Gastbeitrag

Startup-Finanzierung mit ICOs: Zu gut, um wahr zu sein?

Aus der Sicht der Gründer hat ein ICO praktisch nur Vorteile. Leider wird die ursprüngliche ICO-Idee von immer mehr Startups ad absurdum geführt, denn der Dezentralisierungsansatz bietet für die meisten Geschäftsmodelle eben gerade keinen wirklichen Wettbewerbsvorteil.
Startup-Finanzierung mit ICOs: Zu gut, um wahr zu sein?
Montag, 12. Februar 2018VonTeam

Weltweit gab es bisher mehr als 2.000 ICOs (Initial Coin Offerings), bei denen Startups insgesamt über 5,6 Milliarden Dollar Kapital durch den Verkauf von Tokens bzw. Coins an Investoren einnehmen konnten.

Auch einige Startups aus Deutschland konnten im Rahmen eines ICOs erfolgreich Geld einsammeln (z.B. IOTA, Lisk, Gnosis, Raiden, Simpletoken, SwipeStox) und und über 100 deutsche Startups bereiten wohl für 2018 einen ICO vor (z.B. Bitwala, Savdroid, Wysker, CloudEO, Brickblock).

Die ursprüngliche Idee von ICOs war es, eine alternative Finanzierungsmöglichkeit gegenüber dem klassischen Weg über Venture Capital zu schaffen und zudem via Tokens/Coins ein wirtschaftliches Incentivierungssystem zur schnellen Verbreitung von dezentralen Protokollen und dezentralen Netzwerken aufzubauen. Die besten Beispiele für den erfolgreichen Aufbau solcher dezentralen Strukturen mit Hilfe eines wirtschaftlichen Anreizsystems sind Bitcoin und Ethereum (Ether).

Aus der Sicht der Gründer hat ein ICO praktisch nur Vorteile: Man kann innerhalb von Wochen ein paar Millionen Euro einsammeln, ohne dafür Anteile am Unternehmen abgeben zu müssen und das ganze ohne lästige Reporting- und Rechenschaftspflichtigen gegenüber kritischen Investoren. Vesting- und Lockup-Periods gibt es nicht. Bei einem Exit fliest der Erlös vollständig in die Taschen der Gründer. Alles zu gut, um wahr zu sein? Oder wo ist der Haken?

Problem 1:

Leider wird die ursprüngliche ICO-Idee von immer mehr Startups ad absurdum geführt, denn der Dezentralisierungsansatz bietet für die meisten Geschäftsmodelle eben gerade keinen wirklichen Wettbewerbsvorteil.

Bei vielen ICOs geht es für die Beteiligten nur noch darum, sich auf einfachem Weg, die Taschen voll zu machen und unerfahrene Investoren durch Buzzwords wie „Blockchain“ und „Coins“ auszunehmen.

Im ICO-Umfeld gibt es mittlerweile zu viele unausgegorene Business Modelle, zu viele gierige Gründer und zu viele skrupellose Advisors („Crypto Enthusiasts“). Um mit einem ICO innerhalb von ein paar Wochen mehrere Millionen Dollar einzusammeln, braucht es aktuell nicht mehr als eine einfache Landing Page, ein schickes Youtube-Video, ein zusammen geschustertes Whitepaper mit dem Schlagwort „Blockchain“ und einen roten „Invest Now“-Button. Dann noch schnell eine Kampagne mit Facebook-Ads aufgesetzt (mein FB Newsfeed ist voll davon) und schon fließt das Geld. Klingt zynisch, läuft aber aktuell bei vielen ICOs genau so! (Anfang Februar 2018 hat Facebook auf diese Situation reagiert und Werbeanzeigen für ICOs untersagt.

Problem 2:

Bei fast allen ICOs geht es um den Verkauf von sog. UTILITY Tokens (in der Regel basierend auf dem ERC-20 Standard von Ethereum). Durch den Kauf von Utility Tokens erwirbt der Investor aber keine Anteile am Unternehmen und hat deshalb auch keine Aktionärsrechte, also keine Ansprüche auf einen Exit-Erlös oder auf Dividendenzahlungen. Zudem weder Stimm- noch Auskunftsrechte. Der Wert des Tokens ist damit vom geschäftlichen Erfolg des Startups (und letztendlich von der Leistung der Gründer) entkoppelt.

Ein Utility Token ist daher nicht mit einer Aktie, sondern eher mit einem vorab bezahlten Gutschein für ein noch nicht-existierendes Produkt bzw. Service zu vergleichen.

Dieser Vorgehensweise mag für manche dezentralen Protokolle und Netzwerke Sinn machen Aber eben auch nur für solche Geschäftsmodelle.

Problem 3:

Eine ähnliche Marktsituation hatten wir schon mal vor rund 20 Jahren während der Dotcom Bubble: Im Wochentakt gingen damals Startups an die Börse (Nasdaq, Neuer Markt, Niveau Marché, etc.). Ohne Kunden, ohne Umsätze und ohne nachhaltigem Geschäftsmodell. Im März 2000 war die Party zu Ende. Die jetzige ICO Madness mit täglich neuen, wertlosen Utility Tokens wird in 6 bis 12 Monaten vorbei sein. Der Wert der meisten Utility Tokens wird auf NULL gehen.

Was kommt danach?

Das Platzen der Dotcom Bubble war nicht das Ende des Internets. Ganz im Gegenteil: Es folgte der Siegeszug der Sozialen Netzwerke und des mobilen Internets und die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche. Der kommende Token Crash wird nicht das Ende des dezentralen Internets sein.

ICOs wird es aber auch in Zukunft noch geben, denn – trotz aller Kritik – hat die ICO-Welle der letzten beiden Jahre auf schmerzliche Weise die Schwächen des bisherigen Systems der Startups-Finanzierung via Angels und VCs aufgezeigt: Marktintransparenz (Welche Angels/VCs gibt es überhaupt? Warum erhalten manchen Startups Geld, andere nicht?), ein enormer bürokratischer Aufwand (Beteiligungsverträge mit hunderten von Seiten), hohe Anwalts- und Notarkosten (mehrere zehntausend Euro selbst bei einer kleinen Seed-Runde) und die Illiquidität des Investments (typischer Weise 7 bis 10 Jahre).

In Zukunft werden die meisten Startups im Rahmen eines ICOs keine „wertlosen“ Utility Tokens mehr ausgeben, sondern Equity Tokens (tokenized equity). Equity Tokens gewähren Investoren einen echten Anteil am Unternehmen mit allen Aktionärsrechten und bringen damit die Interessen der Gründer und die der Investoren wieder in Einklang.

Schon jetzt gibt es einige interessente Projekte, die genau diesen Ansatz verfolgen: So hat der amerikanische Startup-Accelerated „500 Startups“ mit dem 22xFund einen VC-Fund auf der Basis von Equity Tokens aufgesetzt. Dieser Fund ermöglicht das Investment in alle Startups des „Batch 22“ (aus dem Sommer 2017) ab einem Betrag von nur USD 5.000. Zugleich sind die Equity Tokens auf dem Sekundärmarkt handelbar. Auch in Deutschland baut das Startups neufund.org gerade einen ICO-Marktplatz auf, der Startups die einfache und EU-rechtskonforme Ausgabe von Equity Tokens ermöglichen wird.

Der ICO ist tot, lang lebe der ICO!

Zum Autor
Florian Huber ist Gründer, Unternehmer und Angel Investor mit Sitz in Berlin und München. Er ist Gründer von united-domains (verkauft an die 1&1-Gruppe), neubau kompass (Deutschlands führender Marktplatz für Neubau-Immobilien) und aktiver Angel Investor (u.a. mit Seed-Investments in Foodora, Asana Rebel, Building Radar und Finiata). Huber ist zudem Limited Partner von zwei Venture Capital Fonds.

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Foto (oben): Shutterstock