#Interview

“Meine Tochter sagt, wir schreiben auf, wie die Ärzte richtig arbeiten”

Acht Jahre nach dem Start beschäftigt Amboss rund 350 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich. Investoren wie Partech, Target Global und Cherry Ventures investierten zuletzt 30 Millionen Euro in Amboss.
“Meine Tochter sagt, wir schreiben auf, wie die Ärzte richtig arbeiten”
Mittwoch, 7. Oktober 2020VonAlexander Hüsing

Das 2012 gestartete Unternehmen Amboss, das von den drei Ärzten Kenan Hasan, Madjid Salimi und Sievert Weiss gegründet wurde, will angehenden Medizinern erleichtern, sich auf Prüfungen vorzubereiten und bietet dazu eine Lernplattform an. “Unsere Software wird als Subscription vom Nutzer abonniert, wie man das zum Beispiel von Netflix kennt. Zunächst wird das Abo meist von den Anwendern selbst getragen. Dann sehen wir häufig eine Entwicklung: Über die Zeit werden ab einer kritischen Masse dieser Endnutzer die Lizenzkosten von der jeweiligen Institution – Krankenhaus oder Universität – für alle Nutzer übernommen”, erklärt Mitgründer Weiss das Geschäftsmodell von Amboss.

Inzwischen arbeiten rund 350 Mitarbeiter für das Unternehmen. Das Startup erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich. Investoren wie Partech, Target Global und Cherry Ventures investierten zuletzt 30 Millionen Euro in Amboss. Dieses Geld soll vor allem in die Erstellung der Inhalte fließen. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Amboss-Macher außerdem über die Expansion in die USA, Grundbausteine und COVID-19.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Amboss erklären?
Meine große Tochter Greta – 6 – sagt, wir schreiben auf, wie die Ärzte richtig arbeiten. Das würde meine Großmutter auch verstehen, denke ich. Vielleicht würde ich meiner Großmutter noch erklären, dass es immer mehr medizinisches Wissen gibt und es schwierig bis unmöglich ist als Arzt alleine den Überblick zu behalten. Weswegen wir uns für die Ärzte dieses ganze Wissen anschauen, filtern und gewichten und dann verständlich zusammenfassen, worauf es bei der richtigen Anwendung ankommt.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Wir haben ja im Wesentlichen das Konzept “Wissensvermittlung an und für Mediziner, so dass diese in der Flut der Informationen richtige Entscheidungen treffen können” – das hat sich eigentlich nicht verändert. Aber seither stark erweitert: Haben wir damals mit der Examensvorbereitung angefangen, so decken wir heute das gesamte Wissen von Tag 1 des Studiums bis hin zum Facharzt ab. Im deutschsprachigen Raum sind wir da schon sehr weit, im englischen ziehen wir nach und bauen gerade das Produkt für Ärzte.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Für uns war die Zeit ein Katalysator. Es gab eine riesige Nachfrage nach aktuellem Wissen: Allein bei COVID-spezifischen Inhalten stiegen die Zugriffe von 500 auf mehr als 22.000 täglich. Wir haben flexibel darauf reagiert und COVID-19-Kapitel in sechs Sprachen herausgegeben. Krankenhäuser hatten einen Bedarf ihre Mitarbeiter auf intensivmedizinische Praktiken wie Beatmung etc. vorzubereiten, zu denen wir Informationen frei zur Verfügung gestellt haben. Für Studierende hat das digitale Lernen mit Amboss gerade in Zeiten ohne Präsenzveranstaltungen zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Das globale Hiring war anfangs allerdings nur eingeschränkt möglich. Aber wie auch beim Home Office haben wir hier sehr gute Lösungen gefunden.

Investoren wie Partech, Target Global und Cherry Ventures investierten zuletzt 30 Millionen Euro in Amboss. Wofür braucht ihr so viel Geld?
Es bedarf viel Arbeit und einer Fachredaktion aus Experten, um das exponentiell zunehmende Wissen zu aggregieren, zu sichten und auf das Wesentliche herunter zu brechen. Und immer mehr Technik, die dieses Ziel so gut wie möglich unterstützt und auf ein anderes Level bringen soll. Bei allem ist nicht zu vergessen, dass diese Errungenschaften nicht nur Deutschland und den USA vorbehalten sein sollen. Sondern idealerweise in jeden Winkel der Erde getragen werden, weil wir davon überzeugt sind, dass das ein wesentlicher Baustein der Partizipation eines jeden einzelnen ist. Das ist ein langer Weg.

Wie ist überhaupt die Idee Amboss Startup entstanden?
Kenan, Madjid und ich haben 2010 gemeinsam für das medizinische Abschlussexamen gelernt – und waren sehr frustriert von den damaligen Möglichkeiten zur Vorbereitung. Wir hatten aber einen Lernstil entwickelt, bei dem wir uns gegenseitig viele Fragen zu Funktionsweisen gestellt und wesentliche Prinzipien und Zusammenhänge erklärt haben. Irgendwann fragten wir uns, warum nicht eigentlich eine Software genauso mit einem Lernen könnte.

Die Wurzeln von Amboss liegen in Köln. Was hat euch nach Berlin verschlagen?
In Köln konnten wir 2012 glücklicherweise eine leerstehende Wohnung kostenfrei nutzen, deswegen haben wir uns am Anfang die meiste Zeit dort aufgehalten. Aber schon drei, vier Monate nach dem Start haben wir zusätzlich eine Neuköllner Hinterhof-Wohnung angemietet, weil einige aus dem Team, Kenan und ich inklusive, in Berlin lebten. Über die Jahre ist Berlin stark gewachsen. Wir haben Büros an der Torstraße und inzwischen auch ein etwas größeres in Köln. Zuletzt öffneten wir unser Büro in New York für den US-Markteintritt. Zusammen ermöglichen uns alle Städte und natürlich auch die ausgedehnte Möglichkeit des Home Office aus einem Pool an Talenten zu schöpfen.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Unsere Software wird als Subscription vom Nutzer abonniert, wie man das zum Beispiel von Netflix kennt. Zunächst wird das Abo meist von den Anwendern selbst getragen. Dann sehen wir häufig eine Entwicklung: Über die Zeit werden ab einer kritischen Masse dieser Endnutzer die Lizenzkosten von der jeweiligen Institution – Krankenhaus oder Universität – für alle Nutzer übernommen.

Wie hat sich Dein Unternehmen seit der Gründung entwickelt?
In unserem ersten Büro in Köln zog es ein wenig, die Wände waren nicht ganz dicht, das ist heute besser. Unsere Büros sind wirklich schön und wir fühlen uns sehr wohl. Meetings fanden früher nur auf deutsch und häufig auf dem Balkon oder in der Küche statt, heute spreche ich in Meetings meistens englisch in einen großen Bildschirm an der Wand. Auch die Atmosphäre hat sich natürlich etwas gewandelt. Früher war alles wilder, der kurze Dienstweg war stark frequentiert. Heute und bei der Anzahl an Mitarbeitern braucht es mehr feste Abmachungen. Der Kaffee hat sich dagegen nicht verändert, der war schon immer sehr lecker.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist dein Startup inzwischen?
Wir haben rund 350 feste Mitarbeiter in drei Büros – Berlin, Köln und New York -, davon circa ein Drittel Ärzte, einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich und 100 % Wachstum Year-over-Year.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Natürlich ist nicht immer alles perfekt und nach Plan gelaufen, keine Frage, aber richtig schief gegangen ist eigentlich noch nix – dafür haben wir mit zu vielen wichtigen Initiativen Erfolg gehabt. Was hätten wir noch mehr machen sollen? Noch stärker auf uns als Unternehmen und unsere Vision aufmerksam machen. Wir waren lange Zeit unter dem Radar unterwegs und auf unser Produkt fokussiert. Aber wir brauchen auch noch viele, viele gute Leute, die erst noch von uns erfahren müssen. Damit das noch besser funktioniert, haben wir uns zuletzt mit Saikat Das, zuvor in Managerposition bei Amazon, jede Menge Marketing-Know-how an Bord geholt.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Das erste Produkt, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete und innerhalb eines Jahres 90 % Marktanteil eroberte, ist der Grundbaustein von allen nachfolgenden gewesen. Da hatten wir, vermutlich aufgrund unserer Zielgruppennähe, ein sehr gutes Gespür für den enormen Bedarf. Nach diesem Erfolg zu verstehen, dass da noch viel mehr möglich ist, und das Studium nur ein kleiner Teil innerhalb des ganzen Lebenszyklus eines Mediziners ist – der aber an jeder Stelle auf Wissen basiert – war die zentrale Erkenntnis bisher. Ein wesentlicher Bestandteil unseres Erfolges ist das Team und die Kultur: Hier haben wir intuitiv einiges richtig gemacht, sehr sorgfältig die Mitglieder unserer Familie ausgewählt. Dabei vor allem auf “high IQ AND high EQ” geachtet und dann gemeinschaftliche Werte gelebt, die uns heute und noch lange prägen werden.

Wo steht Amboss in einem Jahr?
Ich hoffe wir sind ein großes Stück weiter auf dem Weg, Mediziner weltweit mit evidenzbasierten, praktischen Informationen zu versorgen. Dass dieses Wissen wirklich im klinischen Alltag angewendet wird. Konkret wird das vor allem die Etablierung unseres englischsprachigen Amboss für Ärzte bedeuten. Aber auch den Ausbau des Angebots für deutsche Ärzte auf inhaltlicher und technischer Seite, den Ausbau der Lernmethodik für Studierende sowie die Etablierung unserer Global Health Initiative, die Amboss in die Winkel der Erde bringt, die andere Zugangsmodelle brauchen.

Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness

In unserem Themenschwerpunkt Köln berichten wir gezielt über die Digitalaktivitäten in der Rheinmetropole. Mit circa 400 Startups, über 60 Coworking Spaces, Acceleratoren und Inkubatoren sowie attraktiven Investoren, zahlreichen Veranstaltungen und Netzwerken bieten Köln und das Umland ein spannendes Ökosystem für Gründerinnen und Gründer. Diese Rubrik wird unterstützt von der KölnBusiness Wirtschaftsförderungs-GmbH#Koelnbusiness auf LinkedInFacebook und Instagram.

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Foto (oben): Amboss

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.