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Pattarina: Eine lange überfällige Digitalisierung – ganz ohne Plattform

Im Bereich Apps und Software gibt es immer wieder Neuentwicklungen, bei denen man sich denkt „Warum hat das bisher noch niemand gemacht?“. Denn obwohl viele Menschen denken, dass sich hier nicht mehr etwas Neues erfinden lässt, gibt es sie eben doch noch: Entwicklungen, die uralte Prozesse digitalisieren.
Pattarina: Eine lange überfällige Digitalisierung – ganz ohne Plattform
Donnerstag, 24. Oktober 2019VonTeam

Der Pitch der Gründer Nora Baum und Markus Uhlig wird die Zuschauer wohl zunächst gespalten haben: Denn die, die einmal selbst genäht haben oder die Problematik aus ihrem Familien- und Freundeskreis kennen, werden wohl sofort begeistert genickt haben. Für alle anderen ist es zunächst einmal ein recht fremdes Thema.

Doch die Gründer legen überzeugend dar, welchen Aufwand es bedeutet, ein Schnittmuster auszuschneiden, die Teile zusammenzukleben und schließlich auf den Stoff zu übertragen – denn da die Stoffstücke oft groß sein können, kann dies ziemlich umständlich sein und Stunden in Anspruch nehmen, bis das entsprechende Teil endlich ausgeschnitten und vernäht werden kann. Da aber z.B. ein Kleidungsstück aus vielen einzelnen Stoffteilen bestehen kann, muss dieser Prozess oft noch mehrfach wiederholt werden, bis die Nähmaschine überhaupt erst angeschmissen werden kann.
Auch Nicht-Nähern sollte also schnell klar werden, dass Pattarina einen ganz essentiellen Teil eines guten Geschäftsmodells mitbringt: es wird ein echtes Problem einer Zielgruppe gelöst.
Nun würden die meisten wohl recht schnell auf die Idee kommen, dass das Ganze mit einem Plattform-Modell, z.B. einem Marktplatz für Schnittmuster monetarisiert werden sollte. Die digitalisierten Schnittmuster verschiedener Unternehmen oder auch einzelner Designer könnten so über eine solche Plattform verkauft und eine Provision einbehalten werden.
Doch die Gründer wählten ein anderen Weg. Denn gerade im Bereich Heimwerken und Handarbeiten gibt es im Bezug auf Marktplätze bereits gut etablierte Konkurrenz, als Anbieter in einer Nische zu starten könnten hier trotz des starken funktionellen Mehrweits schwierig werden, d.h. hohe Kundenakquisekosten könnten anfallen.

Stattdessen sehen die Gründer ihre App als Tool und kooperieren mit Schnittmusterherstellern: bereits zur Zeit des Drehs gab es den ersten größeren Partner, aktuell findet sich der benötigte QR-Code in den PDF-Schnittmustern eines großen Verlages und bei freien Designern. Auch ein eigenes Buch gibt es, in dem die QR-Codes für die Schnittmuster direkt mit abgedruckt sind. Die Kunden sind hier also nicht die Endnutzer, sondern die Unternehmen. Das grundsätzliche Interesse von dieser Seite ist leicht zu erklären: wenn der Endverbraucher wesentlich weniger Zeit braucht für eine Arbeit, die die meisten Hobbynäher als eher lästig, aber unvermeidbar empfinden würden, hat er höchstwahrscheinlich mehr Zeit und Lust für weitere Projekte, d.h. es könnte in mehr Wiederholungskäufen pro Jahr und damit auch in einem höheren Customer Lifetime Value münden.

Für Pattarina bedeutet dies jedoch auch, dass die Unternehmenskunden die Endnutzer größtenteils sogar mitbringen und die Nutzung der App propagieren: Das klassische Henne-Ei-Problem des Marktplatzes entfällt.

Doch die direkten Einkünfte von den Unternehmenskunden sind nicht die einzige Monetarisierungsmöglichkeit: Denn auch in dieser Branche gibt es das schon fast klassische Problem, dass die herstellenden und vertreibenden Unternehmen kaum oder nur sehr schwachen Kontakt zu ihren Endkunden haben und daher auch nur eingeschränkt Feedback zu ihren Schnittmustern erhalten. Die App könnte das beheben, und – die Einwilligung des Nutzers vorausgesetzt – den Verlagen und Designern Feedback z.B. dazu geben, welche Größen wie häufig genäht werden oder welche Schnittmuster oft vom Endverbraucher wieder abgebrochen werden. Oder auch einfach die Nutzer über die App zu schnellem und einfachen Feedback ermuntern. So könnte Pattarina sogar zur Kundenzufriedenheit beitragen, woraus letztendlich wieder häufigere Wiederholungskäufe resultieren können.

Was die Aussichten zunächst jedoch etwas eingrenzt, ist der recht begrenzte Markt: viele Quellen geben den gesamten Handarbeitsmarkt in Deutschland mit gerade einmal einer guten Milliarde Euro an, die Nische für Schnittmuster für das Nähen ist also noch bedeutend kleiner: für die meisten professionellen Investoren könnte dies schon ein Ausstiegsargument sein. Doch die Funktionsweise, mit Hilfe einer Augmented Reality-App eine Vorlage – denn nichts anderes ist ein Schnittmuster – auf eine reale Fläche zu übertragen, könnte noch viele Anwendungsmöglichkeiten z.B. im Bereich Renovierungsarbeiten, Dekoration oder Holzarbeiten eröffnen.

Viele weitere Hand- und Heimwerker können also darauf hoffen, dass bald noch weitere Prozesse endlich zeitsparend digitalisiert werden.

Tipp: Alles über die Vox-Gründer-Show gibt es in unserer DHDL-Rubrik

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Foto (oben):  TVNOW / Bernd-Michael Maurer