#Interview

“Wenn du einen Bootstrapping-Ansatz fährst, musst du hart priorisieren”

Das Team von Scable wollte ursprünglich thermoakustische Lautsprecher entwickeln. Was nicht geklappt hat. Nun digitalisiert das gebootstrappte und profitable Unternehmen Fabriken. Konzerne wie CATL, Daikin und STIHL nutzen die Software von Scable bereits.
“Wenn du einen Bootstrapping-Ansatz fährst, musst du hart priorisieren”
Dienstag, 19. März 2024VonAlexander Hüsing

Das Stuttgarter Startup Scable, 2017 von Lukas Morys, Marc Walter und Hans-Martin Dudenhausen gegründet, digitalisiert Fabriken. “Wir sorgen dafür, dass in der Fabrik Papierzettel verschwinden und alles am Smartphone erledigt werden kann”, erklärt Gründer Morys das Konzept. Anfangs war dies nur das zweite Standbein des Unternehmens. Ursprünglich wollte das Team thermoakustische Lautsprecher entwickeln. Doch diese Idee ging nicht auf.

Inzwischen nutzen Konzerne wie CATL, Daikin und STIHL die Software von Scable. Auf Investoren verzichteten die Scable-Macher bisher komplett. “Bei der Gründung war es so, dass wir genug Eigenkapital für die ersten Schritte aufbringen konnten. Wir konnten zudem durch unser Beratungsgeschäft die Softwareentwicklung finanzieren und vorantreiben. Heute geben uns die wiederkehrenden Umsätze unserer Produkte ausreichend Spielraum für Investitionen”, sagt Morys.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Scable-Macher außerdem über Produktstrategien, Kundenprobleme und Industriekunden.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Scable erklären?
Wenn es meine 90 Jährige schwäbische Oma verstehen soll: Mir sorged dafür, dass Papierzettl in dr Fabrik verschwindet und mr älles am Käschtle schaffe ka. Zu deutsch: Wir sorgen dafür, dass in der Fabrik Papierzettel verschwinden und alles am Smartphone erledigt werden kann.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Als zweites Standbein, ja. Unsere initiale Haupt-Idee war die Entwicklung thermoakustischer Lautsprecher – deswegen auch der frühere Name Sonic Technology. Dafür haben wir Transducer entwickelt, die den Effekt, den wir als Donner kennen, für die Erzeugung definierter Schallwellen nutzen. Das Grundprinzip der Transducer sind Strompulse auf einer Vakuum-artigen Silizium-Beschichtung, welche eine Elektrode erhitzen. Die Erhitzung sorgt für eine lokale und definierte Ausdehnung der Luft, sodass Schallwellen entstehen. Das faszinierende ist, dass damit ohne Mechanik und damit ohne Trägheit präzise Schallwellen generiert werden können – die im Übrigen als Kopfhörer-Anwendung durchaus anhörbar waren. Es stellten sich allerdings zwei große Nachteile heraus. Erstens: Der Stromverbrauch ist immens. Zweitens: Im Gegensatz zu einer Membran kann ein thermoakustischer Transducer lediglich Schall erzeugen, nicht aber wieder empfangen. Das hat die Anwendungsfelder stark limitiert. Beide Gründe haben dazu beigetragen, dass wir uns um das parallel sehr gut anlaufende Software-Business unter der Marke Scable für produzierende Unternehmen fokussiert haben. Hier haben alle Co-Founder einen starken Hintergrund, da wir alle bereits als Projektleiter oder Führungskraft auf dem Shopfloor arbeiteten. Da wir nun seit vielen Jahren nur noch Software entwickeln, werden wir in diesem Frühjahr unseren Unternehmensnamen passend zu unserem Produkt auf Scable AG ändern.

Wie hat sich Scable seit der Gründung entwickelt?
Wir sind bootstrapped und profitabel vom ersten Jahr an. Zu unserem Team zählen mittlerweile 15 Personen, unser ARR wächst über 80 % p.a. Unsere Kunden reichen von internationalen Konzernen wie CATL, Daikin, Bosch oder STIHL bis hin zu Hidden-Champions aus dem Mittelstand.

War Euer Bootstrapping-Ansatz von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Ja. Bei der Gründung war es so, dass wir genug Eigenkapital für die ersten Schritte aufbringen konnten. Wir konnten zudem durch unser Beratungsgeschäft die Softwareentwicklung finanzieren und vorantreiben. Heute geben uns die wiederkehrenden Umsätze unserer Produkte ausreichend Spielraum für Investitionen.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Ich denke, das Unternehmertum ist gerade zu Beginn nie einfach. Im Nachhinein war das Bootstrapping allerdings eine sehr gute Entscheidung, da wir bei jeder Entwicklung auf Wirtschaftlichkeit und Kundennutzen achten mussten. Wir konnten dadurch vermeiden, dass unsere Produktstrategie einen Product-Market-Fit verfehlt.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Definitiv. Wenn du einen Bootstrapping-Ansatz fährst, musst du hart priorisieren und könntest bei allem mehr machen. Es zwingt dich, nach dem Pareto-Prinzip zu wirtschaften. Klar ist natürlich auch: Durch eine größere Finanzierung hätten wir mehr Spielraum für ein schnelleres Wachstum. Gerade in Sales und Marketing sind wir zwar gut aufgestellt, mit mehr Manpower ginge hier allerdings einiges schneller.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Sales pays Salaries. Fokus zu Beginn muss deswegen auf einem guten Vertrieb liegen. Wenn niemand für deine Idee bezahlen möchte, gibt es vermutlich bessere Ideen, auf die du dich fokussieren kannst.

Es herrscht weiter Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Mit welchen Erwartungen blickst Du auf die kommenden Monate?
Unser Unternehmen ist solide aufgestellt und wir gehen auch in 2024 von einem Wachstum von 60 bis 80 % aus. Mit Sorge blicke ich allerdings auf einige Branchen unserer Kunden in Deutschland. Immer mehr Geschäftsführer produzierender Unternehmen blicken sehr pessimistisch auf die kommenden Monate. Hier vermisse ich eine Aufbruchsstimmung in Politik und Gesellschaft, dass das produzierenden Gewerbe unseren Wohlstand in Deutschland weiterhin sichern kann. Der Abbau von Bürokratie und unnötig komplizierten sowie teuren Rahmenbedingungen für produzierende Unternehmen sind dazu wichtige Faktoren, wenn wir eine Industrienation bleiben wollen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Ich würde sagen, unsere Initiale Idee mit den thermoakustischen Lautsprechern.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Unsere Produkte lösen echte Kundenprobleme. Die Arbeit macht Spaß, das Team ist super. Ich denke, das sind die wichtigsten Faktoren. Das spiegeln auch unsere Kunden bei unseren Factory-Experience-Days. Wir haben einen Net Promoter Score von 61%.

Euer Firmensitz ist Stuttgart. Was zeichnet die Startup-Szene vor Ort aus?
Die Industrie im Süden ist sehr stark, davon profitieren wir und andere Startups für Industriekunden. Zudem konnten wir so mit wenig Aufwand nach Österreich und in die Schweiz expandieren.

Wo steht Scable in einem Jahr?
Bei 80% höherem ARR.

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Foto (oben): Scable

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.