#Interview

“Ich habe die Bandbreite an Themen, die man als Gründer:in abdecken muss, unterschätzt”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Ein perfekter Tag startet bei mir mit Grüntee und 30 Minuten Yoga, ehe meine beiden Kinder aufwachen. Danach frühstücken wir gemeinsam und ich bringe sie in die Kita und Schule", sagt Melanie Beatrice Flore von flowflake.
“Ich habe die Bandbreite an Themen, die man als Gründer:in abdecken muss, unterschätzt”
Freitag, 12. März 2021VonAlexander Hüsing

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Melanie Beatrice Flore vom Software-Startup flowflake, einer Vertriebsplattform mit integrierter virtueller Assistenz.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Ein perfekter Tag startet bei mir mit Grüntee und 30 Minuten Yoga, ehe meine beiden Kinder aufwachen. Danach frühstücken wir gemeinsam und ich bringe sie – die aktuelle Corona-Situation außen vor – in die Kita und Schule. Mein Arbeitstag bei flowflake startet mit einem Daily, also einem täglichen Check-In via Slack oder je nach Projektlage auch per Videokonferenz. So können wir als Team strukturiert in den Tag starten und bleiben über die Vorhaben der jeweiligen Kolleg:innen up to date.

Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
Um so richtig abzuschalten, brauche ich neue Impulse, die nichts mit dem Business zu tun haben: Dazu gehe ich gerne raus in die Natur, um etwas anderes zu sehen und mich zu bewegen. Am wichtigsten ist jedoch Musik für mich. Wenn ich das Gefühl habe, dass alles gerade etwas viel wird, drehe ich meinen Lieblingssong voll auf. Wenn ich alleine bin, kommt es durchaus vor, dass ich lauthals mitsinge. Das klassische „nach der Arbeit einfach abschalten“ funktioniert natürlich nicht immer beziehungsweise nicht unmittelbar nach Feierabend. Denn neben dem Start-up-Arbeitsalltag gibt es ja auch noch die Familie, die meine Aufmerksamkeit verdient hat. Oft kann ich sehr gut durch das Spielen mit meinen Kindern nachmittags abschalten. Einerseits bedeutet dies, dass sich ein Teil meiner Arbeit in den Abend verlagert – denn sobald die Kinder im Bett sind, geht es für mich an den Schreibtisch zurück –, andererseits tut mir die nachmittägliche Zeit mit den Kindern auch gut, denn sie macht den Kopf frei für neue Ideen.

Was über das Gründer-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Ich habe die Bandbreite an Themen, die man als Gründer:in abdecken muss, ehrlich gesagt etwas unterschätzt: von der Gründungsidee und Website-Erstellung, über Finanzierungsrunden und Mitarbeiter:innen-Gewinnung hin zum Onboarding von Neukund:innen kommen viele Themenbereiche zusammen. Man sollte viele strategische Entscheidungen fällen können, sein eigenes Können ständig hinterfragen und sich neue Wissensgebiete aneignen – ganz besonders am Anfang, wenn man noch eine One-Woman-Show ist.

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Eine große Herausforderung für mich war es, bereits getroffene Entscheidungen zu konkreten Ideen oder der strategischen Stoßrichtung immer wieder zu hinterfragen und sich von vielem wieder zu verabschieden. Den Mut, Dinge von Null zu entwickeln und gedanklich agil zu bleiben, war für mich eine Challenge, bei der ich aber immer dazu lernen konnte.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, auf das eigene Bauchgefühl zu hören, frei nach dem Motto: „Vertraue deinem Instinkt“. Denn das ist besser, als strategische Abwägungen nur sehr langsam zu tätigen, die im Zweifel dann nicht weiter helfen. Wir haben anfangs zu viel Zeit auf Diskussionen zu möglichen Produktfeatures verbracht, und dabei aber den Kern des Produkts aus den Augen verloren. Mein Bauchgefühl sagte mir von Anfang an, dass einige Features zu früh entwickelt noch nicht sinnvoll seien. Einer meiner Fehler war auch zu lange abzuwarten, ehe finale Entscheidungen getroffen wurden.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Wir sind noch ein relativ kleines Team, aber gerade in einer spannenden Wachstumsphase. Um neue Talente zu finden, setzen wir aktuell vor allem auf unser bestehendes Netzwerk und tauschen uns mit anderen Gründer:innen aus. Bei uns in Ostwestfalen gibt es dafür viele Anlaufstellen und inspirierende Workspaces, wie zum Beispiel Hinterland of Things oder die Founders Foundation.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründerinnen?
Mein Tipp an alle Gründer:innen: sich frühzeitig Einschätzungen zu Produkt und Performance von bereits erfahrenen Gründer:innen abzuholen. Vor allem aber solltet ihr die Zielgruppe bzw. eure Kund:innen sowie ihre sich stetig verändernden Anforderungen und Bedürfnisse – wie beispielsweise inmitten der Corona-Krise – im Blick behalten.

Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Ohne digitale Tools wie Zoom, Trello, Slack, Miro und Google Drive geht bei uns gar nichts. Zoom und Slack sind dabei unsere Kommunikationstools, Trello unser virtuelles Kanban-Board. Miro bietet uns als digitales Whiteboard die Chance, unsere Ideen und Visionen zu dokumentieren, die nun remote weiterentwickelt werden.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Ich finde einen offenen Umgang im Team sehr wichtig, beispielsweise indem man sich nach dem Wohlbefinden der Kolleg:innen erkundigt und sich gegenseitig auch remote unterstützt. Wir nutzen unser morgendliches Daily nicht nur, um über Projekte zu sprechen, sondern auch um mal von unseren Wochenenden zu erzählen oder uns aktuell zu interessanten Clubhouse-Talks auszutauschen. Die zufälligen Gespräche an der Büro-Kaffeemaschine fehlen mir persönlich tatsächlich sehr. Dennoch gibt es auch im Homeoffice hin und wieder Überraschungen für das Team: Im Herbst, als der zweite Lockdown los ging, gab es kleine Snack-Pakete und auch für die Weihnachtsfeier haben wir uns ein sehr unterhaltsames, digitales Programm einfallen lassen. Ich finde solche kleinen Aufmerksamkeiten wichtig, um mich auch auf diesem Wege bei den Kolleg:innen für ihren Einsatz zu bedanken.

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Dazu fällt mir einer der ersten Pitches um einen Neukunden ein, welcher im Remote-Modus per Videokonferenz mitten im ersten Lockdown stattfand. Ich war eigentlich perfekt vorbereitet – eigentlich! Ich hatte den Termin extra auf die Mittagszeit gelegt, wenn mein kleinstes Kind schläft. Kaum ging die Videokonferenz los, hörte ich aus dem Kinderzimmer Gequengel. Ich bat um eine kurze Unterbrechung, um meine jüngste Tochter zu beruhigen. Zurück am Laptop ging es genau fünf Minuten gut. Ich war nach der dritten Unterbrechung völlig aus dem Konzept und der Pitch war alles andere als ein Erfolg. Mein Learning: Beim nächsten Pitch werde ich dafür sorgen, dass sich jemand anderes, zum Beispiel mein Mann, in der Zeit um die Kinder kümmert und ich meine Aufmerksamkeit vollkommen auf die Arbeit legen kann.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

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Foto (oben): flowflake

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.