#Interview

Ein Startup, das “ohne Hardware Stress erfassen kann”

"Wir sind ein Unternehmen, was aktiv einen Teil der Gesundheitsbranche digitalisiert - Fokus Stress- und Burnoutprävention", sagt Geschäftsführer Matthias Puls. "Gemessen am Umsatz mit Krankenkassen werden wir in 2019 unter digitalen Gesundheitsanbietern zu den Top 5 in Deutschland gezählt."
Ein Startup, das “ohne Hardware Stress erfassen kann”
Montag, 18. Mai 2020VonAlexander Hüsing

Das E-Health-Startup Kenkou, kümmert sich um Stress- und Burnoutprävention. “Hierfür nutzen wir wissenschaftliche und neueste medizinische Erkenntnisse, die ursprünglich aus den Bereichen Raumfahrt, Leistungssport und Psychotherapie kommen. Mit Hilfe der Smartphonekamera, die wie ein EKG funktioniert, kann ein Nutzer sein Stresslevel bestimmen und bekommt in unserer App auf ihn zugeschnittene Interventionen gegen Stress empfohlen”, sagt Geschäftsführer Matthias Puls.

Derzeit arbeiten 12 Mitarbeiter für das Unternehmen, dessen Wurzeln in Bochum im Ruhrgebiet liegen. “Gemessen am Umsatz mit Krankenkassen werden wir in 2019 unter digitalen Gesundheitsanbietern zu den Top 5 in Deutschland gezählt”, sagt Puls, der gerade das Buch “Digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen” herausgegeben hat. Im Buch kommen 40 Gründerinnen und Gründer der Healthcare-Branche zu Wort. Zudem gibt es 25 Expertenbeiträgen zur Transformation und Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Kenkou-Macher Puls außerdem über Krankenkassen, Fachkräfte und Tatendrang.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Kenkou erklären?
Kenkou bedeutet auf Japanisch “Gesundheit”. Wir sind ein junges Unternehmen, was aktiv einen Teil der Gesundheitsbranche digitalisiert – Fokus Stress- und Burnoutprävention. Hierfür nutzen wir wissenschaftliche und neueste medizinische Erkenntnisse, die ursprünglich aus den Bereichen Raumfahrt, Leistungssport und Psychotherapie kommen. Mit Hilfe der Smartphonekamera, die wie ein EKG funktioniert, kann ein Nutzer sein Stresslevel bestimmen und bekommt in unserer App “Stress Guide” auf ihn zugeschnittene Interventionen gegen Stress empfohlen. Evidenzbasiert, denn Stress ist eine mehrdimensionale Belastung von Körper und Geist, die immer individuelle Maßnahmen erfordert. Wir können diese Maßnahmen messen und damit Stress als einer der ersten in einer App quantifizieren und qualifizieren.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Ursprünglich hatte Kenkou sich auf die Kombination aus Hardware – Smart EKG als Wearable – plus Software – App – konzentriert. Wie das in Startups oft der Fall ist, heißt es ab einem Punkt “Fokus”, so dass die Stress Guide-App mit Nachdruck weiterentwickelt wurde.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir kooperieren seit letztem Jahr mit mehreren gesetzlichen und privaten Krankenkassen sowie BGM-Dienstleistern, als auch Arbeitgebern direkt. Seit Jahren steigen die stressbedingten Arbeitsunfähigkeitstage in Unternehmen, was sich dort und bei Krankenkassen durch einen erheblichen Mehrkostenblock bemerkbar macht. Nicht erst seit der Covid-19-Krise wissen wir, wie gestresst eine ganze Gesellschaft aufgrund von Home Office, Hamsterkäufen, Existenzangst und Sorgen um die Gesundheit ist. In Asien sprach man bereits vor Covid-19 von Stress als neuer Pandemie. Darüber hinaus ist unsere Stress Guide App als Freemium Modell sowohl im App Store, als auch Google Playstore für jeden herunterladbar. Erste Gespräche mit Pharma haben wir auch bereits geführt.

Wie ist überhaupt die Idee zu Kenkou entstanden?
Unsere Gründer kamen ursprünglich auf die Idee einen Handsensor zu entwickeln, auf den man morgens in der Küche seine Hand auflegen sollte, um sein Stresslevel zu bestimmen um mit der Information aktiv den Tag zu gestalten – sprich “heute etwas ruhiger” oder “volle Kraft voraus”. Hier gab es enge Anknüpfungspunkte mit dem Institut für Mikrotherapie von Prof. Dr. Grönemeyer in Bochum.

Die Wurzeln von Kenkou liegen in Bochum. Wie seid ihr nach Berlin gegangen?
Nach Berlin ging es damals insbesondere aufgrund des Wunsches einiger Investoren näher an Talente, Risikokapital – schlichtweg Netzwerk – zu gelangen.

Wie siehst Du das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Ich beobachte das Ruhrgebiet mit sehr viel Neugier. Hier schlug bis vor einige Jahre das Herz noch aus Kohle und Stahl. Hier hat der Strukturwandel vor einigen Jahren eingesetzt und das Ruhrgebiet ist eigentlich kaum noch wiederzuerkennen. Ein großer Vorteil ist die universitäre Infrastruktur – plus einem weiteren breiten Bildungsangebot -, die relevante Berufsgruppen ausbildet, unter anderem Informatiker, Designer, Mathematiker, Statistiker und Data Scientists. Hinzu kommen kurze Wege und schlichtweg viele junge, hungrige Gründerinnen und Gründer, die nicht den traditionellen Berufsweg einschlagen, sondern Risiken eingehen und ihre Chancen sehen, relevante Startups zu gründen. Und es existieren viele wirtschaftlich starke Unternehmen, die frühzeitig unterstützen können. Ich denke die Attraktivität des Ruhrgebiets als Startup-Standort wächst täglich; die Anziehungskraft – insbesondere für ausländische Fachkräfte – im Vergleich zu Berlin ist noch ausbaufähig.

Wie genau hat sich Kenkou denn seit der Gründung entwickelt?
Wie bereits erwähnt haben wir uns mittlerweile auf die Entwicklung unserer Stress Guide App, und damit Software, spezialisiert. Wir sind mittlerweile weltweit einer der wenigen Player, die ohne Hardware Stress wissenschaftlich genau über die Smartphonekamera erfassen kann. Hier steckt extrem viel Knowhow und Entwicklungszeit. Wir benötigen diese präzisen Vitaldaten, um Stresslevel mit unseren Algorithmen klassifizieren zu können.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Kenkou inzwischen?
Unser Team bei Kenkou umfasst rund 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ein sehr talentiertes, internationales Team und wir wachsen stetig. Gemessen am Umsatz mit Krankenkassen werden wir in 2019 unter digitalen Gesundheitsanbietern zu den Top 5 in Deutschland gezählt.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Schief gegangen ist hier der falsche Ausdruck – ich glaube, wir alle haben uns eine höhere Geschwindigkeit in der Umsetzung der digitalen Transformation in der Gesundheitsbranche und mehr Offenheit und Tatendrang von etablierten Playern gewünscht. Aber an der Front tut sich ja gerade einiges, auch bedingt durch Covid-19.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ich glaube, das trifft besonders auf unsere Kooperationen mit privaten und gesetzlichen Krankenkassen zu. Hierauf sind wir besonders stolz.

Wo steht Kenkou in einem Jahr?
Wir werden im deutschsprachigen Raum das Thema präzise Stress- und Burnoutprävention nachhaltig besetzt haben.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.