Miriam Wohlfarth (RatePay) im Portrait

“Wir müssen Frauen eine Chance geben, anders denken zu können”

Im feudal-bürgerlichen Charlottenburg arbeitet eine Frau, die weiß, wie Kunden Geld ausgeben. Miriam Wohlfarth gründete 2009 RatePay, ein Dienstleister für sicheres und einfaches Bezahlen im Internet. Als Mutter einer Tochter setzt sie sich im Unternehmen stark für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein.
“Wir müssen Frauen eine Chance geben, anders denken zu können”
Dienstag, 22. April 2014VonChristina Cassala

Berlin, hoher Altbau, Ecke Ku’Damm. Kein Hotspot aufstrebender Start-ups – die tummeln sich eher im szenigen Mitte. Aber auf der Schlüterstraße, im feudal-bürgerlichen Charlottenburg, flanieren Modebewusste, die gerne etwas mehr Geld für edle Design-Stücke investieren. Vielleicht ist der Standort daher gut gewählt. Denn hier arbeitet eine Frau, die weiß, wie Kunden Geld ausgeben.

Ratenzahlung: kein fancy Thema

Miriam Wohlfarth gehört zum Gründerteam von RatePay, einem Start-up, dass E-Payment für den Online-Handel entweder in Raten, auf Rechnung oder per Lastschrift ermöglicht. RatePay übernimmt dabei die komplette Abwicklung und das Risiko bei Zahlungsausfällen. „Das ist kein fancy Thema, ich weiß“, lacht Wohlfarth. Auf eine angenehme Art auch über sich selbst. Die schlanke, hochgewachsene Frau strahlt zu jedem Moment eine Art sportliche Durchsetzungskraft aus. Im richtigen Moment weiß sie um ihre Position als Gründerin und strategischen Kopf bei RatePay. Dann wird aus der Mit-Vierzigerin die Chefin, die mit Kunden, Zahlungssäumigen und Online-Händlern zu verhandeln weiß.

Für Zahlen hat sich Wohlfahrth, trotz abgebrochenem Volkswirtschaftsstudiums, schon immer interessiert. Dass ihre süddeutsche Herkunft dafür verantwortlich sein soll, bezweifelt sie jedoch. Beide Eltern waren berufstätig, der Vater Ingenieur. „Den Umgang mit Technik hat er mir früh vermittelt, Angst hatte ich davor nie. Das kommt mir heute zu Gute. Programmieren kann ich leider dennoch nicht“, sagt sie und zuckt eher beiläufig Schultern.

Kreditkarten sind unbeliebter

Gründe, warum Online-Käufer ungern eine andere Zahlungsform wie beispielsweise Kreditkarte oder Nachnahme wählen, sind vielfältig. Vor allem die Rückbuchung des Geldes bei einer Warenretoure ginge vielen Kunden einfach zu lange. „Bei einer Kreditkarte dauert dieser Vorgang manchmal bis zu einem ganzen Monat“, weiß Wohlfarth. Geld, was in der eigenen Haushaltskasse fehle. Zumal: Der Kauf auf Rechnung beinhaltet die Option, die Sachen erst bei Gefallen zu zahlen, ohne Vorauskosten zu haben. Wenn Kasse gemacht wird, kommt das Geld in erster Linie per Rechnung herein, ermittelte unlängst auch der Branchenverband des Deutschen Versandhandels.

Im Vergleich zum Vorjahr kletterte der Umsatz per Rechnungskauf im Jahr 2013 um 22,6 Prozent auf 19,7 Milliarden Euro. Der prozentuale Anteil an den Payment-Verfahren stieg zudem 2013 um einen Prozentpunkt auf 38 Prozent. Dies ist ein auch Indiz dafür, dass Kunden per Rechnung gerne größere Warenkörbe bezahlen. Wer denkt, dass bei einem Online-Kauf immer das Plastikkärtchen erste Wahl, der irrt also.

„Natürlich gibt es auch Kunden, die mit Kreditkarte zahlen“, sagt Wohlfahrt, sich als Online-Händler nur auf digitale Zahlungsmethoden zu fokussieren, sei einfach zu wenig.
Angefangen hat die Karriere von Miriam Wohlfarth vor mittlerweile 15 Jahren. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst in Amsterdam für Bibit, einem holländischen Technologieunternehmen mit Sitz in Amsterdam, dass damals als eines der ersten Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannte und merkte, dass Online-Payment eines der Themen der Zukunft sein wird. Heute heißt die Firma Adyen und bietet weiterhin Multichannel-Payment-Lösung als Service an.

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Sie übernahm damals das deutsche Büro und war dafür verantwortlich, dass der Service bei den Online-Händlern implementiert wurde. „Das war eine tolle Zeit, denn alles Digitale war noch so neu und unbekannt, dass wir zwar viel erklären, aber auch viel bewegen konnten.“ Ihren ersten großen Coup landete sie mit einer großen Fluggesellschaft. Es folgten Partnervermittlungsbörsen wie Meetic und Parship. „Das Leben verlagerte sich damals zunehmend ins Internet.“

Wohlfarth ist ein arbeitender Familienmensch

Sie kokettiert ein wenig damit, wie lange das gefühlt alles schon her ist. Schließlich ist sie mit ihrer Berufserfahrung schon fast so etwas wie ein digitales Urgestein. „Das kann man sich doch schon alt fühlen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Neulich habe sie ihre neunjährige Tochter im Büro besucht und sich über so ein komisches Gerät gewundert. Es war das Fax-Gerät! Auch ihren Kollegen bei RatePay dürfte die Verwendung kaum bekannt sein, denn das Durchschnittsalter des Unternehmens liegt bei etwa dreißig. „Für mich ist die Mischung aus älter und jünger wichtig, denn sonst würden wir das Gespür für die jeweiligen Generationen verlieren“, sagt sie.

Die Dynamik am Markt begeisterte sie seit jeher und auf dem vorerst letzten Höhepunkt ihrer damaligen Karriere wird sie schwanger. „Ein absolutes Wunschkind“, schwärmt sie von ihrer Tochter. Zu dieser Zeit betreut sie Großkunden in Deutschland und leitet den Vertrieb. Der Chef rät ihr sogar zu: wenn Kind, dann jetzt, ehe die biologische Uhr nicht mehr tickt. Doch mit Kind aufhören zu arbeiten? Niemals!

Wohlfarth vertraut auf ihre holländischen Kollegen und lebt damals ein für deutsche Verhältnisse noch recht unkonventionelles Modell. Drei Monate nach der Geburt ihrer Tochter nimmt sie ihre Arbeit wieder auf. „Ich hatte beschlossen, einfach anders zu denken“, sagt sie. Die Umwelt jedoch appelliert an ihr Gewissen als Mutter, doch sie lässt sich von Konventionen nicht fangen. Mit Tagesmutter und Au-pair Mädchen zieht sie ihren Entschluss durch. „Ich war doch durch die Geburt kein anderer Mensch geworden, ich wollte arbeiten“, so Wohlfahrth.

Ihr Mann, selber in verantwortungsvoller Position, unterstützt sie. Aber sie weiß auch: Die Möglichkeit, flexibel arbeiten zu können, hat ihr damals sehr geholfen. „Das war einfach purer Luxus.“ Die Gründung von RatePay erfolgt 2009. An der Gründung waren seinerzeit der Founderslink, ein Unternehmen von Oliver Beste und Fabian Hansmann, beteiligt. Heute ist RatePay eine 100-prozentige Otto-Tochter.

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Gerne blickt sie auf die ersten, so Wohlfahrt „wenn auch wirklich anstrengenden“ Jahre nach der Geburt zurück. Wohl deshalb liegen ihr die berufstätigen Mütter bei RatePay besonders am Herzen und will die Berufstätigkeit dieser Frauen besonders unterstützen. Insgesamt drei Frauen mit kleinen Kindern arbeiten für das Unternehmen. „Wir müssen den Frauen eine Chance geben, auch anders denken zu können. Wir müssen ihnen Strukturen geben, dass sie arbeiten können“, sagt die Gründerin kämpferisch. Diese zu schaffen, dafür sei der Arbeitgeber verantwortlich.

Wie geht die Führungsriege bei RatePay mit diesem Thema um, was macht es anders? „Bei uns können Frauen auch in einer Führungsposition sein. Selbst dann, wenn sie nur eine 4-Tage-Woche hat, oder wegen der Kinder eben zeitig nach Hause gehen muss.“ Das Stichwort heißt Vertrauen: Wohlfahrth weiß, dass ihre Mitarbeiterinnen mit Kind auch bis spät in die Nacht arbeiten, wenn die Hütte brennt. Und wenn alle Stricke reißen, kommt der Nachwuchs eben auch mit und helle Kinderstimmen klingen durch die Flure. „Das ist dann eben so!“ Ihre Einstellung: Wenn man Müttern eine Chance gibt, bekommt man doppelt Loyalität und Begeisterung für das Unternehmen zurück.

Ihre Forderung: Frauen rasch zurück in den Beruf

Letztendlich ist Wohlfarth aber auch Geschäftsfrau und hat auch von sich selbst immer enorm viel erwartet und sagt: „Ich bin noch nie wegen meines zahnenden Kindes daheim geblieben. Ich habe die Betreuung einfach gut organisiert.“ Die Diskussion um frühe Rückkehr der Frauen in den Beruf hält sie für sehr wichtig und findet Frauenquoten „total affig“. Ihr Plädoyer für die Arbeitswelt: Gleichberechtigung und Chancengleichheit bei gleicher Qualifikation.

Warum aber sind dann so wenige Frauen in Führungspositionen? Ihre Antwort ist klar: Es gibt derzeit noch zu wenige Frauen in der zweiten Reihe, die aufsteigen könnten. Das sei auch in der Start-up Welt nicht anders. Doch mit ihrem Beispiel will sie Frauen Mut machen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Mutterschaft und Beruf schließt sich für Wohlfarth schon lange nicht mehr aus.

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Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.