#Interview

“Bei einer Neuausrichtung steckt der Teufel im Detail”

"Wir haben zusammen mit unseren Investoren den Prozess vorbereitet und vollzogen. Hier haben wir das große Glück, einen sehr konstruktiven, smarten und unterstützenden Gesellschafterkreis hinter uns zu wissen", sagt Enno Kuntze, Mitgründer von Wellnow, zum gerade vollzogenen Pivot.
“Bei einer Neuausrichtung steckt der Teufel im Detail”
Donnerstag, 20. Dezember 2018VonAlexander Hüsing

In unserem Themenschwerpunkt Pivot geht es um Start-ups, die ihren Kurs geändert haben. Grundsätzlich hat sich ein strategischer Kurswechsel bei vielen Startups bewährt. Statt ein totes Pferd zu reiten, ist ein Pivot immer die bessere Entscheidung. Im Pivot-Interview mit deutsche-startups.de spricht Enno Kuntze, Gründer und Geschäftsführer von Wellnow, über Kundenbeziehungen, Recruiting und Bauchgefühle.

Wellnow wandelte sich gerade zum B2B-Anbieter. Warum habt ihr Euer Geschäftsmodell geändert?
Wir haben vor allem in den letzten sechs Monaten das Momentum und die Relevanz von Gesundheitsangeboten in Unternehmen erkannt. Aber auch Unternehmen haben verstanden, dass sie mehr in ihre Mitarbeiter und ins Employer Branding investieren müssen. Wir sehen riesiges Potenzial im Markt der betrieblichen Gesundheitsförderung und sind als Unternehmen optimal aufgestellt, um dort erfolgreich zu sein. Vor allem sehen wir es auch als positiven gesellschaftlichen Beitrag, die Gesundheit der Mitarbeiter dieses Landes zu stärken. Daher legen wir jetzt vollen Fokus auf dieses Thema und sind so in der Lage für unsere Partner ein attraktiveres Angebot zu schaffen und unseren Service noch mehr auf die speziellen Bedürfnisse von Firmenkunden auszurichten. Außerdem gibt es noch keinen bundesweiten, digitalen, professionellen Anbieter für On-Site Gesundheitsangebote – die Anbieterseite ist extrem fragmentiert und intransparent, da greifen wir an. Nicht zuletzt bietet das B2B-Geschäftsmodell natürlich auch einige Vorteile gegenüber B2C, wie etwa langfristige Kundenbeziehungen, wiederkehrende Umsätze und damit auch bessere Planbarkeit.

Was war die größte Herausforderung, was die größte Schwierigkeit bei diesem Wandel?
Bei einer Neuausrichtung steckt häufig der Teufel im Detail. Es ist uns sehr schwer gefallen, dass wir uns von einigen internen Kollegen trennen mussten, die zum großen Teil im B2C-Kundenservice beschäftigt waren. Um dem Team Sicherheit zu geben und für Motivation zu sorgen, haben wir uns in dieser Zeit um maximale Transparenz bemüht. Wir haben viele Einzelgespräche geführt und im Rahmen eines Team-Offsites alle Kollegen von der neuen Vision begeistern können. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, jeder Mitarbeiter steht mit Begeisterung hinter der neuen Ausrichtung. Wir haben ein tolles Team und sind glücklich, wie motiviert alle den Wandel mit begleitet haben. Daneben gab es natürlich auch noch zahlreiche technische, prozessuale und auch kommunikative Anpassungen. Eine weitere Herausforderung war, dass wir den Wandel auch unseren Privatkunden und Partnern kommunizieren mussten. Glücklicherweise wurde uns hier sehr viel Verständnis entgegengebracht, was uns sehr erleichtert hat. So eine Neuausrichtung fühlt sich wie eine Neugründung an. Klar, wir hatten schon vieles etabliert und sehr gute Grundlagen. Dennoch haben wir die Situation genutzt, um die Segel neu zu setzen und alles Bisherige auf den Prüfstand zu stellen, um neue Fahrt aufzunehmen und als besseres Unternehmen aus dem Wandel hervorzugehen.

Welche Veränderungen waren in Sachen Personal nötig – ein B2B-Unternehmen braucht doch sicherlich andere Mitarbeiter als ein B2C-Start-up?
Das war, wie bereits erwähnt, der schwierigste Teil an der ganzen Veränderung. Es hat vor allem Kollegen getroffen, deren Arbeit komplett auf B2C ausgerichtet war. Wir haben mit jedem einzelnen gesprochen, denn das Ziel war es, dass wir möglichst alle Kollegen behalten wollten. Leider hat das nicht bei jedem Mitarbeiter geklappt. Glücklicherweise achten wir bereits im Recruiting darauf, dass alle Kandidaten keine starren Profile haben, sondern an ihren Aufgaben wachsen und sich weiterentwickeln können. Zudem haben wir bereits seit längerem sowohl das B2C- als auch B2B-Geschäft betrieben, sodass ohnehin alle Mitarbeiter mit dem Firmenkundengeschäft vertraut sind. Das kam uns in dieser Situation zugute. Am Ende des Tages hat uns die Motivation aller Mitarbeiter an neuen Themen zu arbeiten überrascht. So eine Reaktion des Teams ist keine Selbstverständlichkeit.

Wie haben eure Investoren auf Euren Pivot reagiert?
Wir haben zusammen mit unseren Investoren den Prozess vorbereitet und vollzogen. Hier haben wir das große Glück, einen sehr konstruktiven, smarten und unterstützenden Gesellschafterkreis hinter uns zu wissen. Auch wenn es eine harte Entscheidung war, haben wir von mehreren Investoren positives Feedback auf unsere Proaktivität erhalten. Es ist nicht selbstverständlich, dass Gründer einen solchen Schritt aus eigener Initiative gehen, ohne dass Sie etwa durch Finanzierungsnot dazu gezwungen sind. Viele laufen einfach ins offene Messer. Wir haben viel Respekt und Support für unsere Entscheidung bekommen.

Und was haben Eure eunden gesagt?
Über die Jahre hinweg haben wir eine treue Kundschaft aufbauen können. Daher waren auch viele von ihnen enttäuscht von unserer Entscheidung. Umso wichtiger war es für uns, alle interessierten Kunden mit den entsprechenden Massagetherapeuten zusammenzubringen. So können bestehende Beziehungen auch ohne unsere Plattform weitergeführt werden. Wir wollten uns damit auch gegenüber unseren loyalen Partnern erkenntlich zeigen. Denn mit den meisten arbeiten wir ja auch im B2B-Geschäft weiterhin zusammen.

Ist B2C nun gar kein Thema mehr für euch?
Klar, haben wir überlegt, das B2C-Geschäft weiterlaufen zu lassen und glauben auch nach wie vor an unsere ursprüngliche Vision. In unserer Gesellschaft wird der Bedarf nach Gesundheits- und Wellnessangeboten weiter wachsen. Das Bewusstsein für den eigenen Körper wird weiterhin geschärft werden und ein Service wie die mobile Massage On-demand ist nach wie vor notwendig. Das sehen wir alleine daran, dass einige unserer ehemaligen Partner jetzt ihre eigenen – lokalen – Unternehmen starten, um die bestehende Nachfrage zu bedienen. Das On-demand Business für derartige Dienstleistungen im B2C-Geschäft ist allerdings sehr herausfordernd und hat uns teilweise – vor allem bei der Skalierung – vor Herausforderungen gestellt, wo wir entschieden haben, dass Aufwand und Ertrag für uns nicht im Verhältnis stand. Wir möchten nicht ausschließen, dass wir den Privatkundenservice eines Tages wieder aufleben lassen. Allerdings entwickelt sich das Unternehmen gerade so positiv, dass wir uns das aktuell nicht vorstellen können.

Welchen Tipp gibst du anderen Gründern, die vor einem Pivot stehen?
Proaktivität ist super wichtig. Wenn man sich kritisch hinterfragt, sprechen Zahlen und auch das eigene Bauchgefühl meistens eine deutliche Sprache. Stellt sich heraus, dass eine andere Richtung erfolgversprechender ist, sollte man alles, was bis dato passiert ist, als Learning bzw. Sunk Costs betrachten und den Pivot so schnell wie möglich umsetzen. Oft sind es die schwierigen Entscheidungen, die einen nach vorne bringen und etwas positives bewegen. Leichte Entscheidungen sind zwar eben leicht, bringen einen aber häufig nicht viel weiter.

Wo steht Wellnow in einem Jahr?
Unser Ziel im nächsten Jahr ist es, das Wachstum im selben Tempo wie 2018 fortzuführen, dabei aber auch die Prozesse im Hintergrund belastbar und damit skalierbarer zu machen. Im Vergleich zum B2C-Geschäft, können im B2B-Geschäft schon kleine Fehler ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg sein. Deshalb ist ein professionelles Arbeiten noch essenzieller als im B2C-Geschäft. Auf diese Weise können wir im nächsten Schritt noch effizienter wachsen und mit weiteren Verticals – Gesundheit, Fitness, Meditation, Coaching – langsam in Richtung Profitabilität steuern.

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Foto (oben): wellnow

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.