15 Fragen an Vishal Rai

“Beurteile niemals ein Buch nach seinem Cover”

"Durch unsere persönliche Erfahrung mit Firmen wie BMW, Deutsche Telekom, Commerzbank, Vodafone, Allianz, Continental und Volkswagen, kann ich stolz feststellen, dass die deutschen Unternehmen ein echter Wegbereiter für Startups in Deutschland sind", sagt Vishal Rai, Mitgründer von Acellere.
“Beurteile niemals ein Buch nach seinem Cover”
Freitag, 2. März 2018VonAlexander Hüsing

Jeden Freitag beantwortet ein Gründer oder eine Gründerin unseren standardisierten Fragebogen. Der Fragenkatalog lebt von der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Fragen, die alle Gründerinnen und Gründer beantworten müssen – diesmal antwortet Vishal Rai, Mitgründer von Acellere. Capnamic Ventures und einige Business Angels investieren kürzlich 2,25 Millionen Euro in das Unternehmen, das Rai gemeinsam mit Sudarshan Bhide führt. Acellere entwickelt mit Gamma eine Software, “die es Firmen ermöglicht die Qualität ihrer Software zu verbessern und die Produktivität bei der Fehlersuche im Code zu erhöhen”.

Was bedeutet es Dir, Dein eigener Chef zu sein?
Es war ein tolles Gefühl, nicht nur mein eigener Chef zu sein, aber vielmehr die Möglichkeit zu haben, meine Ideen umzusetzen, ohne die Zustimmung von irgendjemandem suchen zu müssen. Aus einer Unternehmenswelt kommend, glaube ich, dass wir in ein falsches Gefühl der Selbstgefälligkeit fallen, dass wir großartig sind, aber tatsächlich sind es nicht unsere persönlichen Fähigkeiten, sondern eher die Fähigkeiten der großen Firma, für die wir arbeiten. Wenn man jedoch sein eigenes Unternehmen gründet und niemand hinter einem steht, ist dies der wahre Test der Widerstandsfähigkeit. Neben der Aufregung gab es auch eine Menge Nervosität darüber, alleine zu beginnen.

Bei welcher Gelegenheit kam Dir die Idee zu Deinem Start-up?
Ich sah überall Softwarefehler, egal wie groß oder klein eine Firma war. Das hat mich dazu gebracht zu glauben, dass bestehende Tools und Qualitätskontrollplattformen nicht ausreichen und mehr getan werden muss. Angesichts der Tatsache, dass ich keine Lösung finden konnte, die meine Frage nach der Art und Weise einer solchen Plattform, die ich verwenden könnte, um Software-Qualität zu den Standards zu gewährleisten, die die Welt heute braucht beantwortete, entschieden Sudarshan und ich, diese Software auf eigene Faust zu entwickeln und begannen Acellere.

Woher stammte das Kapital für Dein Unternehmen?
Das Kapital kam von Sudarshan und mir in Form eines Darlehens.

Was waren bei der Gründung Deines Start-ups die größten Stolpersteine?
Als wir das Unternehmen gründeten, gingen wir davon aus, dass wir in Deutschland Risikokapital erhalten konnten, denn unser Gründungsteam war stark, erfahren und unser Produkt war das Bedürfnis der Stunde. Allerdings unterschätzten wir die Komplexität des VC-Umfelds in Deutschland im Jahr 2009 und unsere Unfähigkeit, die 30 seltsamen VCs zu überzeugen, die sowohl auf Regierungsebene als auch auf privater Ebene waren. Das war äußerst entmutigend. Zweitens sind die Kosten für die Gründung eines Startups in Deutschland viel zu teuer – ich bin immer noch verblüfft über die Rolle und die Kosten von Notaren in Deutschland gegenüber anderen entwickelten Ländern. Dies ist etwas, was die Regierung ernsthaft prüfen sollte, da es lächerlich ist, dass einige der höchsten Kosten, die Startups hier zu tragen haben, rechtliche, Buchhaltungs- und Compliance-Kosten sind, noch bevor sie in Gang kommen können. Wir hatten das Glück, dass das Gründungsteam von Unternehmen kam und wir damit anfangen konnten, Projekte zu finanzieren, um unser Start-up zu finanzieren und kein Geld von Dritten zu benötigen.

Was würdest Du rückblickend in der Gründungsphase anders machen?
Im Rückblick würde ich zwei Dinge anders machen: Zuerst würde ich einige Mitglieder meines Gründungsteams anders wählen. Das empfehle ich dringend anderen Startup-Gründerteams vor allem in Deutschland – beurteile niemals ein Buch nach seinem Cover. Führen Sie angemessene Due-Diligence-Prüfungen, Background-Checks durch und sehen Sie, wie die Leute mit schwierigen Situationen umgehen. Arbeiten Sie in Teams, bevor Sie ihnen Equity- oder Management-Rollen zuweisen. Nur weil jemand ein guter Projektmanager war in der Vergangenheit, bedeutet es nicht, dass er oder sie ein guter Unternehmer sein würde – deshalb Lektion eins: gründlich ihre Fähigkeiten auswerten und richtige Background-Checks, sonst kann eine falsche Wahl nicht nur die Strategie des Unternehmens verletzen, sondern auch das Unternehmen finanzielle Schmerzen kosten. In den darauf folgenden Jahren haben wir einige Entscheidungen getroffen und damit auch korrigiert.
Zweitens hätte ich vielleicht darüber nachgedacht, Acellere in den USA oder in Großbritannien zu gründen, angesichts der mangelnden Reife, der Weitblick oder Erfahrung einiger der damals führenden VCs in Deutschland. Noch dazu der Mangel an unternehmerischer Erfahrung. Zum Glück sehen wir heutzutage mehr unternehmerische VCs auftauchen, die von ehemaligen Unternehmern selbst geführt werden, und das ist ein gutes Zeichen. Wenn Sie die Erfolgsgeschichten der führenden globalen VCs betrachten, wurden diese alle von ehemaligen Unternehmern geleitet, da sie Chancen und Potenziale aus der Vergangenheit verstanden haben. Ich kann wetten, dass kein VC in Deutschland – besonders die größeren – die geringste intellektuelle Fähigkeit hat, in Startups wie Airbnb und Uber zu investieren. Auf der anderen Seite gebe ich deutschen Unternehmen die volle Punktzahl, sie sind die wahren Unterstützer des deutschen Startup-Ökosystems und unterstützen die Startups durch Piloten und andere Möglichkeiten – also Hut ab und ein großes Dankeschön an sie. Durch unsere persönliche Erfahrung mit Firmen wie BMW, Deutsche Telekom, Commerzbank, Vodafone, Allianz, Continental und Volkswagen, kann ich stolz feststellen, dass die deutschen Unternehmen ein echter Wegbereiter für Startups in Deutschland sind und meiner Meinung nach ein perfektes Beispiel für eine ideale Corporate-Startup-Partnerschaft.

Jedes Start-up muss bekannt werden. Welche Marketingspielart ist für Euch besonders wichtig?
Ich denke, ein Startup sollte jede Gelegenheit nutzen, um seine Präsenz zu verbreiten. Die einfachsten – und niedrigsten Kosten – sind über ihre eigenen Social-Media-Kanäle. Die Teilnahme an Veranstaltungen, die Beantragung aller möglichen staatlichen Zuschüsse, die Begleitung von Inkubatoren und Accelerator-Programmen von Unternehmen, die lokale Presse in ihrer Nachbarschaft sind Beispiele für Vermarktungswege, die ein Startup verfolgen sollte. Im Laufe der Zeit können sie messen, welche Kanäle ihnen mehr ROI bringen, und sie könnten dann ihre Bemühungen entsprechend anpassen.

Welche Person hat Dich bei der Gründung besonders unterstützt?
Alle meine Freunde, Kunden und Familie haben uns sehr unterstützt, als wir die Firma gründeten

Welchen Tipp gibst Du anderen Gründern mit auf den Weg?
Ich zitiere Steve Jobs: “Ich bin davon überzeugt, reine Ausdauer macht etwa die Hälfte von dem aus, was erfolgreiche von erfolglosen Unternehmern unterscheidet.” Also halte den Glauben, sei belastbar, wähle deine Mitgründer weise und gib niemals auf.

Du triffst die Bundeswirtschaftsministerin – was würdest Du Dir für den Gründungsstandort Deutschland von ihr wünschen?
Drei Dinge, die sie direkt tun sollten: Erstens: Kosten reduzieren – Regulierung von Rechts- und Compliance-Kosten für Startups. Was ist diese Notarbezahlung überhaupt? Warum sollte ich einen Notar zahlen, wenn ich Anwälte für die Vorbereitung aller Dokumente bezahle? Warum steigen die Notarkosten, wenn meine Einnahmen hoch gehen? Zweitens: Etwas Liebe zeigen! Erlauben Sie Gründern, etwas Sozialversicherung zu haben. Besonders, wenn man Firmengründer geworden ist und seinen Corporate-Job verlassen hat. Natürlich gibt es dabei einige Vorbehalte – warum sollte ein Gründer, der für ein Unternehmen vorher arbeitete und soziale Sicherheit hatte, alles verlieren, sobald er sich wagt mehr Arbeitsplätze zu schaffen? Es fühlt sich an, als ob die deutsche Regierung Unternehmer hasst. Drittens: Reduzieren Sie die langfristige Kapitalgewinnsteuer – wenn Sie den Gründern keine soziale Sicherheit geben können, haben Sie kein Recht, ihn auf seinen Erfolg mit 25% zu besteuern. Das ist einfach nur gierig.

Was würdest Du beruflich machen, wenn Du kein Start-up gegründet hättest?
Ich wäre wohl mittlerweile der CEO von Apple. Kleiner Scherz. Jetzt aber mal im Ernst: Apple muss ihr Software-Qualitätsspiel aufstocken, seitdem Steve verstorben ist.

Bei welchem deutschen Start-up würdest Du gerne mal Mäuschenspielen?
Zurzeit kommt mir kein deutsches Startup in den Sinn. Generell empfinde ich den internationalen Startup-Spirit beeindruckender.

Du darfst eine Zeitreise unternehmen: In welche Epoche reist Du?
Ich würde gerne in die 70er zurückreisen und mitten in der Zeit sein, als Unternehmen wie Apple, Microsoft und Co. den Computer entwickelten und die traditionellen Giganten wie IBM und Xerox erschütterten. Ich denke, heute passiert etwas Ähnliches, bei dem Unternehmen wie Amazon und Google die traditionellen Spieler wie IBM, HP und ihre gleichen stören.

Du hast eine Million Euro zur persönlichen Verfügung: Was machst Du mit dem ganzen Geld?
Ich würde alles in Acellere investieren.

Wie verbringst Du einen schönen Sonntag?
Ich lese ein Buch, putze meine Wohnung und experimentiere mit roher veganer Küche.

Mit wem würdest Du gerne einmal auf einen Kaffee oder ein Bier verabreden?
Ich würde sehr gerne einen Kaffee mit Lisa Nicole Brennan-Jobs, Tochter des verstorbenen Steve Jobs, trinken und versuchen zu verstehen, wie er als Vater und Individuum war.

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Foto (oben): Acellere

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.