigk kümmerte sich im Pottsalat-Team besonders um die Personalführung. Und Mitstreiterin Künne wiederum achtete als Ernährungswissenschaftlerin darauf, dass die Salate möglichst vielen Menschen schmeckten.

In einer alten Pommesbude entstand die Küche, in der die Salate seitdem Tag für Tag hergestellt werden. Und die Stadt Essen wählte das Pottsalat-Team als Standort, weil sie in der Ruhrmetropole „viel Potenzial für ihr Modell sehen, insbesondere wegen der viele Büros in der Stadt“. Anfangs brachten vier Fahrer die Salate „auf klapprigen Bikes“ zu den Kunden. Die Auslieferung auf Fahrrädern, E-Bikes und E-Rollern gehöre dabei zum Konzept von Pottsalat. „Uns liegt die Nachhaltigkeit am Herzen. Deswegen die Auslieferung mit E-Bikes, die mit Ökostrom betrieben werden. Ein anderer Grund, warum wir uns für E-Bikes entschieden haben, ist die Effizienz. In der Großstadt geht es heute oft schneller und einfacher, mit dem Fahrrad auszuliefern als mit dem Auto“, sagt Küstner, der inzwischen auch in Essen wohnt.

Zum ersten Mal lieferte Pottsalat Anfang Januar 2017 aus. „An dem Morgen gab es Neuschnee“, erinnert sich Küstner. Und auch sonst waren die ersten Wochen nicht ganz einfach: „Alles, was man am Anfang nicht braucht, ist in den ersten Tagen passiert. So stand der Laden in den ersten Wochen zweimal unter Wasser.“ Auch als eines Morgens das schwere Rollgitter vor dem Eingang nicht mehr hochging und somit keiner in die Schaltzentrale der Firma kam, verfielen die Ruhrgründer nicht in Panik. Und so ging es anfangs munter weiter. Und nach zwei Monaten fiel auch noch die zuvor gebraucht gekaufte Spülmaschine aus. „Fast unser gesamtes Equipment hatten wir zu Beginn gebraucht gekauft.“

Nachdem sie bewiesen hatten, dass ihr Konzept funktioniert, gingen Küstner und Co. auf Kapitalsuche. Johannis Hatt und Kai Seefeldt, die mit Productsup schon selbst ein Unternehmen erfolgreich aufgebaut hatten, sowie der Ruhr:HUB-Geschäftsführer Oliver Weimann investierten Ende 2017 eine sechsstellige Summe in Pottsalat. Das Geld floss unter anderem in neues Küchen-Equiment undweitere Lieferfahrzeuge.

„Wir sind zu dritt gestartet und haben inzwischen über 40 Mitarbeiter. Am ersten Tag waren wir stolz, alle 50 Salate verkauft zu haben. Inzwischen verkaufen wir bis zu 500 Salate pro Tag“, sagt Küstner. Schritt für Schritt erweiterte das Unternehmen, das bereits profitabel arbeitet, dabei sein Liefergebiet. Das große Ziel ist es, irgendwann das ganze Ruhrgebiet und danach vielleicht die ganze Welt mit Salaten zu beliefen. Dafür soll es in naher Zukunft mehrere Lieferhubs, also Basisstationen von Pottsalat, in verschiedenen Städten geben. – Und nebenbei werden mit Bang Bang Gelsen weiter Partys veranstaltet. „Wir sorgen hier und da immer noch für Unruhe“, sagt Ben Künstner ganz, ganz ruhig.

Update: Seit Dezember 2019 ist Pottsalat aquch in Dortmund aktiv. “150 Salate und Bowls am ersten Tag zeigen, dass das Konzept der drei Pottsalat-Gründer Ben Küstner, Pia Gerigk und Alexandra Künne auch dort aufgeht”, teilt das Startup dazu mit. Um das weitere Wachstum in der Region stemmen zu können sucht die Jungfirma über die Crowdinvesting-Plattform WIWIN derzeit weitere 750.000 Euro. Im Herbst 2020 plant das Unternehmen eine neue Filiale in Bochum zu eröffnen. Darüber hinaus soll der Hauptsitz in Essen in größere Räume an einem neuen, geeigneteren Standort umziehen.

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Foto (oben): Pottsalat

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.