Kolumne von Sabine Engel

Gründeralltag: Bewerbungsgespräche im Tinderverfahren

Events, Gimmicks und fancy Coworking Spaces - so schön kann die Start-up Welt sein - von außen betrachtet. Der Alltag eines Gründers ist meist weniger glamourös und weit weg von einem geregelten acht Stunden Arbeitstag. Sabine Engel beschreibt, wie bei ihr ein ganz normaler Arbeitstag aussieht.
Gründeralltag: Bewerbungsgespräche im Tinderverfahren
Mittwoch, 25. Mai 2016VonTeam

Sabine Engel gründete vor fünf Jahren das Genuss-Start-up Miomente. Das junge Unternehmen verkauft kulinarische Events wie Kochkurse, Weinproben und exklusive Firmenfeiern in ganz Deutschland. Inzwischen beschäftigt Engel 12 feste Mitarbeiter. In Ihrer Kolumne für deutsche-startups.de, berichtet die Unternehmerin über Hürden, Tricks und Erlebnissen im Gründeralltag.

Zeit ist relativ

7:30: Ich betrete das Büro. Hinter mir liegen bereits 10 Kilometer Dauerlauf durch den Nymphenburger Schlosspark, eine heiß-kalte Dusche und ein Telefonat mit der Buchhalterin über die steuerlichen Besonderheiten in Österreich als Vorbereitung für die internationale Expansion. Jetzt erstmal ein grüner Smoothie. Ich bin eine überzeugte Frühaufsteherin. Damit bin ich im Büro allerdings allein. Dort herrscht noch gähnende Leere.

8:00: Immer noch keiner da. Ich rufe mal bei meinem Geschäftspartner an, von dem brauche ich noch eine Folie für die Investorenpräsentation. Nach 15 Mal Klingeln hebt er endlich ab. Und ist völlig außer Puste – er bringt gerade seine älteste Tochter in den Kindergarten. Mit dem Fahrrad. Präsentation schickt er mir später, wenn er seine Zwillinge versorgt und sein Morgen-Yoga gemacht hat. In der Ruhe liegt die Kraft, sagt er. Fokussierung ist wichtig, sagt er. Reduktion auf das Wesentliche, sagt er.

8:30: Aha. Da kommt auch schon der Kundenservice. Prompt klingelt das Telefon. Es entspinnt sich ein längeres Beratungsgespräch mit einem Kunden über die verschiedenen Fleischsorten von Wagyu-Rind bis Duroc-Schwein und welcher Fleisch-Kochkurs nun für den Kunden eher in Frage kommt. Ich bin Veganerin und knuspere gerade an meinem Müsli mit Sojamilch – umso größer ist meine Bewunderung für die Mitarbeiterin, die um diese Uhrzeit bereits fachkundig über Steakcuts und Fleischsorten fachsimpeln kann.

Frauenpower und Powerfrauen

9:00: Meine Mitarbeiterin aus dem Businessteam trudelt ein – etwas abgekämpft. Die Frisur nicht gerade Dreiwettertaft. Statt Frühsport hat sie drei kleine Jungs angezogen, mit Frühstück versorgt und in 2 verschiedene Kindergärten gebracht. Jetzt im Büro angekommen wirkt sie direkt entspannt als die erste Kundin anruft, die für 50 Leute einen Kochkurs buchen will und sehr spezielle Vorstellungen von Menü und Ablauf hat. Aber wer es schafft, Kinder von der Schmackhaftigkeit von Spinat zu überzeugen, dem gelingen diese Gespräche spielend. Wer Mutter ist, der fürchtet keine schwierigen Verhandlungen mehr.

9:30: Inzwischen herrscht munteres Treiben und Stimmengewirr im Büro. Auch die PR-Mitarbeiterin und die Bildredakteurin sind inzwischen eingetroffen. Ich blicke mit Zufriedenheit auf mein Team. Hätte ich nicht gedacht, dass ich mit 30 schon so vielen Leuten Arbeit geben kann – Leuten, die zum Teil älter sind als ich. Arbeit, die ihnen auch noch Spaß macht. Aber Moment mal, wo ist eigentlich die Redaktionsleitung? Richtig. Die hat ja heute Homeoffice. Kann sich bei dem Geräuschpegel nicht so gut konzentrieren.

10:00: Da ist ja endlich auch die Marketing-Madame. Nicht gerade ein früher Vogel. Nun ja – ein müder Kopf entwickelt auch keine brillante Idee. Die biologischen Rhythmen sind bekanntlich individuell verschieden.

Kontrolle ist schlecht – Vertrauen ist besser

11:00: Team-Meeting. Die Vertriebs-Mitarbeiterin ist gerade in – ja, wo eigentlich? Köln? Düsseldorf? Dortmund? Auf alle Fälle seit einer Woche auf Achse. Die Mitarbeiterin holen wir per Facetime dazu. Dann schauen wir uns gemeinsam die Umsätze an und gehen die Zahlen durch. Sieht ganz gut aus – trotz Ferienzeit.

Wenn ein altgedienter Unternehmer einen Blick von außen auf diesen Arbeitsalltag werfen würde, dann vermutlich mit Stirnrunzeln und Kopfschütteln. weil man so doch gar nicht kontrollieren kann, ob die Mitarbeiter arbeiten und wie viel. Weil es Regeln braucht. Und die Zahlen sind Chefsache!
Wenn ich aber etwas im Laufe meines jungen Unternehmerlebens gelernt habe, dann ist es Vertrauen und Transparenz.

Weil ich darauf vertraue, dass meine Mitarbeiter eine Arbeit machen, die sie erfüllt und bei der sie ihre eigenen Ideen verwirklichen können, brauche ich weder in Stein gemeißelte Arbeitszeiten noch eine Anwesenheitspflicht mit Stechuhr. Ich habe verstanden, dass die Arbeit von heute sich verändert hat. Wer mehr Freiraum hat, arbeitet nicht langsamer, weniger und schlechter, sondern motivierter und effizienter. Ob das nun junge Mütter in Teilzeit sind, die abends um 22 Uhr noch ihre Mails bearbeiten, wenn sie die Kinder ins Bett gebracht haben oder die Redakteurin, die schneller, besser und kreativer schreibt, wenn sie zuhause mit ihrem Hund im Garten sitzt.

Ich möchte, dass meine Mitarbeiter mündige Mitarbeiter sind, die auch mir vertrauen. Daher lege ich alle Zahlen vor ihnen offen. Jeder soll sehen und verstehen, dass seine Arbeit unmittelbar mit dem Umsatz des Unternehmens zu tun hat. Dass es auf ihre Ideen, Kreativität und Arbeit ankommt.

Kreative Freiräume statt starrer Strukturen

12:00: Die PR-Kollegin hat einen Artikel in einer großen Tageszeitung ergattert. Die Redakteurin wünscht sich lebendige Bilder – am besten Schnappschüsse von mir in der Küche. Und bitte bis morgen. Die Marketing-Leitung ist dieses Impro-Theater gewöhnt und zückt schon mal ihre Spiegelreflex. Gottseidank hat die Werkstudentin Puder dabei – auf meiner Stirn entwickelt sich gerade eine hektische Rötung. Der Kundenservice geht einkaufen für das gemeinsame Mittagessen und bringt vom Supermarkt ein paar Utensilien für das Shooting mit. Dann verwandeln wir den Sozialraum flott in ein Kochstudio. Schon stehe ich mit Gemüse in der einen und Küchengeräten in der anderen Hand in einer Kulisse aus Töpfen, Kräutern und Bergen von Gemüse. Das Marketing feuert Regieanweisungen auf mich ab: „Die Zucchini nicht so drücken! Kopf bitte etwas neigen, mehr lächeln, nicht so verkrampft, den Kochlöffel bitte etwas tiefer.“ Ich lächle, bis mir die Mundwinkel schmerzen und hoble 5 Kilo Zucchinispaghetti. Aber die Fotos sehen super aus. In Windeseile räumen alle wieder auf. Gleich kommt eine Bewerberin – da muss der Raum wieder vorzeigbar sein.

13:00: Im Büro riecht es plötzlich sehr apart. Ich bin Frischluftfanatikerin und reiße erst Mal die Fenster auf. Dann gehe ich dem Geruch auf die Spur. In der Küche brutzelt eine Kollegin in 5 Pfannen ein Mittagessen für alle – sie ist gerade aus Vietnam-Urlaub zurückgekommen und will mit den Kolleginnen ihre dort gesammelten kulinarischen Erlebnisse teilen. Wenig später falten alle begeistert Reispapier, Kräuter und Garnelen zu bunten Sommerröllchen, schwelgen in den Dumplings und schauen sich die Urlaubsbilder von schwimmenden Märkten und Garküchen an.

14:00: Die Marketingleitung liefert mir, noch an einer Teigtasche kauend, die vom Mittagessen frisch inspirierte Pressemappe mit neuen Texten und Bildern für meinen Besuch bei einer Reisezeitschrift. Dann verschwindet sie für eine Stunde in den Sport. Muss den Kopf wieder frei machen. Auf dem Rad hat sie die besten Ideen, sagt sie.

Was viele traditionelle Führungskräfte mit blankem Entsetzen erfüllen würde, ist dabei wissenschaftlich belegt. Der amerikanische Informatiker und Yale-Professor David Gelernter schreibt in seinem neuesten Buch „Gezeiten des Geistes“ über das menschliche Bewusstsein, dass es Kreativität auf Knopfdruck nicht gibt und dass das ununterbrochen am Stück Arbeiten vollkommen unproduktiv ist. Der Geist braucht Pausen. Das menschliche Gehirn ist gerade dann besonders innovativ, wenn die Idee im Hinterkopf bleibt während der eigentliche Fokus auf etwas anderem liegt. Sport ist dabei ebenso nützlich wie das Rasieren oder Fensterputzen. Der menschliche Geist, so Gelernter, wäre wesentlich produktiver, wenn man nicht klassisch von 9 bis 5 arbeiten würde, sondern die Arbeit freier einteilen könnte.

Just do it! Machen statt Meeten

14:30: Die Bewerberin ist da. Die sechste in einer Woche. Ich fühle mich langsam wie bei Tinder. Wischen. Weiter. Wischen. Der nächste. Viele Bewerber sind zunächst begeistert von den Freiräumen, die mein Start-up bietet, tun sich dann aber doch schwer mit der großen Geschwindigkeit und der Hands-On-Mentalität umzugehen. Hier wird nicht lange diskutiert und an Strategien gefeilt. Die Mitarbeiter müssen eigenständig entscheiden und dann ihre Entscheidung auch selbst zügig umsetzen. Das fällt vielen unerwartet schwer, die aus klassischen Konzernen kommen, wo man meist nur ein Rädchen in der Maschinerie ist und oft einfach nur Anweisungen ausführt. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und sich explorativ auf neues Terrain zu begeben, ohne das Ergebnis zu kennen. Risiken und Fehler in Kauf zu nehmen. Man geht nicht um Fünf aus der Tür und lässt das Berufliche hinter sich. Oft ragt die gedankliche Beschäftigung mit der Arbeit auch in die persönliche Freizeit hinein. Die Bewerberin war schon mal in einem Startup. Das sieht vielversprechend aus.

15:00: Die Mitarbeiterin aus dem Businessteam muss spontan die Kleinen vom Kindergarten abholen – der Vater kann nicht. Er sitzt in einem Meeting fest. Er arbeitet in einem großen Unternehmen. Auf dem Weg fährt sie noch flott bei einer Kochschule vorbei und inspiziert die logistischen Möglichkeiten für eine Buchpräsentation, die ein Kochbuchverlag angefragt hat. Noch auf dem Fahrrad telefoniert sie mit der Kundin weiter.

16:00: Da ist ja die Marketingleitung wieder. Völlig verschwitzt wirft sie sich an den Rechner, steckt die Kopfhörer ein und hackt wie wild eine Stunde in die Tasten. Dann hat sie das neue Video für unsere Facebookseite fertig.

16:50: Ich bin schon wieder viel zu spät! Um 17:30 Uhr geht mein Flug nach Berlin. Pressereise. Die PR-Mitarbeiterin stopft mir noch 20 Pressemappen in 2 Taschen – dann geht es zum Flughafen. Ich werfe noch einen Blick zurück durch die Glastür des Büros, das summt wie ein eifriger Bienenstock. Ich fliege erstmal für eine Woche aus. Guten Gewissens.

19:30: Ankunft im Hotel. Ich checke meine Mails und facetime kurz mit meinem Mann. Dann probe ich nochmal meine Rede für ein Gründerinnenforum, auf dem ich morgen sprechen soll und gebe die Adressen der 5 Verlage in mein Navi ein, die ich besuchen will. Dann geht es weiter in eine unserer Berliner Kochschulen. Ich nehme an einem ayurvedischen Kochkurs teil. Die Köchin stammt aus Indien und war dort Anwältin. Ihre Zulassung ist in Deutschland allerdings wertlos. Jetzt gibt sie Kochkurse. Es schmeckt köstlich.

23:00: Zurück im Hotel. Ich schicke der Marketingleitung noch die Bilder des Abends. Sie antwortet prompt, schickt mir noch das monatliche Reporting und wünscht mir eine gute Nacht. Mal sehen, was morgen so bringt.

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