#Interview

“Es ist der Faktor Mensch, der uns von anderen unterscheidet”

"Kohle und Stahl gehören zur Historie des Ruhrgebiets – das ist gut, kann und sollte auch vermittelt werden. Es darf jedoch nicht zu dem Eindruck führen, das Ruhrgebiet sei nicht länger handlungsfähig und dem Verfall preisgegeben", sagt Andreas Lüning, Mitgründer von G Data.
“Es ist der Faktor Mensch, der uns von anderen unterscheidet”
Montag, 2. März 2020VonAlexander Hüsing

Auf vielen Computern weltweit ist die Antivirensoftware von G Data installiert. Kein Wunder: Bereits im Jahre 1985 gegründet, ist das Unternehmen einer der größten Hersteller von IT-Sicherheitslösungen. G-Data-Mitgründer Andreas Lüning war sogar der erste Mensch überhaupt, der eine Antivirensoftware programmiert und kommerzialisiert hat. Das Softwarehaus erwirtschaftet pro Jahr inzwischen rund 40 Millionen Euro Umsatz, beschäftigt knapp 500 Mitarbeiter. Und was die wenigsten wissen: G Data ist ein Unternehmen mit Sitz in Bochum. Im Ruhr-Interview mit deutsche-startups.de spricht Lüning einmal ausführlich über den Startup-Standort Ruhrgebiet.

Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Das Ruhrgebiet ist ein dezentraler Wirtschaftsraum, der eine einzigartig mannigfaltige gesellschaftliche, kulturelle und bildungsorientierte Landschaft bietet. So lassen sich leichter Ideen entwickeln und miteinander vernetzen. Die Dichte an Universitäten und Hochschulen ist ein hervorragendes Werkzeug zur Zusammenarbeit und zur Übernahme von qualifiziertem Personal. Sie bietet aber auch einen idealen Nährboden für Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen.

Was genau macht den Reiz der Startup-Szene in Bochum aus?
Der Standort Bochum bietet viele Möglichkeiten zur Vernetzung von Ideengebern, von bestehenden Unternehmen, von Bildungseinrichtungen und von Investoren. Bochum hat sich außerdem zu einem IT-Security-Hotspot entwickelt. Nicht nur unser eigenes Unternehmen trägt dazu bei, sondern auch der Lehrstuhl für IT-Sicherheit an der Ruhr-Universität, das Horst-Görtz-Institut sowie die Ansiedlung der Max-Planck-Gesellschaft mit ebenfalls einem Institut für dieses Feld. Die Stadt Bochum hat sich das Thema Bildung sehr groß auf die Fahne bzw. sein Stadtlogo geschrieben – eine Strategie, die aufgeht.

Was ist in Bochum einfacher als im Rest der Republik?
Ich denke, es ist der Faktor Mensch, der uns in dieser Region von anderen unterscheidet. Wir knüpfen hier sehr schnell Kontakte, und wir sind gegenüber neuen Unternehmern aufgeschlossen, sehen ihn oder sie als Mehrwert, nicht als Mitbewerber. Bei uns werden neu gesponnene Ideen nicht blockiert, sondern treffen auf interessierte Zuhörer, Gleichgesinnte, Kritiker, Unterstützer und „Strippenzieher“.

Was fehlt in Bochum bzw. im Ruhrgebiet noch?
Leider fehlt es Bochum und auch der Metropole Ruhr, trotz vielversprechender Kampagnen, immer noch an einem gesunden Selbstbewusstsein. Ich bemerke zwar eine spürbare Verbesserung dieser Situation, merke aber auch, dass es noch sehr viel Kraft bedarf, das Image als aufgegebenen Kohle- und Stahlstandort abzulegen. Viele Unternehmen, egal ob Startup oder etabliert, tragen maß- gebend zur Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche weit über die Grenzen des Ruhrgebiets bei, bleiben aber meist unter einer „medienwirksamen Hörschwelle“.

Zum Schluss hast du drei Wünsche frei: Was wünscht du dir für den Startup-Standort Ruhrgebiet?
Kohle und Stahl gehören zur Historie des Ruhrgebiets – das ist gut, kann und sollte auch vermittelt werden. Es darf jedoch nicht zu dem Eindruck führen, das Ruhrgebiet sei nicht länger handlungsfähig und dem Verfall preisgegeben. Längst hat sich die Region darüber hinaus weiterentwickelt. – Das medienwirksame „zu Grabe tragen“ des Bergbaus sollte aufhören und die „Glorifizierung der Old Economy“ in Bezug zur außerordentlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte gebracht werden. Und auch ein Zusammenspiel der teilweise politisch unterschiedlich aufgestellten Städte der Metropole Ruhr wäre wünschenswert. Die Städte sollten an einem Strang ziehen und sich gemeinsam strategisch orientieren und nicht in Wettbewerb zueinander treten. Leider eine Aufgabe, die nicht allein den Stadträten zuzuordnen ist, sondern eine Herausforderung an die Bevölkerung, sich nicht länger an Stadt- oder Stadtteilgrenzen zu orientieren. Teil dessen wäre ein einheitliches, von der Tarifstruktur einfach zu verstehendes und gut zu nutzendes öffentliches Nahverkehrssystem, das von allen Teilen der Bevölkerung akzeptiert, und – im wahrsten Sinne des Wortes – zielführend und schnell eingesetzt werden kann.

Themenschwerpunkt Ruhrgebiet

#Ruhrgebiet: Gemeinsam mit dem ruhr:HUB berichtet deutsche-startups.de regelmäßig über die Startup-Szene im Ruhrgebiet. Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Digital-Gründer – mehr im Startup Guide Ruhrgebiet. Das Buch “Wann endlich grasen Einhörner an der Emscher” wiederum erzählt die spannendsten Startup- und Grown-Geschichten aus dem Ruhrgebiet.

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Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.