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Calligraphy Cut: Mit komplexen Geschäftsmodell zum Erfolg – und zum Mega-Löwen-Deal #DHDL

Frank Brormann ist ein spannender Typ und sein Calligraphy Cut ein außergewöhnliches Produkt. Und auch das Geschäftsmodell stimmt. Es ist beeindruckend, wie der Gründer die wichtigsten Faktoren identifiziert hat und sein Modell immer wieder angepasst hat, so dass es auch die Löwen überzeugte.
Calligraphy Cut: Mit komplexen Geschäftsmodell zum Erfolg – und zum Mega-Löwen-Deal #DHDL
Mittwoch, 5. September 2018VonTeam

Oft sagt man ja, dass die Schönheit in der Einfachheit der Dinge liegt. Doch für Gründer mag das nicht immer die ultimative Wahrheit sein: bestimmte Gegebenheiten wie zum Beispiel des Marktes oder der Zahlungsbereitschaft der Kunden können nach einem komplexeren Geschäftsmodell verlangen, dessen Vorzüge man vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennen kann. Gründer Frank Brormann von Calligraphy Cut zeigt in der ersten Folge der 5. Staffel von “Die Höhle der Löwen“, dass es nicht zwingend ein Nachteil sein muss, wenn man sein Geschäftsmodell nicht in zwei Sätzen erklären kann. Der gelernte Friseur hat seine Unternehmenszahlen jedoch absolut im Griff, was zusammen mit seinem unglaublich sicheren und sympathischen Auftritt schließlich das Investorengespann Judith Williams und Frank Thelen überzeugt.

Das Geschäftsmodell von Calligraphy Cut ist in mehreren Dimensionen komplex und ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich über die einzelnen Elemente und Wirkweisen, aber auch die Bedeutung der Kennzahlen im Klaren zu sein. Ein sehr zentrales Element eines Geschäftsmodells ist natürlich die Value Proposition, also das Wertversprechen, dass das Unternehmen seinen Kunden macht. Im Falle von Calligraphy Cut handelt es sich um ein B2B-Modell, die Kunden sind die Friseursalons. Der Endkunde, der die eigentliche Leistung in Anspruch nimmt, wird nur durch die Salons adressiert. Das qualitative Wertversprechen “besserer Haarschnitt” an den Endkunden bringt dem Salon aber zunächst einmal nichts. Doch der Gründer hat hier die passende Antwort: er hat festgestellt, dass ein Salon im Schnitt circa 12 Euro mehr für einen Haarschnitt mit dem Calligraphy Cut nehmen kann, und genau das ist sein Wertversprechen: Das qualitative Wertversprechen an den Endkunden lässt sich für den Salon in quantitativen Mehreinnahmen übersetzen, also ist das Wertversprechen von Calligraphy Cut selbst quantitativ.

Nun könnte man meinen, es wäre nahe liegend, die Salons genau hier zur Kasse zu bitten, indem zum Beispiel pro Haarschnitt ein Teil der 12 Euro als Lizenzkosten anfallen. Da es sich jedoch hier um eine (analoge) Dienstleistung handelt, die der Kunde an seine Kunden verkauft, ist die genaue Nachhaltung offensichtlich schwierig. Nahe liegend ist zunächst aber die Monetarisierung über die Seminare, in denen die Friseure die Handhabung erlernen müssen, bevor sie Schnitte mit dem Calligraphen anbieten dürfen. Viele Unternehmer würden nun versuchen, den Preis für die Seminare oder eine anschließende Lizenzgebühr für die Salons so hoch wie möglich anzusetzen, da die Durchführung personal- und daher kostenintensiv ist. Argumentiert wird dann meistens mit einer Art ROI-Rechnung für die B2B-Kunden, man würde den Salons also vorrechnen, wie viele Kunden sie bedienen müssten, um die Investition für das Seminar wieder hereinzuholen.

Doch Brormann gibt sich hier mit nur circa 10 bis 20 % Rendite zufrieden, um einen anderen Effekt auszunutzen, den Investoren meist sehr zu schätzen wissen, der aber bisher vor allem von Abo-Modellen bekannt ist: der sogenannte „Customer Login“. Die Klingen im Calligraphen müssen nach circa jedem vierten Haarschnitt gewechselt werden. Verkauft werden sie an die Salons entweder für 2,99 Euro oder, mit einer freiwilligen Club-Mitgliedschaft für 300 Euro im Jahr, für 1,69 Euro. Ein Salon verbraucht im Jahr circa 400 bis 500 Klingen im Schnitt, was entweder auf circa 1200 Euro oder circa 1000 Euro im Jahr pro Salon hinausläuft. Bei 400 Salons allein in Deutschland sind das mindestens 400.000 Euro Einnahmen im Jahr nur durch die Klingen. Das Unternehmen hat circa 50 % seiner bisherigen Investitionen allein in Schutzrechte investiert, um sicherzustellen, dass niemand den Calligraphen, aber auch nicht die Klingen so einfach kopieren kann. Und das war unheimlich schlau: denn diese Einnahmen sind deswegen sehr sicher, sie kehren mit ziemlicher Zuverlässigkeit Jahr für Jahr wieder. Jeder neu hinzukommende Salon reiht sich hier nahtlos ein, und die Marge kann sich bei nur 0,42 Euro Herstellungskosten sehen lassen. Der Verkauf des Calligraphen selbst, der bei einer Marge von knapp 200 Euro natürlich auch nicht uninteressant ist, ist hierbei noch gar nicht bedacht.

So verdient Calligraphy Cut schließlich doch an jedem Haarschnitt der Salons mit, da nach jedem vierten Schnitt die Klinge ausgetauscht werden muss. Auf den einzelnen Schnitt umgelegt sind das knapp 0,65 Euro (bei Salons ohne Club-Mitgliedschaft) gegenüber den 12 Euro Mehrverdienst – was gegenüber den Friseuren auch durchaus fair wirkt. Natürlich müsste man die Kosten für den Calligraphen auch noch umlegen, was das Bild aber nicht wirklich verzerrt, da er recht lange hält.

Der Friseurmeister hat es also geschafft, nicht nur ein Produkt zu kreieren, dass die Endkunden qualitativ überzeugt und ihre Zahlungsbereitschaft steigert, sondern auch den einzelnen Salons und Friseuren etwas anzubieten, dass ihnen direkt Mehreinnahmen ohne allzu große Investitionen und daher hohe finanzielle Risiken ermöglicht. Belohnt wird er dafür mit einem Customer Login über die Klingen, der ihm wahrscheinlich auf Jahre hinaus fast automatische Einnahmen verspricht.

Hohe Margen, ein Customer Login und Kunden, die sich nicht ausgenommen fühlen, könnte man eigentlich für unvereinbar halten – doch Calligraphy Cut schafft es, die scheinbaren Widersprüche zu vereinen. Einfach war das nicht, doch mit diesem schlauen Geschäftsmodell ist es schließlich geglückt – wir dürfen gespannt sein auf die weitere Entwicklung!

Zur Autorin
Ruth Cremer ist Mathematikerin und Beraterin sowie Hochschuldozentin im Bereich Geschäftsmodelle, Kennzahlen und Finanzplanung. Als ehemaliger Investment Manager weiß Sie, worauf Investoren achten und hilft bei Pitch- und Dokumentenvorbereitung auch im Investment- oder Akquisitionsprozess. In der aktuellen fünften Staffel von “Die Höhle der Löwen” war sie als externe Beraterin in die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten involviert.

Lesetipp: “Die Höhle der Löwen” – Deals (2018), “Die Höhle der Löwen – Deals (2017)“, Die Höhle der Löwen – Deals (2016)“, “Die Höhle der Löwen – Deals (2015)“, “Die Höhle der Löwen – Deals (2014)“. Für mehr Spaß vor der Glotze am besten unser “‘Die Höhle der Löwen’– Bullshit-Bingo” herunterladen.

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Foto (oben): Vox