#Interview

“Als Gründer lernt man durch Bootstrapping viel über Geduld”

Mit reisetopia ist Moritz Lindner seit mehreren Jahren im Reisesegment unterwegs. Das profitable Berliner Unternehmen kam bisher komplett ohne Investorengelder aus. Auch die Corona-Pandemie konnte die gebootstrappte Jungfirma nichts anhaben.
“Als Gründer lernt man durch Bootstrapping viel über Geduld”
Dienstag, 5. Dezember 2023VonAlexander Hüsing

Das Berliner Startup reisetopia, von Moritz Lindner 2016 als Hobby-Blog über Meilen und Punkte gegründet, positionierte sich inzwischen als “Mischung aus Reisebüro und einer Tageszeitung”. Das Team informiert dabei insbesondere über Neuigkeiten aus der Luxusreisebranche und gibt Tipps zur Optimierung der eigenen Finanzen auf Reisen. “Zudem bieten einen kostenfreien Premium-Service und ermöglichen einmalige Hotelaufenthalte, die dank eines außergewöhnlichen Preis-Leistungsverhältnis in Erinnerung bleiben”, sagt Gründer Lindner.

Derzeit arbeiten 35 Mitarbeitende für das Unternehmen, das in diesem Jahr einen “Jahresumsatz von voraussichtlich deutlich über 3 Millionen” anpeilt. “In all den Jahren seit der Gründung war es zudem unsere Maxime, immer nur die Gewinne zu investieren. Selbst in der Corona-Zeit haben wir schwarze Zahlen geschrieben und sind sowohl an Umsatz als auch an Mitarbeitenden gewachsen”, führt der reisetopia-Macher aus.

Auf Investorengelder verzichtete Lindner bisher. “Wir haben in jedem Jahr einen zuerst kleinen und dann größer werdenden Jahresüberschuss erzielt und diesen über die Jahre immer wieder investiert. Dieses Geld hat ausgereicht, um durchaus schnell zu expandieren. Zu tun hatte das sicherlich auch damit, dass wir in den ersten Jahren bewusst keine Gewinne ausgeschüttet haben und darüber hinaus genau auf die Finanzen geschaut und beispielsweise auch bei unseren eigenen Gehältern gespart haben.”

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht reisetopia-Gründer Lindner außerdem über Konkurrenten, Teamspirit und eine gescheiterte Internationalisierung.

Wie würdest Du Deiner Großmutter reisetopia erklären?
reisetopia ist eine Mischung aus einem modernen Reisebüro und einer modernen Tageszeitung. Wir informieren unsere Leser tagesaktuell über alle Neuigkeiten der Luxusreisebranche, geben Tipps zur Optimierung der eigenen Finanzen auf Reisen und darüber hinaus. Zudem bieten wir Kunden einen kostenfreien Premium-Service und ermöglichen ihnen einmalige Hotelaufenthalte, die dank eines außergewöhnlichen Preis-Leistungsverhältnis in Erinnerung bleiben.

War dies von Anfang an euer Konzept?
reisetopia hat sich über die Jahre immer weiterentwickelt. Angefangen als Hobby-Blog über Meilen und Punkte sind wir während der Corona-Pandemie durch einen Strategiewechsel zu einer der größten Plattformen für Luxusreise-Neuigkeiten sowie Empfehlungen zur Optimierung der eigenen Finanzen mit Kreditkarten und anderen Finanzprodukten geworden. Gleichzeitig haben wir unser Portfolio um die Marke reisetopia Hotels erweitert und bieten darüber Luxushotelaufenthalte mit Vorteilen an, die man sonst nicht findet – kostenloser VIP-Service und attraktive Preise inklusive.

Wie hat sich reisetopia seit der Gründung entwickelt?
Gestartet von Null und ohne jegliches Fremdkapital sind wir über die Jahre zu einer Firma mit nun mehr als 35 Mitarbeitenden, einem Jahresumsatz von voraussichtlich deutlich über 3 Millionen im Jahr 2023 sowie einem jährlichen Gewinn im mittleren bis hohen sechsstelligen Bereich geworden. Mittlerweile verzeichnet reisetopia jeden Monat mehr als eine Millionen Seitenaufrufe, mehrere tausend erfolgreiche Empfehlungen für Finanzprodukte sowie eine hohe dreistellige Zahl an Luxushotel-Buchungen. In all den Jahren seit der Gründung war es zudem unsere Maxime, immer nur die Gewinne zu investieren. Selbst in der Corona-Zeit haben wir schwarze Zahlen geschrieben und sind sowohl an Umsatz als auch an Mitarbeitenden gewachsen.

Für viele Travel-Startups waren die letzten Jahre nicht einfach. Wie seid ihr durch diese Zeit gekommen?
Retrospektiv war die Corona-Zeit für uns nicht nur lehrreich, sondern auch der Grundstein unseres aktuellen Erfolgs. Zum einen haben wir in einer frühen Phase gelernt, wie wichtig es ist, eine solide Finanzplanung zu haben. Zum anderen haben wir erkannt, wie schnell man als Startup Marktanteile gewinnen kann, wenn die Konkurrenz weniger agil ist. Insbesondere mit dem Ausbau unserer Redaktion konnten wir viele neue Kunden gewinnen, Vertrauen schaffen und später stark davon profitieren. Darüber hinaus ist es uns gelungen, durch eine schnelle Umstellung unserer Strategie auf die Empfehlung von Finanzprodukten, die in der Corona-Zeit besonders attraktiv waren, die Umsätze stabil zu halten. Dass wir mit unserem Hotelprodukt zudem einen idealen Market Fit hatten, hat uns in die Karten gespielt. Fast alle Hotels bei reisetopia Hotels können bis kurz vor der Anreise kostenfrei storniert werden, Anzahlungen gibt es nicht – das war besonders zu Beginn der Corona-Zeit ein enormer Marktvorteil gegenüber der Konkurrenz, die ähnliche Angebote erst deutlich später hatten. Die Inflation hat uns aber auch getroffen, weil wir nah an den Konsumenten sind und diese insbesondere für Städtereisen, die bei uns eine große Rolle spielen, weniger Geld ausgegeben haben. Gleichzeitig haben wir aber auch davon profitiert, dass Kunden ein größeres Interesse an der Optimierung von Finanzprodukten gezeigt haben, weil sich hier ein großes Potenzial für Einsparungen und zusätzliche Erträge ergibt. Ein gewisses Auf und Ab gab es auch bei unseren Beziehungen zu Partnerunternehmen, die teils durch schwierige Marktsituation von einem auf den anderen Tag vollständig die Strategie geändert haben, was uns vor die eine oder andere Herausforderung gestellt hat.

Du hast dein Startup bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Der Weg von reisetopia unterscheidet sich schon deshalb von anderen Firmen, weil wir anfangs nicht das Ziel hatten, ein Unternehmen aufzubauen. Wir wollen Tipps & Tricks aus unserem Hobby teilen und hatten weder einen Business Plan noch die Idee, mit unseren Inhalten Geld zu verdienen. Entsprechend war es für uns zu einem späteren Zeitpunkt dann auch eine bewusste Entscheidung, das Unternehmen ohne externe Kapitalgeber aufzubauen. Wir haben in jedem Jahr einen zuerst kleinen und dann größer werdenden Jahresüberschuss erzielt und diesen über die Jahre immer wieder ins Unternehmen investiert. Dieses Geld hat ausgereicht, um durchaus schnell zu expandieren und die nächsten Schritte zu gehen – einen Kapitalbedarf von außen gab es so nie. Zu tun hatte das sicherlich auch damit, dass wir in den ersten Jahren bewusst keine Gewinne ausgeschüttet haben und darüber hinaus genau auf die Finanzen geschaut und beispielsweise auch bei unseren eigenen Gehältern gespart haben.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Im Grunde genommen haben wir uns nur selten Gedanken darüber gemacht, ob die Welt mit Fremdkapital anders aussehen würde, weil wir uns immer auf unser Produkt und die nächsten Schritte konzentriert haben. Gleichzeitig sind uns über die Jahre natürlich einige Nachteile aufgefallen, etwa dass Unternehmen mit Fremdkapital durch ihre Finanzierungsrunde eine höhere Aufmerksamkeit in der Presse bekommen und sich dadurch bei der Kunden-, aber auch Mitarbeitergewinnung leichter tun. Sicherlich ist es auch so, dass wir durch unsere Situation im Konkurrenzkampf um Personal immer das Problem hatten, beim Gehalt nicht mit fremdfinanzierten Unternehmen mithalten zu können und entsprechend kreativ werden mussten – was im Gegenzug dazu geführt hat, dass wir einen einmaligen Teamspirit haben, der in einem jährlichen gemeinsamen Teamtrip gipfelt. Natürlich merkt man über die Jahre auch, dass es mit Fremdkapital einfacher wäre, schneller zu wachsen –etwa weil man schneller mehr Geld für Marketing ausgeben kann. Auch bei der Produktentwicklung würde vieles fraglos schneller gehen, wenn die Finanzierung eine untergeordnete Rolle spielt. Am Ende will ich den Weg, den wir gegangen sind, allerdings nicht missen, weil man so in einer besonderen Form lernt, gut mit Geld umzugehen!

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Im Grunde genommen gab es keine Projekte, die wir wegen fehlenden Geldes gestrichen haben, aber es steht außer Frage, dass viele Dinge deutlich schneller gegangen wären, wenn die Finanzen anders ausgesehen hätten. Nehmen wir als Beispiel unser Hotelprodukt reisetopia Hotels, das wir über die Jahre immer weiter entwickelt haben. Mit mehr Ressourcen wäre unser Produkt heute schon ein ganzes Stück weiter, wir hätten eine eigene App, mehr Funktionalitäten und noch mehr Partnerhotels. Es ist am Ende so, dass Dinge durch das Bootstrapping schlicht länger dauern, aber nicht zwingend wegfallen. Man kann das insofern auch positiv sehen, dass man sich mehr Gedanken macht und das Endergebnis so potenziell besser wird. Ein weiteres Beispiel, bei dem mehr Geld sicher geholfen hätte, sind unsere beliebten Kreditkarten- und anderen Finanzvergleiche. Wir sind nicht nur bei Suchmaschinen, sondern auch bei Direktzugriffen und über Social Media eine beliebte Quelle für professionelle Empfehlungen für Finanzprodukte, weil die Nutzer wissen, dass sie bei uns aktuelle, qualitativ hochwertige und ehrliche Produkttests finden. Dennoch können wir technisch schlicht keinen Vergleich auf einem Niveau von Konkurrenten wie Check24 bieten. Wir sind zwar glücklich, dennoch mithalten zu können, aber gerade bei technischen Entwicklungen wäre mit mehr Geld deutlich mehr drin. Die Nutzergewinnung, die über Kundenwerbung, Suchmaschinen und den Ausbau der eigenen Community hinausgeht, ist ebenfalls etwas, für das beim Bootstrapping oft das Geld fehlt. Wenn man seine Sache gut macht, wächst man trotzdem, weil die Menschen einen gerne weiterempfehlen. Mit viel Geld, Marketing-Kampagnen, Fernseh- oder Online-Werbung geht es aber natürlich deutlich schneller.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Geduld. Wenn mich die letzten Jahre eines gelehrt haben, dann ist es, dass durch das Bootstrapping alles ein wenig länger dauert und man sich manchmal ärgert, dass die Konkurrenz es schneller hinbekommt, weil sie mehr Mittel hat. Gerade am Anfang nagt es an einem, dass das Wachstum des Unternehmens lange dauert – manchmal kommt in dieser Zeit gerade mal ein neuer Leser am Tag dazu. Die Skaleneffekte bei Empfehlungen setzen schlicht deutlich später ein und auch dann geht es noch langsamer als bei Unternehmen, die viel Geld in Marketing investieren. Doch Geduld ist nicht nur bei der Kundengewinnung oder dem Umsatzwachstum notwendig. Die Mitarbeitergewinnung dauert länger, die Suche nach einem Büro dauert länger, die technische Entwicklung dauert länger und da einem auch weniger Türen durch Kontakte offenstehen, dauert auch der Beziehungsaufbau länger. Das Schöne ist allerdings, dass man als Gründer durch das Bootstrapping viel über Geduld lernt und sich umso mehr freut, wenn es vorangeht und man einzelne Erfolge feiert – diese fühlen sich deutlich realer und echter an, wenn man weiß, wie lange man darauf gewartet und wie viel Zeit und Kraft man investiert hat.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
So einiges. Als wir gegründet haben, war ich gerade einmal 23 Jahre und hatte gelinde gesagt wenig Ahnung vom Unternehmertum. Über die Jahre habe ich im Grunde alles von der Pike auf gelernt und mir größtenteils selbst beigebracht. Schiefgegangen sind dabei Dutzende Sachen. Ich kann immer noch nur mitleidig auf unsere ersten Mitarbeitenden schauen, die zum Beispiel kein Onboarding bekommen haben. Stattdessen mussten sie ab dem ersten Tag einfach anfangen und sollten direkt so arbeiten wie wir – geklappt hat das natürlich nicht so ganz. Richtig schiefgegangen ist auch unser viel zu früher Versuch der Internationalisierung. Im Jahr 2019 wollen wir auf einmal ganz viel gleichzeitig und dachten uns, dass wir nicht nur drei Produkte gleichzeitig aufbauen können, sondern auch noch in drei Länder expandieren sollten. Dabei haben wir uns dann auch finanziell übernommen und mussten uns erstmals von einem Mitarbeiter trennen – das hat mich auch persönlich schwer getroffen. Die Zeit war zwar sehr lehrreich und auch vom Timing gut, weil wir immerhin für die Corona-Zeit finanziell gut aufgestellt waren, aber dennoch schmerzhaft. Es gibt natürlich noch weitere Beispiele: 2019 haben wir jede Menge Aufmerksamkeit in der Presse bekommen, etwa in der FAZ oder im Handelsblatt, und waren mit unserem Hotelprodukt überhaupt nicht dafür gerüstet. Ich erinnere mich an viele Nächte, in denen ich selbst hunderte Hotelanfragen beantwortet habe, weil wir weder bezüglich der Kapazitäten noch bezüglich der Technik für den Ansturm gerüstet waren. Als Kunde wäre ich uns in diesen Tagen mit Blick auf die Antwortzeiten nicht treu geblieben.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Nirgendwo. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es irgendeinen Bereich gibt, in dem man als 23-jähriger Gründer alles richtig macht. Es gibt viele Dinge, auf die ich stolz bin, allen voran den Aufbau eines wirklich einmaligen Teams, das ich persönlich mit einer weiteren Familie gleichsetze. Dazu kommen andere Bereiche, in denen wir meines Erachtens vieles sehr gut machen, etwa mit Blick auf unseren Premium-Service, den wir unseren Kunden und Lesern überall bieten wollen – egal ob sie uns eine E-Mail schreiben oder eine Anfrage für eine Hotelbuchung schicken. Wenn es zudem eine Sache gibt, bei der wir wirklich fast alles richtig gemacht haben, dann waren es die Anfangswochen der Corona-Pandemie. Wir haben im Grunde alle Kapazitäten darauf fokussiert, Artikel zu Rückholflügen und Möglichkeiten für Reisende, nach Hause zu kommen, zu schreiben. Gleichzeitig haben wir hunderte E-Mails beantwortet und waren zwischenzeitlich bei den Seitenaufrufen sogar die größte Reise-Website in Deutschland. Die Tage waren intensiv, aber es hat sich super angefühlt, weil wir Leuten wirklich helfen konnten und die Dankbarkeit enorm war. Viele dieser Leser sind uns heute sehr treu, sodass ich retrospektiv sagen kann, dass wir gerade in dieser Zeit sicherlich viel richtig gemacht haben.

Wo steht reisetopia in einem Jahr?
In einem Jahr erwartet Leser und Kunden auf reisetopia noch mehr Qualität. Wir setzen schon immer stark auf diesen Aspekt, haben aber einige Projekte angestoßen, um Kunden noch hochwertigere Inhalte zu bieten und auch unsere Produkte, seien es unsere Finanzvergleiche oder unser reisetopia Hotels, weiterzuentwickeln. Genau diesen Weg wollen wir weitergehen. Die letzten Jahre haben mich gelehrt, dass man nicht immer nur vom nächsten großen Schritt träumen sollte, sondern mindestens genauso viel Zeit investieren sollte, das Bestehende besser zu machen. Dazu gehört für uns auch, unser Team weiter auszubauen und beim Umsatz nochmal einen großen Sprung zu machen – 2024 sehen wir uns entsprechend bei 4 Millionen Euro Umsatz mit der üblichen Gewinnrendite sowie einer noch einmal relevant gestiegenen Kunden- und Leserzahl. In den Jahren danach steht die Internationalisierung unserer weiterentwickelten Projekte auf der Agenda, genauso wie die Erweiterung des Portfolios in Deutschland und der Schweiz, wo wir schon heute sehr erfolgreich arbeiten. Langweilig wird es also auch ohne Investorengelder nicht.

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Foto (oben): reisetopia

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.