#Interview

“Die größte Entwicklung war der Switch vom B2C-Produkt zum jetzigen B2B-Produkt”

Evy Solutions legte nach dem Start im Jahre 2018 einen Pivot vom B2C- zum B2B-Produkt hin. "Im Nachhinein gesehen war es nicht gut, mit dem B2C-Ansatz zu starten", sagt Gründer Michael Vogel. "Denn der deutsche Markt war noch nicht bereit für eine Digitalisierung von Post", führt der Kölner aus.
“Die größte Entwicklung war der Switch vom B2C-Produkt zum jetzigen B2B-Produkt”
Mittwoch, 15. Dezember 2021VonAlexander Hüsing

Das Kölner Startup Evy Solutions wollte ursprünglich einen Assistenten zur Verwaltung von Post, Terminen und Rechnungen für Vielreisende und kleinere Unternehmen etablieren. “Doch dann kam alles anders: Wir erhielten statt der Vielreisenden als Kunden etliche Anfragen aus dem B2B-Bereich. Und so stellte sich heraus, dass die Skills unserer selbst entwickelten KI weniger von Endanwendern als von Unternehmen benötigt wird”, sagt Michael Vogel, der das Unternehmen gemeinsam mit Arian Storch 2017 gegründet hat.

Inzwischen kümmert sich das Evy Solutions-Team um KI-gestützte Dokumentenverarbeitung und Prozessautomatisierung. “Das Besondere der Lösung ist ihr textbasierter Ansatz, dank dem sich auch aus unstrukturierten Daten relevante Informationen herauslesen und klassifizieren lassen”, sagt Gründer Vogel.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Evy Solutions-Macher über den Pivot, das Briefgeheimnis und den Standort Köln.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Evy Solutions erklären?
In die Postfächer von Unternehmen flattern täglich Unmengen an Dokumenten, deren händische Verarbeitung fehleranfällig ist und viel Zeit sowie Ressourcen bindet. Wir – das heißt Arian Storch und ich – sind angetreten, die Dokumentenanalyse und -verarbeitung zu revolutionieren – mithilfe unserer intelligenten Software-Lösung Evy Xpact. Das Besondere der Lösung ist ihr textbasierter Ansatz, dank dem sich auch aus unstrukturierten Daten relevante Informationen herauslesen und klassifizieren lassen. Im Klartext heißt das, unserer Lösung ist es egal, an welcher Stelle im Text die relevanten Informationen stehen. Möglich macht diesen sogenannten textbasierten Ansatz die von Arian selbstentwickelte Künstliche Intelligenz (KI), die über ein natürliches Sprachverständnis verfügt und inhaltliche Zusammenhänge erkennt. Ein schönes Beispiel hierfür ist das Auslesen und Klassifizieren von E-Mail-Textkörpern. Die meisten Lösungen können die Inhalte von E-Mails nicht auslesen, da diese in der Regel keiner bestimmten Form folgen. Für unsere Lösung hingegen ist das kein Problem. Ihre eigene Spracherkennung optimiert die Software darüber hinaus beständig selbstlernend. Somit erreicht unsere Lösung bereits nach drei bis vier Wochen im Einsatz eine Zuverlässigkeit von 99 %, der händische Bearbeitungsaufwand reduziert sich auf 1 % der Dokumente.

Euer Modell war zum Start vor einigen Jahren aber ganz anders, oder?
Ja. Denn ursprünglich waren wir im Januar 2018 mit einem anderen Ansatz und der App “Evy Companion” gestartet, einem intelligenten und mobilen Assistenten zur Verwaltung von Post, Terminen und Rechnungen für Vielreisende und kleinere Unternehmen. Doch dann kam alles anders: Wir erhielten statt der Vielreisenden als Kunden etliche Anfragen aus dem B2B-Bereich. Und so stellte sich heraus, dass die Skills unserer selbst entwickelten KI weniger von Endanwendern als von Unternehmen benötigt wird. Das führte dazu, dass im Sommer 2018 dann unser aktuelles Produkt auf den Markt kam: Evy Xpact.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Unser Ansatz ist es, die Implementierungskosten für die Anwender möglichst gering zu halten. Daher wird unsere Software wird als Pay-Per-Use-Modell vertrieben. Das bedeutet, der Kunde bezahlt den Einsatz unserer Software nur für jeweils das Dokumentenvolumen, welches sie benötigen.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Während der Corona-Pandemie und der aufgezwungenen Messepause standen wir – wie viele Unternehmen – vor dem Problem, neue Wege bzw. Alternativen für Marketing und Vertrieb zu finden. Wir haben diese unfreiwillig ruhige Phase genutzt und während der Lockdown-Monate unsere Kundenbereiche genau unter die Lupe genommen. Als Ergebnis haben wir unsere Lösung in drei Produktlinien unterteilt, die jetzt für die jeweiligen Zielgruppen noch besser greifbar und schneller einsatzbereit sind. Davon profitieren wir enorm.

Wie ist überhaupt die Idee zu Evy Solutions entstanden?
Die Idee für Evy Solutions entstand im Gespräch mit meinen Mitgründer Arian, der im Rahmen seiner Doktorarbeit schon länger zum Thema Textanalyse mit Künstlicher Intelligenz forschte. Und ich hatte durch meine Zeit als selbstständiger Unternehmensberater und Teil des Beirats eines Gründungswettbewerbes bereits viel Erfahrung im Bereich der Unternehmensgründung. Wir erkannten beide das hohe Potenzial von Textanalysen mit KI und somit lag der Gedanke nah, gemeinsam Evy Solutions zu gründen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zehn Jahre Entwicklungszeit in die ursprüngliche Produktidee geflossen: eine App, basierend auf der von Arian selbst entwickelten Künstlichen Intelligenz, die Dokumente aus der analogen und digitalen Welt zusammenführt. Egal, ob Briefe oder Emails – alles gebündelt, klassifiziert und richtig zugeordnet in einer App.

Wie hat sich Evy Solutions seit der Gründung entwickelt bzw. wie groß ist Evy Solutions inzwischen?
Die größte Entwicklung war für uns sicherlich der Switch vom ursprünglich angedachten B2C-Produkt – der Dokumenten-App – zum jetzigen B2B-Produkt. Denn nach unserem ersten Produktlaunch hat sich ja wie erwähnt nicht so sehr unsere B2C-Komplettlösung etabliert, sondern dank der Anfragen für einzelne Teilbereiche daraus unsere jetzige B2B-Lösung im Baukastenprinzip. Wir haben also die App in ihre einzelnen Module zerlegt und diese zu unserem heutigen Evy Xpact weiterentwickelt. Evy Solutions wird von Arian und mir als Gründungsmitglieder selbst geleitet und wir beschäftigen aktuell 19 Mitarbeiter. Unsere Kunden sind in USA, Schweiz und Deutschland

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Richtig schief gegangen ist zum Glück nichts. Aber unser größtes Learning aus der Anfangszeit war, dass es im Nachhinein gesehen nicht gut war, mit dem B2C-Ansatz zu starten. Denn der deutsche Markt war unter anderem aus Unsicherheit bezüglich Faktoren wie dem – natürlich auch bei der E-Mail geltenden – Briefgeheimnis noch nicht bereit für eine Digitalisierung von Post in dieser Art.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Bei der Gründung selbst – diese konnten wir reibungslos durchziehen. Und auch die Spezialisierung auf KI war ein Volltreffer, ebenso wie der Wechsel von der B2C- zur B2B-Lösung.

Wo steht Evy Solutions in einem Jahr?
Wir haben noch viel vor. Vor Kurzem konnten wir unseren ersten Kunden in den USA gewinnen und wollen als nächstes unsere Lösungen im gesamteuropäischen Markt ausrollen und dafür erst einmal unserer Software weitere Sprachen antrainieren. Dank der natürlichen Sprachverarbeitung der Künstlichen Intelligenz kann die Software theoretisch jede beliebige Sprache problemlos verarbeiten, nachdem sie von uns antrainiert wurde. Aktuell beherrscht die Lösung Deutsch und Englisch. Als nächstes werden weitere europäische Sprachen folgen wie Italienisch, Spanisch, Französisch oder Niederländisch. Ein weiteres Ziel ist es, unseren Entwicklungsprozess zu beschleunigen. Daher sind wir aktuell auf der Suche nach versierten Partner und Mitarbeitern – von Softwareentwicklern über strategische Partner bis hin zu neuen Finanzpartnern, damit wir unsere Software als Out-of-the-Box-Lösung noch schneller auf den Markt bringen und unser Umsatzwachstum weiter vervielfachen können.

Reden wir zudem noch über den Standort Köln. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für Köln als Startup-Standort?
In Berlin ist es sehr schwierig, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. In Köln profitieren wir hier von der Unterstützung der Stadt. Darüber hinaus hat Köln im Vergleich zu Berlin einen viel größeren Einzugsbereich mit vielen Mittelständlern und ist auch verkehrstechnisch sehr gut angebunden. Sprich, der Zugang zu Personal ist hier einfacher.

Was ist in Köln einfacher als im Rest der Republik?
Neue Kontakte zu knüpfen und das Netzwerken ist beides einfacher. Und nicht zuletzt auch die Suche nach Büroräumlichkeiten.

Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Köln?
Ich würde mir ein stärkeres Netzwerk von Business Angels für den Standort wünschen und mehr Kapitalmöglichkeiten für Gründer. Es gibt wenige VC-Fonds in Köln.

Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness

In unserem Themenschwerpunkt Köln werfen wir einen genaueren Blick auf das Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind dort die Voraussetzungen für Gründerinnen und Gründer, wie sieht es mit Investitionen aus und welche Startups machen gerade von sich reden? Mehr als 550 Startups haben Köln mittlerweile zu ihrer Basis gemacht. Mit zahlreichen potenziellen Investoren, Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents bietet Köln ein spannendes Umfeld für junge Unternehmen. Diese Rubrik wird unterstützt von der KölnBusiness Wirtschaftsförderung. #Koelnbusiness auf LinkedInFacebook und Instagram.

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Foto (oben): Evy Solutions

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.