Studie

11 Fakten zum Gründer-Ökosystem Rhein-Main

Die Rhein-Main-Region ist für Gründer attraktiver, als sie wahrgenommen wird. Sie zählt zu den stärksten Gründungsregionen in Deutschland und überzeugt mit einer hohen Zahl an Hightech-Gründungen. Belege liefert eine Studie des RKW Kompetenzzentrums zusammen mit dem Goethe-Unibator und der Universität Frankfurt.
11 Fakten zum Gründer-Ökosystem Rhein-Main
Mittwoch, 22. Juni 2016VonChristina Cassala

Gründen in Darmstadt, Mainz, Wiesbaden, Gießen, Wetzlar, Offenbach oder Frankfurt am Main? Das klingt nicht nach dem großen Hype, bei dem aus IT-getriebenen Start-ups große und branchenrelevante Unternehmen werden. Doch diese Wahrnehmung täuscht: Die Rhein-Main-Region ist für Gründer attraktiver, als sie wahrgenommen wird. Sie zählt zu den stärksten fünf Gründungsregionen in Deutschland und überzeugt mit einer hohen Zahl an Hightech-Gründungen. Das zeigen zwar weniger bekannte aber dafür sehr erfolgreiche Jungunternehmen. Belege hierfür liefert nun eine Studie des RKW Kompetenzzentrums in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Unibator und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main zur Rhein-Main-Region.

11 Fakten, warum Gründer und Investoren das Rhein-Main-Gebiet auf dem Schirm haben sollten.

Fakt 1: Veranstaltungsangebot für Gründer und Start-ups ist gut
Wie umtriebig die regionale Startup-Szene tatsächlich ist, zeigt sich schon an den zahlreichen Gründer-Events: „In der zweiten Jahreshälfte 2015 haben wir über 140 Veranstaltungen für Start-ups in der Rhein-Main-Region gezählt. Im Durchschnitt fand demnach fast jeden Tag ein Event statt“, so Dr. Matthias Wallisch, Leiter der Studie im RKW Kompetenzzentrum. Für den FinTech-Bereich sind es vor allem BetweenTheTowers und zahlreiche Veranstaltungen mit Unterstützung des Goethe-Unibators wie Execfintech und das eigene Format Tech Ecosystems Dialogue, die Gründer, Investoren und andere Player zusammenbringen. Beim Pitch Club und den Demo Days werden auch andere Branchen präsentiert.

Fakt 2: In Rhein-Main gründen nur Locals
In Berlin gründet die Welt, in Rhein-Main nach der Studie des RKW nur die Ansässige in der Region. „Die Rhein-Main-Region hat es bisher nicht geschafft, in signifikanter Zahl Gründer aus anderen Regionen anzuziehen. Die Region ist bislang vor allem durch ein organisches Wachstum geprägt und wird von außerhalb kaum als Startup-Standort wahrgenommen“, fassen die Wissenschaftler des RKW Kompetenzzentrums die Lage zusammen.

Fakt 3: Marktkapitalisierung für Start-ups sehr gut
Ankerunternehmen, Branchencluster – wie immer man es nennt: Eine Ballung von Unternehmen und Organisationen aus einer Branche erleichtert den Marktzugang für Start-ups und ermöglicht den Zugriff auf spezialisiertes Know-how. Hier hat die Rhein-Main-Region einiges zu bieten: Viele börsennotierte Unternehmen haben hier ihren Hauptsitz, auch der Bestand an Hightech-Unternehmen erreicht ein starkes Niveau. „Beide Indikatoren deuten die überdurchschnittliche Wirtschaftskraft der Rhein-Main- Region an. Nur die Region München ist hier noch stärker aufgestellt“, sagt Dr. Thomas Funke, Mitautor der Studie und Leiter des Fachbereiches Gründung & Innovation am RKW Kompetenzzentrum.

Besonders stark sind die Branchen Finanzwirtschaft, Consulting, Logistik und Verkehr, Pharmazie und Biotechnologie sowie die Kultur- und Kreativ-Wirtschaft vertreten. Es bieten sich vielfältige Chancen im B2B. „Auch hinsichtlich der Endverbraucher stellt die Rhein-Main-Region einen interessanten Markt dar: Die Kaufkraft liegt weit über dem deutschen Durchschnitt und eine Vielzahl unterschiedlicher Kundengruppen ist in der Region präsent“, sagt Funke.

Fakt 4: Frankfurter ist digitaler als erwartet: die starken Branchen
Weitaus stärker als in Fintech ist Rhein-Main in den Bereichen Innovative Services (26 Prozent aller Gründungen) und Big Data (23 Prozent) aufgestellt. Auch E-Commerce (14 Prozent) und Digital Media (12 Prozent) sind stark. Zu Innovative Services gehören Web & Mobile, die internetbasierte Dienstleistungen anbieten, Gründungen mit unterschiedlichen Formen der Beratung als Geschäftsmodell und Start-ups im Segment Travel & Leisure. Wie bunt die Mischung an Gründerideen in der Region ist, sieht Dr. Sebastian Schäfer, Leiter des Unibator der Goethe-Universität Frankfurt, im Alltagsgeschäft: „Fintech ist ein wichtiges Segment für uns, aber es gibt noch andere wachsende Bereiche, MedTech etwa. Und auch der Standort auf dem Campus Riedberg verspricht spannendes: In den Naturwissenschaften steckt viel Potenzial für erfolgreiche Startups.“

Fakt 5: Fintech-Standort mit enormen Wachstumspotenzial
Kaum eine große Bank verzichtet auf eine Hauptniederlassung in Frankfurt am Main – die Stadt gilt als deutsche Bankenmetropole. Klar, da sollte die Fintech-Szene entsprechend groß sein. Tatsächlich stammen aber nur 11 Prozent der Gründungen in Rhein-Main aus der Finanztechnologie. Auch hier hat die Region gegenüber Berlin noch das Nachsehen.

Außerdem berichten im Rahmen der RKW Studie junge Unternehmen aus dem Fintech-Bereich über große regulatorische Schwierigkeiten bei der Umsetzung ihrer Geschäftsidee und verweisen auf bessere Bedingungen im europa?ischen Ausland (besonders London). Start-ups fordern deshalb eine differenzierte Regulierung in Deutschland, die ihnen eine faire Chance am Markt ermöglicht. Die Branche reagiert: Gerade erst hat die Deutsche Börse ein Fintech-Zentrum in Frankfurt eröffnet, weitere Konzepte sind bereits vorgestellt worden.

Wie stark das Wachstumspotenzial im Fintech-Segment aussieht, zeigt gerade die jüngste Entwicklung: Seit Erhebung der RKW Studie haben sich bereits etwa 40 neue Startups angesiedelt – nachvollziehbar ist das auf der Innovation Map des Goethe-Unibators.

Fakt 6: Mangel an Venture Capital
Dieses Ergebnis der RKW Studie überrascht: Der Zugang zu finanziellen Mitteln in der Rhein-Main-Region wurde von den Start-ups insgesamt als problematisch eingestuft. Als Lichtblick erweist sich eine aktive Business-Angels-Szene, die in der frühen Entwicklungsphase der Start-ups Kapital und Know-how zur Verfügung stellt. Mehr als die Hälfte der befragten Gru?nderpersonen hatten und haben mit größeren Finanzierungschwierigkeiten zu kämpfen.

Eine besondere Finanzierungslücke besteht im Bereich der Start-ups, die nach der Gründung für ihr weiteres Wachstum neues Kapital benötigen (Post-Seed-Phase), aber noch nicht die nötige Größe erreicht haben, um für Venture-Capital-Fonds attraktiv zu werden. Dies scheint, mit einer etwas abgeschwächten Situation in Berlin, eine nationale Herausforderung zu sein. Der Anteil an Hightech-Unternehmen mit einer Venture-Capital-Finanzierung liegt in der Region mit 1,5 Prozent unter dem deutschlandweiten Schnitt von 2,7 Prozent.

Fakt 7: Perfekte Infrastruktur durch nahen Flughafen & kurze Wege
Doch die RKW Studie hat auch Positives aus der Region zu vermelden: Aus Sicht der Start-ups zeichnet sich die Rhein-Main-Region durch eine hervorragende Infrastruktur aus: Kurze Wege, ein gut funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz und der schnell erreichbare Flughafen sind im Vergleich zu Metropolen wie London und New York ein großer Vorteil. Auch die Lage innerhalb Deutschlands gilt als großer Standortvorteil.

Die gute Infrastruktur erklärt auch das starke Segment des E-Commerce: Neben der hervorragenden internationalen sowie regionalen Verkehrsanbindung stehen auch günstige Lagerflächen in der Region zur Verfügung – in der Regel zwar nicht in Frankfurt, dafür aber in den kleineren Städten oder eher ländlichen Regionen des Rhein-Main-Gebietes.

Fakt 8: Recruiting ist Königsdisziplin
Talente sind in Rhein-Main zahlreich – doch Start-ups haben nur schwer Zugang zu ihnen: Hohe Gehälter und sichere Arbeitsplätze bei etablierten Unternehmen der Region sorgen dafür, dass die gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeiter Start-ups nicht wirklich als potenzielle Arbeitgeber berücksichtigen.

Fakt 9: Teures Pflaster – Büromieten bremsen Gründer aus
Der Immobilienmarkt gehört in Frankfurt mit einer Durchschnittsmiete von 20 Euro pro Quadratmeter zu den teuersten in ganz Deutschland und kommt für die meisten Start-ups nicht infrage. Teilweise schaffen eine Reihe von Coworking-Spaces und Gründerzentren in der Region einen Ausgleich.

Fakt 10: Universitäre Zentren – wichtige regionale Brutstätten
Längst sind Spin-offs von Universitäten, Fachhochschulen und anderen Lehrstätten zu einem wichtigen Motor der Startupszene geworden. In Rhein-Main, so legt es die RKW Studie nahe, zeigt sich die große Dominanz der Goethe-Universität in Frankfurt. Sie und ihr Hochschulinkubator „Unibator“ hat offensichtlich eine zentrale Rolle im Netzwerk. In den Interviews mit Startup-Gründern wird außerdem die TU Darmstadt häufig als wichtige Institution des Gru?ndero?kosystems der Rhein-Main-Region genannt. Und auch die Provadis Hochschule in Frankfurt-Höchst, verantwortlich für den Climate KIC Hessen Accelerator und aktiv im Segment Cleantech, ist ein wichtiger regionaler Player.

„Viele Impulse zum regionalen Gründergeschehen gehen von den Hochschulen aus und wir sehen uns als wichtiges Zentrum des hiesigen Gründerökosystems. Wir haben die Talente, das Know-how und das Mentorennetzwerk, um Gründer auf ihren Weg in den Markt tatkräftig zu unterstützen“, sagt Dr. Sebastian Schäfer, Leiter des Unibator.

Fakt 11: Der Me-Too-Effekt – Mehr sichtbare Vorbilder für die Region
Rhein-Main hat tolle Start-ups und erfolgreiche Unternehmer. Doch im Vergleich etwa mit Berlin bekommen sie nicht die mediale Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Oder wer hatte bereits von der Devisenplattform 360T gehört, die gerade für 725 Millionen Euro von der Deutschen Börse gekauft wurde (siehe: Deutsche Börse schluckt Devisenplattform 360T) und damit zum wohl teuersten deutschen Start-up avanciert?

Roomhero, ein Curated Shopping Anbieter für Möbel und Wohnaccessoires, das Team um Antelope, das Wearable Technologies entwickelt aber auch Fintura.de, ein Finanzportal für den Mittelstand sind weitere spannende Projekte. Weitere Beispiele wie Buy-VIP, COBI, Policen-Direkt und Gründungen aus dem Unibator wie Dr. Severin oder VAAMO zeigen, dass Rhein-Main ein ernst zu nehmender Standort im Gründergeschehen ist.

Weitere Informationen:
Details und Erläuterungen zu diesen und weiteren Ergebnissen finden sich in der neuen RKW-Studie. Die Veröffentlichung kann als Printversion bestellt werden, steht aber auch zum Download bereit (PDF).

Über das RKW Kompetenzzentrum:
Das RKW Kompetenzzentrum unterstützt kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland dabei, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zu halten. In der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft werden praxisnahe Empfehlungen und Lösungen zu den Themen Fachkräftesicherung, Unternehmensentwicklung, Innovation und Gründung entwickelt. Das RKW Kompetenzzentrum ist eine gemeinnützige Forschungs- und Entwicklungseinrichtung des RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen Wirtschaft e.V. Es wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Neben Studien zum Gründungsverhalten und -vorhaben in Deutschland untersucht das RKW Kompetenzzentrum auch spezielle Zielgruppen und zeigt mit dem eigens entwickelte Modell des Gründerökosystems, welche Faktoren eine Region attraktiv für Gründer und Start-ups machen.

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Foto: view european city Frankfurt am main skyscrapers from Shutterstock

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.