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Chaanz: Kann es noch etwas Neues im Dating geben?

Wenn sie Dating-App hören, winken die meisten Investoren heutzutage ab. Der Markt ist zu voll, die Nutzer-Akquise zu aufwendig und substantielle Gewinne schwer zu erzielen. Aber irgendwas schien Carsten Maschmeyer so überzeugt zu haben, dass er auch Georg Kofler mit ins Boot holen konnte.
Chaanz: Kann es noch etwas Neues im Dating geben?
Donnerstag, 5. Mai 2022VonRuth Cremer

Es gibt Speed-Dating, Single-Sporttreffs, massenhaftes Swipen, psychologisches Matching oder besondere Vorauswahlen. Mal füllt man ellenlange Fragebogen aus, mal dürfen nur die Frauen den ersten Schritt machen. Man könnte meinen, im Dating-Bereich sei schon alles da. Doch die Gründer von Chaanz sahen das anders, ihnen fehlte etwas. Doch wie kommuniziert man am Besten einen USP in einem vollen Markt, in dem es schon alles zu geben scheint?

Marwin, Jakob und Nino waren angetreten, das unmöglich erscheinende zu versuchen. Denn wenn sie den Begriff “Dating-App” hören, winken die meisten Investoren heutzutage schon ab. Der Markt ist zu voll, die Nutzer-Akquise zu aufwendig und substantielle Gewinne unglaublich schwer zu erzielen, wenn man keiner der ganz Großen ist.

Praktisch alle Varianten gibt es schon, nichts scheint mehr neu zu sein, und jetzt soll eine App von drei jungen Männern aus Frankfurt daran etwa rütteln?

So sollten man auch nicht verwundert gewesen sein, als trotz ausführlichem Pitch über den Ablauf, wie sich zwei Menschen auf Chaanz finden können, die erste Frage praktisch direkt darauf abzielte. Georg Kofler wollte wissen, was denn daran so neu sein sollte.

Die Antwort enthielt gleich zwei Schlüsselwörter: “situativ” und “Festivals”. Denn Chaanz will niemanden ansprechen, der sich gelangweilt zu Hause auf der Coach durch eine Vielzahl von Fotos swiped, sondern die, die bereits unterwegs sind. Es sollen Menschen genau in der Situation abgeholt werden, in der sie wirklich jemanden kennenlernen und direkt treffen wollen.
Das zweite Schlüsselwort wird dann umso wichtiger, je mehr man sich mit dem Wachstumspotenzial des Modell beschäftigt. Denn um in Alltagssituationen zu funktionieren, das heißt überhaupt match-bereite und dann noch passende andere Nutzer in der Nähe zu finden, braucht es eine Vielzahl von situativ Flirtwilligen. Diese kritische Masse ist, wenn man die im Pitch vorgestellte Situation als Referenz nehmen will, sehr, sehr hoch.

Doch bei großen und zumindest teilweise organisierten Menschenansammlungen, bei denen man eine solche App gut promoten könnte, sieht das anders aus. Festivals scheinen hier prädestiniert, aber auch andere Großveranstaltungen oder der Semesteranfang an Universitäten.

Selbst bei einer vergleichsweise geringen Conversion, also einem eher niedrigen Anteil von tatsächlichen Nutzenden, könnte es hier ein paar Matches geben und eine erste Bindung der Nutzer erfolgen – die App wird wohl zumindest nicht gleich wieder deinstalliert. Bei einer gewissen Dichte teilnehmender Events in einer Stadt oder Region könnte sich so relativ kostengünstig eine gewisse Nutzerschaft aufbauen. Und vielleicht kann so – unterstützt von zum Beispiel Performance Marketing-Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt – die kritische Masse Stadt für Stadt erreicht werden.

Doch wie macht man das richtig Investoren schmackhaft? Der bloße Plan alleine würde natürlich sehr viel “Daran-glauben” auf Seiten der Geldgeber voraussetzen. Um in ein dermaßen als riskant angesehenes Feld zu investieren, würde das wahrscheinlich nicht ausreichen. Wie so oft liegt hier sehr viel Wert in den Zahlen, und vor allem auch darin, schon möglichst früh erste KPIs zu generieren.

Sobald die Grundfunktionen stehen, könnte man in diesem Fall zum Beispiel mit einem ersten Festival kooperieren und versuchen, Daten zu sammeln. Wie viele nehmen z.B. einen Flyer mit Code mit oder scannen einen QR-Code für den Zugang? Wie viel davon laden die App dann auch tatsächlich herunter, wie viel füllen das Nötigste aus und lassen Matches zu bzw. suchen aktiv? Und wie viele Treffen konnte man so dann am Ende tatsächlich initiieren? Gute Conversion Rates hier könnten Investoren zeigen, dass diese “Festival-Strategie” tatsächlich klappen könnte, dass der Use Case existiert und das auch nicht zu selten. Schlechte helfen, die Schwachstellen aufzuzeigen und zu verbessern.

Damit man jedoch wirklich mit den Ergebnissen arbeiten kann, sollte man sich Gedanken machen, was man bestenfalls erwartet und was man als ok oder eher schlecht ansehen würde. Dieser typische, “Lean Startup”-mäßige experimentelle Aufbau kann erst wirklich seinen Wert entfalten, wenn man sich vollkommen darüber im Klaren ist, was man misst, warum und wann man die Resultate für gut befinden würde. Wie immer gilt: ein Gründer, der keine Meinung zu seinen eigenen geschäftsdefinierenden Kennzahlen hat, ist kein guter Gründer.

Natürlich steht einem ein ähnliches Vorgehen auch noch in vielen anderen Unternehmensbereichen und später vor allem auch bezüglich der Monetarisierung bevor. Aber diese ersten Tests auf Events könnten die grundsätzliche Annahme bestätigen, dass der vorgestellte USP auch wirklich ein Alleinstellungsmerkmal ist. Denn “unique” ist nicht alles, wenn es nicht wirklich ein “selling point” ist.

Ob die Gründer solche Daten schon hatten, bleibt dem Zuschauer leider vorenthalten, da der Schnitt hier keine Rückschlüsse darauf zulässt.

Aber irgendwas schien Carsten Maschmeyer jedenfalls so überzeugt zu haben, dass er auch Georg Kofler mit ins Boot holen konnte. Und auch, wenn der Deal schließlich leider nicht umgesetzt wurde, kann man Chaanz – neben guten KPIs natürlich – und allen Singles nur einen flirtvollen Sommer wünschen.

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Foto (oben): TVNOW / Bernd-Michael Maurer

Ruth Cremer

Ruth Cremer ist Mathematikerin und als Beraterin, Coach und Speaker tätig. Außerdem ist sie Hochschuldozentin im Bereich Unternehmertum und eCommerce. Die ehemalige Investment-Managerin kennt die Szene in- und auswendig und hilft Startups insbesondere dabei, Pitches vorzubereiten und Investment- sowie Akquisitionsprozesse zu meistern. Ruth Cremer ist bereits seit der fünften Staffel als externe Beraterin für das Format „Die Höhle der Löwen“ tätig und unterstützt die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten. Mehr zu ihr auch unter www.ruthcremer.de.