#Interview

So wandelte sich GoStudent von einem Chat in eine Lernplattform

GoStudent setzt auf Online-Einzelunterricht mittels Video-Chat in einem virtuellen Klassenzimmer. In den vergangenen Monaten konntet das Wiener Startup - mitten in der Corona-Pandemie - über 13 Millionen Euro Risikokapital einsammeln.
So wandelte sich GoStudent von einem Chat in eine Lernplattform
Mittwoch, 16. Dezember 2020VonAlexander Hüsing

Das Wiener Startup GoStudent, das sich als E-Learning-Dienst positioniert, wurde 2017 von Gregor Müller, Felix Ohswald und seinem Bruder Moritz Ohswald gegründet. Left Lane Capital und DN Capital investierten kürzlich weitere 5 Millionen in das Unternehmen. Die beiden Geldgeber investierten erst im Sommer dieses Jahres 8,3 Millionen Euro in GoStudent. “Wir investieren sehr stark in die Infrastruktur unserer Lehrer*innen und expandieren sehr schnell in weitere Länder”, sagt Mitgründer Ohswald.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der GoStudent-Macher außerdem über Eltern, Bildschirmzeiten und Talente.

Wie würdest Du Deiner Großmutter GoStudent erklären?
Wir bringen den Schülern die besten Lehrer direkt nach Hause – egal wo sie wohnen. Wenn jemand Schwierigkeiten in der Schule hat, wurde früher ein privater Lehrer nach Hause bestellt. GoStudent findet die ideale Lehrkraft für jedes Kind und der Unterricht kann jederzeit über Videotelefonie stattfinden. Wir betreuen die Lehrer, Eltern und Schüler langfristig bis die Kinder sich in den einzelnen Fächern verbessern und erfolgreich mit der Schule abschließen.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
GoStudent startete im Jahr 2016 mit einem Hausaufgaben Chat via WhatsApp. Dieser hat sich direkt an die Schüler*innen gerichtet. Im Hausaufgaben-Chat konnten Kinder Fragen zu diversen Schulthemen stellen und GoStudent vernetzte die fragenden Schüler*innen mit Lehrer*innen, die via Chat kompetent darauf antworten konnten. Zuletzt hatte der Hausaufgaben-Chat, für den wir später eine eigene App entwickelten, fast 500.000 User. Wir mussten aber merken, dass sich sich diese Idee schwer kommerzialisieren ließ. Ein geeignetes Geschäftsmodell fehlte. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass der Weg vom Kind – konsumierende Zielgruppe – hin zu den Eltern – zahlende Zielgruppe – sehr lang war. Deshalb führten wir 2018 ein neues Geschäftsmodell ein und starteten mit Online-Einzelunterricht mittels Video-Chat in einem virtuellen Klassenzimmer. Ab diesem Moment fokussierten wir uns auf die Eltern als die primäre Zielgruppe.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Im Corona-Jahr 2020 konnte GoStudent sehr stark wachsen. Inmitten der Pandemie haben wir uns ein Investment in Höhe von insgesamt 13,3 Millionen Euro gesichert. Allein seit dem Sommer ist unser Umsatz im DACH-Raum um fast 50 %, der Kundenstamm um weitere 45 % gestiegen. Aktuell verbuchen rund 2.000 Tutoren monatlich 100.000 Lerneinheiten – Tendenz steigend. Dennoch wurde der Einsatz von Online-Video-Tools im Bereich der Bildung noch immer vielseitig kritisiert. Vor allem Eltern sehen die zusätzliche Bildschirmzeit ihrer Kinder als problematisch an. Seit Corona hatte nun jedoch ein Umdenken stattgefunden: War im Februar 2020 noch für rund ein Drittel der Eltern das Format “Online-Nachhilfe” ein Knock-out Kriterium, sprachen sich im September 2020 nur noch 5 % dagegen aus. Unterricht via Online-Video-Funktion bringt Vorteile mit sich: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Lernende im Online-Unterricht im Vergleich zu traditioneller Nachhilfe fokussierter bei der Sache sind und der Plauder-Anteil vergleichsweise gering ist.

In den vergangenen Monaten konntet ihr über 13 Millionen Euro einsammeln. Wofür braucht ihr so viel Geld?
Wir investieren sehr stark in die Infrastruktur unserer Lehrer*innen und expandieren sehr schnell in weitere Länder. Erst im Sommer sind wir nach Frankreich expandiert und im Oktober nach Spanien. Bis Ende 2021 wollen in allen großen europäischen Ländern Marktführer sein. Die Ed-Tech Branche ist nicht zuletzt wegen, aber erst Recht seit der Coronakrise eine der spannendsten Felder. Wir sehen einen enorme Nachfrage nach einer umfassenden, digitalen Lernplattform für Schüler*innen auf der ganzen Welt. Denn auch wenn sich das globale Bildungssystem wieder normalisiert, wird der Zugang zu Online-Bildung in Zukunft immer wichtiger werden. Unsere Wachstumszahlen und das zukunftssichere Geschäftsmodell haben unsere Investoren daher auch davon überzeugt, nach dem Juni-Investment noch mal nachzulegen.

Wie ist überhaupt die Idee zu GoStudent entstanden?
Als die Idee entstand, ging mein kleiner Bruder, Moritz, noch zur Schule. Immer öfter fragten er und seine Schulkollegen mich um Hilfe bei Hausaufgaben und bei der Schularbeitsvorbereitung. Diese beantwortete ich rasch und unkompliziert via WhatsApp. So kam mir auch die Idee, meine Handy-Nummer nicht nur mit der Klasse seines Bruders, sondern auch auf Facebook zu teilen, um so auch mehreren Kids bei ihren Hausaufgaben zu helfen. Ich stellte meine Idee auch Gregor Müller – Co-Founder von GoStudent vor, der sofort begeistert mit an Bord war. Das Projekt: Ein kostenloser Hausaufgaben-Chat für alle Kinder in Form von rascher und unkomplizierter Hilfe, damit Schüler*innen ihre Noten verbessern können. Den generellen Grundstein dafür, dass ich mich von klein auf sehr stark für Bildung interessierte, legte mein Großvater. Er war für meinen Bruder und mich ein sehr inspirierender Lehrer für Naturwissenschaften. Wir haben uns damals schon gewundert, warum es ein so großes Problem darstellt, ausgezeichnete Lehrkräfte für junge Menschen auszubilden.

Du hast GoStudent gemeinsam mit deinem Bruder und Gregor Müller gegründet. Ist es von Vorteil eine Familienmitglied an seiner Seite zu haben?
Mein Bruder Moritz war definitiv Ideengeber und Inspiration für unsere Geschäftsidee. Als Gregor und ich GoStudent Anfang 2016 gegründet haben, war mein Bruder erst 15 Jahre alt. Durch ihn hatten wir einen direkten Draht in die Zielgruppe und konnten Features schneller ausprobieren. Er hat uns viele sehr gute Ideen geliefert, operativ wurde es von Gregor und mir aufgebaut.

Euer Firmensitz ist Wien. Was zeichnet die Startup-Szene vor Ort aus?
Wien ist eine der lebenswertesten Städte der Welt und es gibt aktuell nicht vergleichbar viel Wettbewerb um Talente wie in Berlin, Paris oder London.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir setzen bei GoStudent auf nachhaltige Lernerfolge unserer Schüler*innen. Wir bringen sie mit den besten Lehrer*innen zusammen. Dafür bieten wir Mitgliedschaften zwischen sechs und 24 Monaten an. Der Preis orientiert sich an der Anzahl der konsumierten Einheiten pro Woche und der Dauer der abgeschlossenen Mitgliedschaft. In welchen Schulfächern die Nachhilfe in Anspruch genommen werden will, bleibt dem Kunden überlassen. So können sie sich einen Monat beispielsweise voll auf Mathematik konzentrieren und im nächsten einen Mix aus einer Fremdsprache und Biologie in Anspruch nehmen – je nach Lernbedürfnis. Der Beitrag wird automatisch auf monatlicher Basis abgebucht.

Wie hat sich GoStudent seit der Gründung entwickelt?
500.000 Schüler haben unseren Hausaufgaben-Chat monatlich genutzt; trotzdem ist die Monetarisierung gescheitert. Wir haben auch verschiedene Freemium-Modelle ausprobiert. Die Verwandlung zu einem nachhaltigen, skalierbaren Geschäftsmodell folgte, als wir den Fokus direkt auf die Eltern gelegt haben und dort einen professionellen individuellen Einzelunterricht für deren Kinder beworben haben. Damit ist auch die rentable Nachfrage gestiegen. So wurde aus einem Chat ein Nachhilfeangebot und schließlich unsere digitale Lernplattform. Die Prozesse dahinter, vor allem im Vertrieb, haben wir intern darauf umgestellt und verkaufen unseren Service so bis heute direkt an die Eltern. Bei uns war weniger der Service an sich das Problem, sondern vielmehr der Verkaufsprozess und die Adressierung unserer Zielgruppe. Der Pivot kam für uns genau zur richtigen Zeit und trotzdem gilt frei nach Meister Yoda: „Geduld du haben musst!“ Bei uns war der Pivot ein Prozess von mehreren Monaten. Ein ständiges Trial & Error, bis wir letztendlich das Modell gefunden haben, welches für uns am besten funktioniert. Und das hat es: Unser Team hat sich mehr als verdreifacht, allein 2020 kamen rund 100 Mitarbeiter*innen dazu. Mittlerweile werden monatlich 100.000 Lerneinheiten gebucht und von über 2.000 Lehrkräften bearbeitet. Wir haben 8.000 zahlende Kunden – vor zwei Jahren waren es 136, im November 2020 begrüßten wir allein 1.500 Neukunden.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist GoStudent inzwischen?
Wir verkaufen mittlerweile mehr als 100.000 Einheiten pro Monat und wachsen im selben Zeitraum um etwa 20 bis30 %. Unser Team ist mittlerweile auf rund 140 Mitarbeiter gewachsen und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Inzwischen sind wir mit Wien und Lyon an zwei Standorten tätig und werden sicher noch weitere Büros eröffnen. Unser Angebot ist im DACH-Raum, sowie in Spanien, Frankreich, Belgien und Luxemburg aktiv. Weitere Märkte werden zeitnah folgen. Wir haben bereits mehr als 8.000 zahlende Kunden und über 2.000 Tutoren auf der Plattform.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Die ersten drei Jahre haben wir uns zu sehr auf Schüler*innen fokussiert, sodass wir die zahlende Zielgruppe, die Eltern, völlig außer Acht gelassen haben. Die Erkenntnis, dass wir erst mit der direkten Ansprache der Eltern auch Geld verdienen könnten, bezeichnen wir heute als absoluten “Game Changer” in der bisherigen Geschichte von GoStudent. Wir sind aus diesem Learning gestärkt hervorgegangen und haben ab diesem Moment begonnen, etwas Großes aufzubauen.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Bei der Rekrutierung unserer bisherigen Mitarbeiter*innen. Es macht jedem im Unternehmen richtig Spaß dabei zu sein. Wir haben Macherinnen und Macher an Board, die alle unsere Vision – die globale Schule aufzubauen – mit vollem Herzblut verfolgen und alles geben, um das Unternehmen täglich ein kleines Stückchen besser zu machen.

Wo steht GoStudent in einem Jahr?
Unser oberstes Ziel ist es, Ende 2021 der Marktführer in den großen europäischen Ländern zu sein.

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Foto (oben): GoStudent

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.