#Interview

“Wer profitabel arbeiten muss, muss auch täglich den ‘Proof of Concept’ bestehen”

Bei Bears with Benefits finden Onliner:innen Nahrungsergänzungsmittel, die als Gummibärchen daher kommen. "Die meisten Supplements sind sehr männlich-rational positioniert, sie werden nicht als Beautyprodukt wahrgenommen. Gerade das ist aber für Frauen sehr relevant", sagt Gründerin Marlena Hien.
“Wer profitabel arbeiten muss, muss auch täglich den ‘Proof of Concept’ bestehen”
Mittwoch, 14. April 2021VonAlexander Hüsing

Mit Bears with Benefits verkaufen Laurence Saunier und Marlena Hien, die zuvor bei einer Münchner Kommunikations- und Markenberatung gearbeitet haben, Nahrungsergänzungsmittel in Form von Gummibärchen. “Auf dem hart umkämpften Beauty-Markt konnten wir bereits in unserem ersten vollen Geschäftsjahr 2019 die Schallgrenze von 1 Million Euro Umsatz durchbrechen. 250.000 Dosen Bärchen haben wir bisher verkauft. Inzwischen sind wir ein 10-köpfiges Team und erwirtschaften einen mittleren siebenstelligen Umsatz – profitabel”, sagt Gründerin Saunier.

Ihr Unternehmen haben die Unternehmerinnen bisher ohne Investoren aufgebaut. Durch unseren iterativen Ansatz war es für uns von Anfang an wichtig, unsere Unit Economics im Griff zu haben und uns sehr stark zu fokussieren. So sind wir dennoch 100 % YoY gewachsen, beständig und profitabel. Daher war eine Fremdfinanzierung nie nötig und wir konnten unsere Anteile – und damit auch die Kontrolle – zu 100 % behalten”, erzählt Gründerin Hien.

Im Interview mit deutsche-startups.de sprechen die beiden Bears with Benefits-Macherinnen zudem über Datenpunkte, Influencer-Marketing und Rohstoffe.

Wie würdet ihr eurer Großmutter Bears with Benefits erklären?
Saunier: Wir, Marlena Hien und Laurence Saunier, möchten mit Bears with Benefits Frauen dabei unterstützen, sich in ihren Körpern wohl und schön zu fühlen. Nahrungsergänzungsmittel in Form von Tabletten und Pulvern beinhalten oft unnötige oder sogar gesundheitsschädliche Füllstoffe und Weißmacher wie Titandioxid, Trennmittel oder ku?nstliche Farb- und Geschmacksstoffe. Laut Studien haben außerdem ein Drittel der Deutschen Probleme damit, Tabletten zu schlucken und beenden die Einnahme daher vorschnell wieder. Unsere Innovation: Nahrungsergänzungsmittel in Form von leckeren Gummibärchen – clean, zuckerfrei und wo es geht vegan.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, seit dem Start irgendwie verändert?
Hien: Beautyfood ist ein stark wachsender Markt, der noch wenig bedient wird: Die meisten Supplements sind sehr männlich-rational und als Performance-Booster positioniert, sie werden nicht als Beautyprodukt wahrgenommen. Gerade das ist aber für Frauen sehr relevant, die gezielt nach Produkten suchen, um die natürliche Schönheit von innen zu stärken. Genau hier setzen wir mit unseren hochpotenten Beautyvitamin-Komplexen an. Wir haben seit Gründung die Produktpalette auf zehn Sorten, wie “Trust Your Gut Vitamins” mit Apple Cider Vinegar oder “Glowtastic Skin Vitamins” mit Hanföl erweitert und sind unserem Ansatz treu geblieben, Produkte, Packaging und Kommunikation immer wieder zu testen und mit dem Feedback unserer Community stetig zu optimieren.

Wie genau geht ihr da vor?
Hien: Von Anfang an war es uns wichtig, mit unserer Community im engen Austausch zu stehen und ihr Feedback aktiv in die Produktentwicklung einfließen zu lassen. Inzwischen haben wir dieses Vorgehen technologisch standardisiert: Gemeinsam mit einem Team aus Data Scientists und unserer medizinischen Beraterin Dr. med. Anne Latz von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin haben wir ein Online-Tool entwickelt, das den Lifestyle und die Ernährungsgewohnheiten unserer Kunden sowie fundamentale Datenpunkte abfragt – unter anderem Ernährung, Schlaf, körperlichen Merkmalen, Fitness, Demographie, äußere Lebensumstände. Auf Basis eines Algorithmus werden daraufhin konkrete, individualisierte Ernährungsempfehlungen sowie Produktempfehlungen gegeben. Unsere Vision, die Produkte für und mit unserer Community zu entwickeln, ist also Realität geworden.

Wie genau hat sich Bears with Benefits seit der Gründung entwickelt?
Saunier: Wir sind step by step vorgegangen und haben im Sommer 2018 zunächst 3.000 Stück unseres ersten Produkts “Ah-mazing Hair Vitamins” produziert und auf Amazon gelauncht, dort erste Learnings generiert und wertvolles User-Feedback erhalten, das wiederum in die weitere Produktentwicklung einfloss. Auf Amazon muss man den Traffic nicht teuer einkaufen, sondern kann auch als unbekannte und gebootstrappte Brand mit einem guten Produkt überzeugen – mit wenigen gezielten Marketing-Ausgaben. Dort haben wir es dann schnell zum Kategorie-Bestseller geschafft und so wurde Douglas auf uns aufmerksam. Ein halbes Jahr später standen wir deutschlandweit in den Regalen, weitere große Retailer wie dm, Rossmann und BIPA in Österreich folgten. Aufbauend auf unserer steigenden Markenbekanntheit durch den Retail, haben wir Anfang 2020 erfolgreich unseren eigenen Onlineshop gelauncht, auf den wir uns inzwischen stark fokussieren. Als Beauty- und Healthcare Startup war es uns außerdem von Anfang an wichtig, mit Fachexperten zusammenzuarbeiten. Heute zählen wir renommierte Lebensmittelexperten und Pharmazeuten zu unserem festen Team, was für uns ein großer und wichtiger Schritt war. Unser internes Forschungsteam umfasst die Ernährungsmedizinerin Dr. med. Anne Latz – Mitglied der Deutschen Gesellschaft fu?r Ernährungsmedizin – und die Ernährungswissenschaftlerin Nassim Jamalzadeh – MSc Biomedicine and Nutrition, TU Mu?nchen -, zudem produzieren wir unsere Produkte mit einer Pharmazeutenfamilie in Deutschland.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Bears with Benefits inzwischen?
Saunier: Auf dem hart umkämpften Beauty-Markt konnten wir bereits in unserem ersten vollen Geschäftsjahr 2019 die Schallgrenze von 1 Million Euro Umsatz durchbrechen. 250.000 Dosen Bärchen haben wir bisher verkauft. Inzwischen sind wir ein 10-köpfiges Team und erwirtschaften einen mittleren siebenstelligen Umsatz – profitabel.

Ihr habt euer Startup bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Hien: Durch unseren iterativen Ansatz war es für uns von Anfang an wichtig, unsere Unit Economics im Griff zu haben und uns sehr stark zu fokussieren. So sind wir dennoch 100 % YoY gewachsen, beständig und profitabel. Daher war eine Fremdfinanzierung nie nötig und wir konnten unsere Anteile – und damit auch die Kontrolle – zu 100 % behalten. Natürlich gab es Angebote, aber wir wollen den perfekten Partner für uns finden, der uns vor allem inhaltlich weiterbringt. Wir schließen die Option daher für die Zukunft nicht aus.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Hien: Wer von Anfang an profitabel arbeiten muss, muss auch täglich den “Proof of Concept” bestehen und das ab dem ersten Tag. Das ist natürlich nicht immer einfach. Besonders am Anfang fehlt das Geld an allen Ecken: Produkt, Marketing, Design – am liebsten will man ja alles gleichzeitig angehen. Hier hat uns unser Agentur-Hintergrund natürlich sehr geholfen – wir beide waren zuvor zehn Jahre lang in einer Kommunikations- und Digitalagentur tätig -, da wir vieles intuitiv richtig gemacht haben und ohne externe Unterstützung umsetzen konnten. Die harte Begrenzung des Budgets beim Bootstrapping hat uns gezwungen, den Fokus zu behalten, denn man stellt sich immer die Frage: Bringt mir diese Investition mehr Umsatz? Stimmt der Return? Brauche ich diesen Mitarbeiter wirklich? Wir haben zum Beispiel anfangs komplett auf Marketingbudget verzichtet und nur den organischen Traffic auf Amazon genutzt. Durch die permanente Optimierung von Keywords und unseres Listings haben Menschen, die nach unserer Produktgruppe gesucht haben, Bears with Benefits gefunden und sich für unser Produkt entschieden. Die Gewinne haben wir dann komplett reinvestiert. Als großen Vorteil des Bootstrappings sehen wir, dass wir uns voll auf unser Produkt und die Firma konzentrieren konnten – es wurde kein Fokus durch zeitintensives Fundraising oder das Reporten an Investoren verloren. Wir müssen nur eine einzige Partei beeindrucken: unsere Kunden.

Gab es denn viele Dinge, die ihr einfach nicht umsetzen konntet, weil das Geld fehlte?
Hien: Es gab immer wieder Marketing-Maßnahmen, die wir gestrichen haben – wir fokussieren uns stark auf ausgewählte Performance-Kanäle und sehen zum Beispiel auch Influencer-Marketing als Performance-Kanal, der sich rechnen muss. Knappes Budget filtert eben viele unnötige und nicht notwendigen Ausgaben direkt heraus. Auch unsere erste Mitarbeiterin haben wir erst nach eineinhalb Jahren eingestellt! Lange gezögert haben wir mit unserem eigenen Onlineshop, da uns klar war, wie kapitalintensiv die Kundengewinnungskosten für einen Shop sein können. Mit der steigenden Markenbekanntheit und dem Cashflow durch den Retail war der Moment aber perfekt und wir konnten den Shop innerhalb von kürzester Zeit profitabel betreiben.

Was ratet ihr anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Saunier: Bootstrapping ist vor allem im E-Commerce Bereich eine gute Option. Versuch Dein Produkt auf Marktplätzen anzubieten, wo Du eine vorhandene Infrastruktur nutzen kannst und teste, ob die User es interessant finden. Es muss nicht gleich der eigene Shop sein. Teste erstmal und nutze den Traffic, der auf Plattformen wie Amazon, Ebay oder sogar Etsy bereits vorhanden ist. Auch das Produkt muss noch nicht “perfekt” sein, nutze das Kundenfeedback auf den Plattformen und mach es besser – auch wir sind mit einem einzigen MVP gestartet, dass wir seitdem stetig verbessert haben.

Wovon habt ihr in der Anfangszeit gelebt?
Saunier: Die ersten Monate haben wir die Firma ehrlich gesagt nebenher aufgebaut und noch in unseren “Day Jobs” gearbeitet – das war zwar sehr anstrengend, hat uns aber Sicherheit gegeben. Später von den eigenen Ersparnissen. Wir haben beide vorher in leitenden Positionen gearbeitet und hatten die Möglichkeit, das nötige Startkapital anzusparen.

Blickt bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Hien: Manche Produkte haben leider nie das Licht der Welt erblickt, weil trotz sorgfältiger Planung und Entwicklung am Ende ein Rohstoff nicht in der entsprechenden Menge und Qualität geliefert werden konnte oder in Deutschland keine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung erhalten hätte. Letztlich gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel und müssen als solche strenge Auflagen erfüllen. Am Ende ist uns wichtig, dass unsere Produkte unseren hohen Ansprüchen entsprechen und manchmal muss man dann eben die Notbremse ziehen, auch wenn man bereits viel Zeit und Ressourcen investiert hat.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Hien: Bei unserem Team! Wir sind super stolz, was wir alles bisher mit nur zehn engagierten und klugen Köpfen geschafft haben. Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen.

Wo steht Bears with Benefits in einem Jahr?
Saunier: Wir expandieren derzeit stark in Europa und setzen unseren Fokus voll auf unseren Onlineshop, der 2021 die Mehrheit unseres Umsatzes besteuern soll. In einem Jahr planen wir, fester Bestandteil des italienischen, französischen und polnischen Beauty-Markts zu sein! Außerdem bauen wir unseren Beratungsbereich stark aus und möchten mit unserem ernährungsmedizinischen Team noch viel mehr Frauen dabei unterstützen, ihre Beauty-Bedürfnisse passgenau zu befriedigen.

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Foto (oben): Bears with Benefits

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.