#Interview

“Wir profitieren bis heute von unserer selbst finanzierten Gründungs- und Wachstumsgeschichte”

Fünfeinhalb Jahre bauten Kajetan von Armansperg und Jenny von Podewils Leapsome ohne Investorengelder auf. Dann investierten Insight Partners, Creandum und Visionaries Club 60 Millionen US-Dollar in das Berliner Unternehmen.
“Wir profitieren bis heute von unserer selbst finanzierten Gründungs- und Wachstumsgeschichte”
Montag, 18. Juli 2022VonAlexander Hüsing

Die profitable Berliner Jungfirma Leapsome, die 2016 von Kajetan von Armansperg und Jenny von Podewils gegründet wurde, positioniert sich als “Software für Performance Management und Engagement”. Konkret ermöglicht das Unternehmen es Mitarbeiter:innen sich gegenseitig – und nur für den Empfänger sichtbar – Feedback zu geben. Insight Partners, Creandum und Visionaries Club investierten kürzlich 60 Millionen US-Dollar in das Unternehmen. Zuvor hatten die Leapsome-Macher ihr Unternehmen komplett ohne Geldgeber aufgebaut.

Die Entscheidung Geld aufzunehmen haben wir ganz pragmatisch getroffen. Wir hätten es nicht gemusst. Wir sind angetrieben von der Ambition, ein globales Produkt aufzubauen. Und es ist schön, aus einer Position der Stärke heraus ins Fundraising zu gehen, nicht, weil man unter Druck ist und das Geld braucht. Wir sind schließlich fünfeinhalb Jahre ohne Venture Capital genauso schnell gewachsen wie VC-finanzierte Startups”, sagt Gründer von Armansperg.

Im Interview mit deutsche-startups.de sprechen die Leapsome-Macher:innen unter anderem über People Enablement, Bootstrapping und Visionen.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Leapsome erklären?
von Podewils: Stell dir vor, es gibt eine Lösung, die dir dabei hilft, deine Arbeit besser zu machen, schneller zu lernen und glücklicher im Beruf zu sein. Das ist Leapsome. Als Software-Plattform kombinieren wir Feedback, OKRs, Engagement und Lernen. OKRs bedeutet, dass transparente, klar definierte Ziele gesetzt werden, die Klarheit zwischen Teams schaffen. Feedback sorgt dafür, dass Team-Manager ihre Rolle als “Coach” erfüllen. Engagement beruht auf Umfragen unter den Mitarbeitenden und unsere Lernfunktion ermöglicht es Mitarbeitenden, sich individuell weiterzuentwickeln. Im Laufe des Lebens arbeitet der Mensch etwa 80.000 Stunden. Unsere Mission ist, diese Stunden für jeden Einzelnen erfüllender zu machen. Die zwei Schlüsselkomponenten dafür lauten Mitarbeiterentfaltung und -entwicklung. Insbesondere die junge Generation verändert zunehmend den Arbeitsmarkt. Millennials erwarten von ihrem Arbeitgeber, eine starke Unternehmenskultur für erfüllende Arbeit und persönliche Weiterentwicklung, zu bieten. Wer diesen Ansprüchen als Arbeitgeber:in nicht gerecht wird, verliert seine besten Mitarbeitenden.

War dies von Anfang an euer Konzept?
von Armansperg: Angetrieben waren Jenny und ich von Anfang an von der Mission, Unternehmenskulturen zu verbessern und Unternehmen eine Lösung für “People Enablement” anzubieten. Dass wir heute weltweit Marktführer dieser noch jungen Kategorie sind, war so nicht geplant, macht uns aber umso stolzer, zumal wir wissen, wie sehr wir dadurch den Arbeitsalltag vieler Menschen verbessert haben. Rückblickend sind wir unserer Mission treu geblieben, auch wenn das Produkt permanent erweitert wurde. Durch stetige Iteration ist der einstige erste Prototyp, der nach einem Brainstorming in meiner Küche entstanden ist, zu einer ganzheitlichen intelligenten Plattform heran gewachsen.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
von Armansperg: Leapsome ist eine Lösung für OKRs, Feedback, Personal- und Entwicklungsgespräche, Umfragen zum Mitarbeiterengagement und Lernen – und zwar alles in einer einzigen, einfach zu bedienenden und flexiblen Plattform. Wir vereinfachen insbesondere auch das Managen, Weiterentwickeln und Führen von Remote-Teams und Onboardings. Durch unseren modularen Aufbau können sich Unternehmen flexibel für einzelne oder alle unserer Funktionen entscheiden. Sie können auch auswählen, welche und wie viele Mitarbeiter:innen Leapsome nutzen. Unser Preis variiert nach der Anzahl der Mitarbeitenden und Module. Viele unserer weltweit über 1.000 Kunden haben anfangs mit einigen Modulen angefangen, nutzen inzwischen aber die gesamte Plattform für ihre gesamte Belegschaft.

Wie ist überhaupt die Idee zu Leapsome entstanden?
von Podewils: Die Idee von Leapsome kam Kajetan und mir gleichermaßen 2016 mit der grundlegenden Frage “Was macht die Menschen in einer Organisation erfolgreich?” Vor der Gründung arbeitete ich in strategischen und digitalen Transformations-Rollen in Medien-, Clean-Tech- und Tech-Unternehmen. Während meiner Zeit dort stellte ich fest, dass die verschiedenen Organisationen gut geführt und auch erfolgreich waren — jedoch häufig nicht über die geeigneten Instrumente für vermeintlich weiche Themen rund um die Entwicklung von Mitarbeiter:innen verfügten. Eine Tatsache, die wir mit Leapsome ändern, zumal Kajetans Erfahrungen sich eins zu eins mit meinen gedeckt haben. Kajetan und ich sind überzeugt, dass ein strukturierter und ganzheitlicher Prozess sowohl jedem Einzelnen zugute kommt als auch dafür sorgt, dass Organisationen nachhaltiger und effektiver agieren. Schlussendlich beruhen alle Organisationen schließlich auf der Leistungsbereitschaft und den Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden. Unabhängige Studien zeigen, dass dies eben kein weiches Thema ist, sondern zentral für Unternehmen, so ist die Produktivität eines motivierten, gut gemanagten Teams beispielsweise circa ein fünftel höher.

Wie hat sich Leapsome seit der Gründung entwickelt?
von Podewils: Leapsome ist bereits vor unserer ersten Finanzierungsrunde zur weltweit führenden Software-Plattform für Feedback, OKRs, Mitarbeiter:innen-Engagement und Lernen im Unternehmen aufgestiegen. Den Umsatz haben wir im vergangenen Jahr auf einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag verdreifacht. Inzwischen verfügt Leapsome über mehr als 1.000 Kunden in Europa, den USA, Australien und Asien. Durch unsere Series A im März sind wir nun in einer idealen Ausgangslage, weiter zu wachsen und unser Produkt zu entwickeln. Aktuell haben wir  ein Team aus rund 90 Mitarbeiter:innen, mit faszinierenden, vielfältigen Hintergründen und Interessen, die mehr als 35 Sprachen sprechen.

Bis März 2022 habt ihr Leapsome ohne Investorengelder aufgebaut. Warum habt ihr euch nach so vielen Jahren für ein Investment entschieden?
von Armansperg: Die Entscheidung Geld aufzunehmen haben wir ganz pragmatisch getroffen. Wir hätten es nicht gemusst. Wir sind angetrieben von der Ambition, ein globales Produkt aufzubauen. Und es ist schön, aus einer Position der Stärke heraus ins Fundraising zu gehen, nicht, weil man unter Druck ist und das Geld braucht. Wir sind schließlich fünfeinhalb Jahre ohne Venture Capital genauso schnell gewachsen wie VC-finanzierte Startups. Übrigens bin ich fest davon überzeugt, dass wir dabei immens davon profitiert haben, Leapsome selbst von Anfang an zu nutzen. Für die Finanzierungsrunde haben wir uns schlussendlich entschieden, weil gerade der richtige Zeitpunkt dafür ist. Alle Zeichen stehen auf Wachstum und wir wollen unsere weltweite Marktführerschaft in der Kategorie “People Enablement” ausbauen. Wir haben uns für Insight als Investor entschieden, weil deren Mindset, Erfahrung und Netzwerk eins zu eins zu uns passt.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
von Podewils: Wir haben davon profitiert, dass sich Kajetans und meine Kompetenzen sehr gut ergänzen, insbesondere meine Erfahrung im Vertrieb und Kajetans Coding-Expertise sowie Erfahrung in der Entwicklung von Produkten. Dadurch konnten wir mit einem kleinen Gründerteam ein Produkt bauen, verkaufen und erste Umsätze generieren. Bis heute profitieren wir übrigens von unserer selbst finanzierten Gründungs- und Wachstumsgeschichte. Einerseits mussten wir das Produkt radikal an die Bedürfnisse der Kunden ausrichten, damit diese es nutzen und dafür auch gewillt sind, Gebühren zu bezahlen. Andererseits mussten wir alle internen Prozesse sehr kapitaleffizient gestalten, um aus den eigenen Umsätze unser Wachstum finanzieren zu können.  Zudem konnten wir dank Bootstrapping flexibel und frei in unseren Entscheidungen agieren. Angesichts der aktuellen Stimmungslage an den VC-Märkten sind wir umso glücklicher ein kapitaleffizientes Unternehmen mit echtem Wachstum in Form von  steigenden Umsätzen aufgebaut zu haben.

Gab es denn viele Dinge, die ihr einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
von Armansperg: Man kann nie alles auf einmal machen, egal wie viel Geld man hat. Dadurch dass wir unser Wachstum selbst finanziert haben, haben wir erstens enorm viel gelernt, sind zweitens sehr fokussiert vorgegangen und haben drittens eine nachhaltige Organisation mit funktionierenden internen Prozessen aufgebaut. Die Voraussetzungen, um nun mit zusätzlichem Kapital das Wachstum zu beschleunigen, könnten nicht besser sein.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
von Podewils: Grundsätzlich ist es empfehlenswert, so schnell wie möglich mit dem operativen Geschäft zu starten. Denn es gibt kein besseres Feedback als das der echten Kunden. Von daher würde ich dringend empfehlen: Startet mit einem ersten Prototypen und Kunden, denen ihr bereits vertrauen könnt, die volles Verständnis dafür haben, wenn es noch an der ein oder anderen Stelle hakt. Hängt euch also nicht zu lange daran auf, das in der Theorie perfekte Produkt zu entwickeln und dann erst in den Vertrieb zu gehen. Die Zauberformel lautet permanentes Iterieren anhand der Wünsche und Bedürfnisse der Kunden. Keine noch so teure Marktforschung kann mit diesem pragmatischen Ansatz konkurrieren.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
von Podewils: Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich kann keinen einzigen Punkt nennen, der richtig schief gegangen ist. Gleichzeitig haben wir natürlich auch immer wieder Entscheidungen getroffen, die sich im Nachgang als falsch erwiesen haben, und dabei kontinuierlich sehr viel gelernt.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
von ArmanspergWie zuvor beschrieben, können wir uns rückblickend glücklich schätzen, sehr kapitaleffiziente Prozesse aufgesetzt zu haben. Das schnelle, fokussierte Wachstum ist zudem sicherlich ein wichtiger Faktor dafür, dass wir durchgehend ausgezeichnete Bewertungen unserer Kunden erhalten – natürlich neben der kundenzentrierten permanenten Weiterentwicklung unseres Produkts.

von Podewils: Auch intern haben wir von unserem Ansatz profitiert, eine starke Kultur aufzubauen. Dazu gehört, dass wir selber vorleben, wofür stehen: eine gesunde Feedback- und Lernkultur. Als führendes Unternehmen in der HR-Tech-Kategorie wollen wir uns auch darauf konzentrieren, ein Top-Arbeitgeber zu sein, der seinen Mitarbeiter:innen Eigenverantwortung, Feedback und Raum zum Wachsen gibt. Wir arbeiten hart daran, unseren Mitarbeitenden ein Arbeitsumfeld zu bieten, in dem Lernen und Entwicklung gefördert und unterstützt wird, damit jeder seine beste Arbeit leisten kann.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
von Podewils: In erster Linie zählt es, Ideen nicht nur zu denken sondern auch umzusetzen; sich zwar gründlich vorzubereiten, aber nicht zu lange mit Planung aufzuhalten, sondern einfach machen. Viel wichtiger als das perfekte Produkt ist am Anfang eine klare Vision, was man verbessern möchte und ob Kunden oder Nutzer diese Verbesserung auch wirklich brauchen. Die Vision ist das Leitmotiv, die Motivation und der Antrieb. Wenn keine Vision vorhanden ist, stellt sich die Frage, wofür überhaupt gegründet werden soll. Gründer:innen sollten meiner Meinung nach nur ein Unternehmen aufbauen, um wirklich etwas zu bewirken und sinnvolle Lösungen zu kreieren. Dies gilt umso mehr für Kajetan und mich, da wir beide sehr Impact getriebene Menschen sind. Außerdem müssen die richtigen Fragen an die richtigen Personen gestellt werden. Denn Antworten auf Fragen werden die Gründungsgeschichte häufig voranbringen. Das bringt mich zu meinem dritten Tipp: Es gibt kein fertiges Produkt. Permanentes Iterieren ist der neue Status Quo – so widersprüchlich sich das zunächst auch anhören mag.

Wo steht Leapsome in einem Jahr?
von Armansperg: Wir wollen unsere Position als Marktführer global ausbauen, insbesondere in den USA sind wir in den letzten zwei Jahren stark gewachsen – bereits zum jetzigen Zeitpunkt erwirtschaften wir dort etwa 20 Prozent unseres Umsatzes. Außerdem haben wir unsere Plattform weiterentwickelt, indem noch die ein oder andere Funktion dazu gekommen ist.

von Podewils: Leapsome soll die unverzichtbare Plattform für großartige Personal-Managementprozesse werden. Prinzipiell können alle Unternehmen egal welcher Größe und in welcher Branche von Leapsome profitieren. Es ist unser Ziel, diese Kategorie zu gestalten. Bis 2025 wollen wir 1,5 Millionen Nutzer:innen mit unserer Plattform erfolgreich machen. Diesem Ziel sind wir in zwölf Monaten zumindest ein gutes Stück näher gekommen.

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Foto (oben): Leapsome / Linus Petit

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.