#Interview

“Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung sehe ich keinen Kapitalengpass”

Unser Podcast-Stammgast Sven Schmidt sieht den geplanten Milliardenfonds der Regierung kritisch: "Das zusätzliche Geld finanziert im besten Fall mittelmäßige Firmen und im schlechtesten Fall hält es Firmen am Leben, deren Liquidation besser wäre für die Volkswirtschaft".
“Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung sehe ich keinen Kapitalengpass”
Montag, 30. Dezember 2019VonAlexander Hüsing

Zum Jahresausklang befragt deutsche-startups.de unseren Podcast-Stammgast Sven Schmidt zur Thematik Risikokapital – wie war 2019, wie wird 2020 – und lässt ihn ein Update zu Maschinensucher.de geben.

Es gab 2019 viele große Finanzierungsrunden für deutsche Tech-Firmen. Wie ist Deine Einschätzung?
deutsche-startups.de bzw. Du hast 2018 sehr treffend das Bild vom goldenen Herbst gezeichnet. Aus dem golden Herbst 2018 wurde das goldene Jahr 2019.

Du spielst auf die großen Runden wie bei Flixbus oder GetYourGuide an?
Diese großen Runden waren sicherlich die „Leuchttürme“ des Jahres. Aber die stark durch die negativen Zinsen bedingte Geldflut hat in Deutschland von der Frühphase („Pre-Seed“) bis zur Spätphase („Growth“) zu mehr Investments und auch höheren Bewertungen geführt. Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung bzw. zur Regierung sehe ich daher keinen Kapitalengpass, den es zu beheben gilt.

Braucht es nicht größere deutsche VC-Fonds?
Deutsche Tech-Firmen können von Finanzierungen profitieren. Aber es spielt dabei erstmal keine Rolle, ob das Geld von angelsächsischen Investoren oder deutschen VCs kommt. Und immer mehr US amerikanische VCs werden aktiver in Deutschland und Europa. Komparativ zu den Bewertungen im Silicon Valley ist es in Europa noch „günstig.” Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass Insight in Deutschland umtriebiger ist als die meisten deutschen VCs.

Und Du glaubst nicht, dass das die Initiative der Bundesregierung ändern wird?
Wie denn? Fast alle Gründer und vor allem fast alle deutschen VCs werden auch in Zukunft die großen angelsächsischen „Marken” wie Accel, Benchmark, Bessemer, Insight und Sequoia oder Index präferieren. Das zusätzliche Geld finanziert dann – Stichwort adverse Selektion – im besten Fall mittelmäßige Firmen und im schlechtesten Fall hält es Firmen am Leben, deren Liquidation besser wäre für die Volkswirtschaft. Die Regierung sollte besser in Kernkompetenzen des Staats wie Infrastruktur – Stichwort Glasfaserausbau – oder Bildung investieren.

Die Liquidation von Firmen hört sich in den Ohren potentiell Betroffener relativ empathielos an?
Gegeben die Übernachfrage nach Mitarbeitern in der Digitalwirtschaft bedeutet die Liquidation von Start-Ups keine strukturelle Arbeitslosigkeit, sondern macht „nur” einen Arbeitsplatzwechsel notwendig. Durch die Geldflut werden zu viele Firmen am Leben gelassen. Das ist nicht gut für eine Volkswirtschaft und hemmt das Wachstum. Die OECD bzw. der Economist haben in Bezug auf die „Old Economy“ schon von Zombie Firmen gesprochen. Das gleiche Phänomen droht uns jetzt in der „New Economy.“

Was sind denn Deine weiteren VC-Vorhersagen für 2020?
Unabhängig davon, ob es den zweiten Softbank mega Fond gibt oder nicht, sind die mega großen Runden gekommen, um zu bleiben. Das Kapital ist vorhanden und die „King-making“ Strategy kann Sinn machen. Man darf die Milliarden nur nicht in WeWork investieren. Sequoia hat innerhalb von 1,5 Jahren ca. 10 Milliarden Dollar aufgenommen. Insight hat 2018 über sechs Milliarden Dollar eingesammelt, keine zwei Jahre später soll ein neuer Fond mit über sieben Milliarden Dollar kommen.

Im Rahmen des Live OMR Podcasts beim Ruhrsummit hattest Du Dich kritisch zu manchen Fintech Firmen geäußert.
Ja, bei Fintech Investments wird sich in 2020 die Spreu vom Weizen trennen. Mein Argument war, dass die Firmen, die weder die Nachfrage noch das Angebot „kontrollieren“, im Rahmen des Fintech-Hypes überbewertet worden seien. Bill Gurley, General Partner bei Benchmark, argumentiert auf Twitter pointiert, dass ein kluger Kreditgeber nur nein zu einer Kreditanfrage sagen könne, während der „darum koste es, was es wolle“ Kreditgeber die Kreditanfrage bereits zu einem geringeren Zinssatz positiv beschieden hätte. Und die Stärke von Kohorten in dem Segment lasse sich kaum analysieren. Der in den Tweets verlinkte Forbes Artikel ist in jedem Fall sehr lesenswert.

SaaS Enterprise Firmen nehmen sehr viel Geld zu sehr hohen Bewertungen auf. Bleibt es dabei?
Der private Markt orientiert sich hier an den Börsenbewertungen. Ob die Bewertungen der börsennotierten SaaS Enterprise Firmen gerechtfertigt sind oder nicht, kann man sicherlich kontrovers diskutieren. Die vermutete sehr gute Prognostizierbarkeit von Cash Flows ist zusammen mit dem billigen Geld der Treiber. Auch falls es eine Bewertungskorrektur geben sollte, wird weiter sehr viel Geld in das Segment fließen. Denn hohe Adaptionsraten von Firmen, letztendlich ein globaler Markt und die Margen-Vorteilhaftigkeit von SaaS machen den Bereich für VCs sehr attraktiv.

2019 haben wir viele neue Fonds von deutschen VCs gesehen. Geht da so weiter?
Nach meiner Markteinschätzung ja. Mehrere Teams befinden sich im Fundraising. Und viele können relevante Erfolge vorweisen. Bevor sich jetzt viele Gründer freuen – deutsche Risikokapitalgeber werden sich bevor sie eine Firma finanzieren noch stärker fragen, ob eine Firma international erfolgreich sein kann und wie groß sie werden kann. Das ist zum einen getrieben durch die „King-making“ Strategie und die Globalisierung, die dazu führen, dass wenige Firmen den Großteil des Kapitals aufnehmen. Zum anderen gibt es in Deutschland für lokale Themen zu wenige Käufer.

Zum Abschluss – ab und zu bekomme ich Fragen zu Deiner Person. Viele Hörer könnten glauben, dass Dein Hauptjob Podcasts sind. Aber Dein Fokus gilt Maschinensucher?
Ja, Podcasts sind nur mein Hobby. Mein Hauptjob ist Maschinensucher. Wir sind 2019 auf 40 Mitarbeiter gewachsen. Durch die Übernahme von TruckScout24.de am Anfang des Jahres decken wir jetzt die gesamte Breite von gebrauchten Maschinen – von Maschinen mit Rädern zu Maschinen ohne Rädern – ab. Und durch die Intensivierung unseres Marketings konnten wir die Marktführerschaft von Maschinensucher bei den Maschinen ohne Rädern weiter ausbauen.

Habt Ihr Geld von VCs aufgenommen oder plant Ihr das?
Weder noch – Maschinensucher gibt es seit 20 Jahren und war bisher jedes Jahr profitabel. Thorsten, der Gründer und CEO, hat die Firma neun Jahre lang alleine aufgebaut und initial durch Gehaltsverzicht finanziert. Das ist für mich echtes Gründertum. Maschinensucher gehört heute zu 100 % Thorsten und mir.

Das hört sich fast VC kritisch an.
Nein, das soll es nicht. Unsere Volkswirtschaft braucht Risikokapital. Denn manche Geschäftsmodelle sind darauf angewiesen. Zu Maschinensucher hätte vom Geschäftsmodel – B2B, Subskriptionen und als Classifieds Anbieter keine COGS im engeren Sinne – sicherlich initial Risikokapital passen können. Aber der Markt für Gebrauchtmaschinen online hat sich langsamer entwickelt als um die Jahrtausendwende erwartet. Daher war das „Bootstrapping“ von Thorsten ex-post durchaus vorteilhaft.

Bleibt Maschinensucher auch im nächsten Jahr Dein Fokus?
Sven: Ja, absolut. Wir mieten die vierte Etage im Bürogebäude an und wollen auf über 60 Mitarbeiter wachsen. Daher gibt es bei uns über 20 offene Stellen zu besetzen: www.company.maschinensucher.de/jobs/. Ich freue mich auf Bewerbungen!

Wie schätzt Du die Situation für Bewerber ein?
Wir haben in Deutschland eine Sektor-Rezession. Für die produzierende Industrie und für die export getriebenen Firmen wird 2020 herausfordernd. Die Digitalwirtschaft ist davon allerdings nur partiell tangiert. Hier sind die Rückenwinde so groß, dass es auch im nächsten Jahr mehr Stellen als passende Bewerber geben wird. Daher zum Schluss ein bisschen Werbung in eigener Sache: Maschinensucher bietet in Essen fast das, was Google seinen Mitarbeitern im Silicon Valley bietet. Wir haben ein Fitness Studio, es gibt einen Personal Trainer, natürlich auch einen Koch, selbstverständlich kostenlose Getränke, ein neu saniertes Büro in der Nähe des Hauptbahnhofes, Höhen-verstellbare Tische und vor allem sehr spannende Aufgaben in einer schnell wachsenden sowie profitablen Firma.

Sven, vielen Dank für das Gespräch. Und wer mehr von Dir und mir hören will – ab dem 6. Januar gibt es wieder unseren wöchentlichen Podcast.

Der digitale Pott kocht – #Ruhrgebiet


Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Gründer. ds, die Gründerallianz Ruhr und der ruhr:HUB berichten gemeinsam über die Digitalaktivitäten im Revier.

Foto (oben): Maschinensucher

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.