#Interview

“Seid mutig und holt die richtigen Leute an Bord”

Expertlead bringt Freiberufler:innen und Unternehmen zusammen. In den vergangenen Jahren flossen rund 17 Millionen in die Berliner Rocket Internet-Ausgründung, die 2018 an den Start ging und bereits 100 internationale Mitarbeiter:innen beschäftigt.
“Seid mutig und holt die richtigen Leute an Bord”
Dienstag, 3. Mai 2022VonAlexander Hüsing

Das Berliner HR-Startup Expertlead, das 2018 von Alexander Schlomberg und Arne Hosemann gestartet wurde, positioniert sich als Vermittlungsplattform für Freiberufler:innen aus der Tech-Branche. Alle Kandidaten werden dabei von Expertlead extrem auf Herz und Nieren, also ihre Fähigkeiten geprüft. Acton Capital Partners, Seek und Kreos Capital investierten zuletzt 9,5 Millionen Euro in das junge Unternehmen. Insgesamt flossen bereits rund 17 Millionen in die Rocket Internet-Ausgründung.

“Seit unserem Start in 2018, ist unser Team rasant gewachsen: Expertlead beschäftigt mittlerweile rund 100 internationale Mitarbeiter:innen. Im letzten Jahr haben wir den Jahresumsatz im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht und konnten über 200 neue Kund:nnen gewinnen”, sagt Gründer Schlomberg. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Expertlead-Macher zudem über Herausforderungen, Kostenplanungen und die geplante Auslandsexpansion.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Expertlead erklären?
Heutzutage ist es für Unternehmen sehr wichtig, die richtigen IT-Expert*innen einzustellen, um damit die Grundlage für Innovation und neue Technologien zu legen. Weil die Nachfrage nach diesen IT-Expert*innen sehr hoch ist und Unternehmen oftmals Probleme haben, die richtigen Leute in kurzer Zeit zu finden, wenden sie sich an uns, Expertlead. Wir haben nämlich nicht nur Zugriff auf ein großes Netzwerk aus IT-Expert*innen, sondern auch eine Technologie entwickelt, die automatisch die passenden Expert*innen für die jeweiligen Unternehmen ausfindig macht. Sind diese gefunden, werden sie von unserem Netzwerk auf ihre Fähigkeiten überprüft, bevor sie dann an die Unternehmen vermittelt werden.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Unsere Vision war von Anfang an, das traditionelle Tech-Recruiting neu zu definieren, um den Recruiting-Prozess sowohl für Kandidat*innen, als auch für Unternehmen maßgeblich zu verbessern. Neben dem Einsatz von Technologie zur Beschleunigung der Suche nutzen wir die Schwarmintelligenz unser bestehenden globalen Community, um eine sorgfältige technische Evaluierung der Kandidat*innen zu gewährleisten. Der Einsatz von Technologie und die Einbindung fachkundiger Expert*innen waren von Beginn an die zentralen Elemente unseres Geschäftsmodells und daran hat sich bis heute nichts geändert. Zu Beginn haben wir uns ausschließlich auf das Freelance-Business fokussiert, inzwischen haben wir unser Produktportfolio erweitert: Wir rekrutieren mittlerweile auch vorqualifizierte IT-Expert*innen für Festanstellungen und bieten zusätzlich die Durchführung technischer Interviews mit IT-Bewerber*innen als separate Dienstleistung an. Denn auch wenn die Nachfrage nach Selbstständigen steigt und der Trend hin zur Selbständigkeit unter IT-Fachkräften weiter zunimmt, so wird sich kaum ein Unternehmen nur auf den einen oder anderen Talentpool beschränken können, dafür ist der Bedarf zu groß. Es wird vielmehr um das Zusammenspiel dieser Talent-Pools gehen – und hier möchten wir Unternehmen wie auch Kandidat*innen bestmöglich und vollumfänglich unterstützen.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Im ersten Schritt geht es darum, herauszufinden, welcher Service am besten zur Anfrage der Kund*innen passt. Wird die projektbezogene Unterstützung eines Freelancers benötigt? Geht es darum, geeignete Kandidat*innen für eine Festanstellung zu finden oder möchte der Kunde seine IT-Bewerber*innen mittels unseres Interviewverfahrens technisch evaluieren lassen? Aus den Ansätzen ergeben sich jeweils die verschiedenen Geschäftsmodelle. Für das erfolgreiche Finden, Evaluieren und Einstellen von IT- Freelancer*innen werden mittels der unternehmenseigenen Recruiting-Software die Anforderungskriterien der Unternehmen automatisch mit den Qualifikationen unserer Kandidat*innen abgeglichen, geeignete IT-Expert*innen identifiziert und automatisiert vorqualifiziert. Alle Freelancer*innen, die Teil unserer Community werden möchten, durchlaufen ein 90-minütiges Peer-to-Peer Interview-Verfahren, bei dem ihre technischen Fähigkeiten in einem Live Coding-Test und einem technischen Q&A durch die bestehende Expertlead-Community evaluiert werden. Kund*innen erhalten nach 48 Stunden ein detailliertes Profil aller Kandidat*innen. Bei der erfolgreichen Vermittlung eines Freelancers erhalten wir eine Provision, die vom jeweiligen Projektvolumen abhängt. Bei der Vermittlung von Kandidaten für eine Festanstellung nutzen wir KI-basierte Algorithmen, um geeignete IT-Expert*innen zu identifizieren und automatisiert vorzuqualifizieren, indem wir bereits vorhandenen Code, den die Entwickler*innen zum Beispiel auf GitHub oder GitLab publiziert haben, auf Codequalität überprüfen. Kund*innen erhalten im Anschluss ein detailliertes Profil aller Kandidat*innen, das optional von Expertlead durch das Interview-Verfahren zusätzlich technisch geprüft werden kann. Die Höhe der Provision hängt vom Jahreseinkommen der Kandidaten ab und wird erst bei erfolgreicher Vermittlung fällig. Bei Expertview verkaufen wir das Testing als solches. Der/Die Kund*in schickt uns die CVs der IT- Bewerber*innen und wir übernehmen deren Evaluation mittels Peer-to-Peer Interview-Verfahren. Einen Tag nach dem Interview erhalten die Kund*innen einen Report inklusive Video-Aufzeichnung des Interviews und einer Empfehlung. Die Abrechnung erfolgt pro Report.

Wie ist überhaupt die Idee zu Expertlead entstanden?
Arne und ich waren zuvor beide als Unternehmensberater tätig. Dort haben wir immer wieder erfahren, wie schwer es für Unternehmen ist, geeignete IT-Experte*innen zu rekrutieren. Die Folge: innovative Ideen können nicht vollumfänglich realisiert werden. Gleichzeitig haben viele Techies, mit denen wir gesprochen haben, sich über ihre negativen Erfahrungen mit Personalvermittler*innen und -agenturen beschwert. Kritisiert wurde hier oftmals das mangelnde technische Verständnis seitens der Personaler*innen. Kandidat*innen fühlten sich nicht ernst genommen oder auf technischer Ebene nicht ausreichend herausgefordert. Wir haben uns also gefragt, was nötig ist, um die Erfahrung und den Prozess für beide Parteien zu verbessern. So entstand die Idee für Expertlead.

Wie hat sich Expertlead seit der Gründung entwickelt?
Seit unserem Start in 2018, ist unser Team rasant gewachsen: Expertlead beschäftigt mittlerweile rund 100 internationale Mitarbeiter*innen. Im letzten Jahr haben wir den Jahresumsatz im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht und konnten über 200 neue Kund*innen gewinnen.

In den vergangenen Jahren sind unglaublich viele HR-Startups entstanden. Ist für alle diese Konzepte langfristig genug Platz im Markt?
Es gibt viele klassische Personalvermittler*innen und -plattformen, von denen wir uns aber deutlich unterscheiden. Wir nutzen die Expertise, die in unserem Pool an IT-Expert*innen vorhanden ist, um die technische Qualifikation neuer Bewerber*innen durchzuführen. Dieser Ansatz, kombiniert mit dem starken Fokus auf Technologie entlang des gesamten Prozesses ermöglicht es uns, den Recruiting-Prozess für unsere Kunden zu beschleunigen und dabei höchste Qualitätsstandards zu garantieren. Auch gegenüber unseren Freelancer*innen haben wir den Anspruch mehr zu sein, als ein reiner Vermittler. Wir möchten ihnen die Gelegenheit geben, sich innerhalb der Community zu engagieren, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und ihr Wissen an andere weiterzugeben. Sie haben auch die Möglichkeit, bei uns als Interviewer*in tätig zu werden und in diesem Bereich Erfahrungen zu sammeln.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wie bei vielen anderen Startups auch, hat die Corona-Pandemie uns vor einige Herausforderungen gestellt. Vor allem zu Beginn der Pandemie haben wir negative Auswirkungen auf unser Business zu spüren bekommen. Viele Unternehmen hatten einen Einstellungsstopp verhängt, IT-Projekte wurden teilweise pausiert und der Startup-Verband sprach die Empfehlung aus, die Zusammenarbeit mit externen Mitarbeitern zu pausieren. Innerhalb weniger Tage mussten wir unsere Umsatzprognosen und Kostenplanungen über den Haufen werfen, um der neuen Marktlage gerecht zu werden. Dazu kam ein sehr unglückliches Timing für den Umzug in ein neues, größeres Office. Dieser fiel genau auf den Beginn der Pandemie, was zur Folge hatte, dass die neu angemieteten Bürofläche, verteilt auf drei Etagen, aufgrund von Homeoffice lange Zeit leer stand und hohe Kosten verursachte. Die Situation hat sich aber wieder stabilisiert, es besteht erneut eine hohe Nachfrage nach IT-Freelancern, wir konnten im letzten Jahr viele neue Kunden gewinnen und unser Umsatz entwickelt sich sehr gut.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir setzten von Anfang an auf die Kombination aus Technologie und der Expertise unserer IT-Community. Dieser Ansatz ist komplex und war im Aufbau sehr zeit- und ressourcenaufwendig, hat sich aber in jedem Fall ausgezahlt, da wir mittlerweile in der Lage sind IT-Recruiting in höchster Qualität und Geschwindigkeit zu betreiben. Unsere Kunden sind überzeugt: So haben wir letztes Jahr beispielsweise mit der VW-Tochter Cariad das Joint Venture Futurepath gegründet, um für den Konzern im sich zuspitzenden War for Talents die passenden IT-Expert*innen zusammenzubringen.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Tauscht euch mit anderen Gründern aus, seid mutig und holt die richtigen Leute an Bord!

Wo steht Expertlead in einem Jahr?
Wir wollen neue Märkte erschließen, unser internes Team weiter ausbauen, unsere Tech-Community engagiert halten und an der (Weiter-)Entwicklung unserer Tech-Tools arbeiten. Ziel ist es, unser Tech-Assessment zum internationalen Standard im Tech-Recruiting zu machen.

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Foto (oben): Expertlead / Melanie Greim

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.