#Interview

“Wir machen eine Art ‘professionelles Herzblatt’ für Unternehmen”

Mystery Minds entwickelt Match-Making-Lösungen, um Mitarbeiter:innen innerhalb einer Firma miteinander zu vernetzen. 150 Kunden setzen bereits auf das Unternehmen aus München. Die Mystery Minds-Macher haben ihr Unternehmen dabei bisher ohne Kapitalgeber aufgebaut.
“Wir machen eine Art ‘professionelles Herzblatt’ für Unternehmen”
Montag, 8. November 2021VonAlexander Hüsing

Das HR-Startup Mystery Minds, das 2014 von Christoph Drebes und Stefan Melbinger gegründet wurde, sorgt dafür, dass Mitarbeiter:innen in Unternehmen sich miteinander vernetzen können. “Dafür haben wir eine Software entwickelt, die Leute per Zufallsprinzip miteinander in Kontakt bringt – zum Beispiel für einen “Mystery Coffee”: Dabei meldet sich etwa ein Mitarbeiter an und erhält dann eine Einladung für einen gemeinsamen Kaffee mit einem Kollegen, den er noch nicht kennt”, erklärt Gründer Drebes das Konzept.

Vor Corona war “Mystery Lunch” das Zugpferd der Münchner Jungfirma, die 15 Mitarbeiter:innen beschäftigt. “Bereits zuvor hatten wir mehrere Matchmaking-Lösungen gelauncht. Mit “Mystery Coffee” kam der Stein nun voll ins Rollen. Unternehmen konnten ihre Mitarbeiter damit weltweit auf Mausklick vernetzen. Dass wir damit erfolgreicher denn je sind, geht aber noch auf einen anderen Umstand zurück: Ohne Matching-Plattformen wie unsere ist Vernetzung im Zeitalter mobilen und hybriden Arbeitens überhaupt kaum mehr möglich, sagt Drebes.

Die Mystery Minds-Macher haben ihr Unternehmen bisher ohne Kapitalgeber aufgebaut. Was nicht immer einfach war! “In den ersten Jahren mussten wir sämtliche Investitionen ganz genau durchrechnen – ebenso natürlich jede Einstellung von Mitarbeitern. Auch um neue Ideen konsequent umzusetzen, haben uns qualifizierte Leute gefehlt. Unser fokussierter, internationaler Roll-out hat sich so etwas verzögert. Doch dafür konnten wir mit organischem Wachstum stetig, sinnvoll und nachhaltig wachsen”, erzählt der Jungunternehmer.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Mystery Minds-Gründer Drebes außerdem über Rücklagen, Hierarchien und technologische Challenges.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Mystery Minds erklären?
Wir machen eine Art “professionelles Herzblatt” für Unternehmen, mit dem sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intern vernetzen können. Das Ziel besteht darin, dass Menschen aus verschiedenen Abteilungen oder Büros gemeinsam über neue Ideen und Projekte sprechen. Dafür haben wir eine Software entwickelt, die Leute per Zufallsprinzip miteinander in Kontakt bringt – zum Beispiel für einen “Mystery Coffee”: Dabei meldet sich etwa ein Mitarbeiter aus dem Rechnungswesen auf der Plattform an und erhält dann eine Einladung für einen gemeinsamen Kaffee mit einem Kollegen aus dem Marketing, den er noch nicht kennt. Die beiden treffen sich dann online zu einem „Blind Date“. Möglich ist auch ein Kennenlernen beim Mittagessen, dem “Mystery Lunch”. Eingesetzt werden unsere sogenannten “Matching-Lösungen” zum Beispiel von L’Oréal, der Allianz oder der Deutschen Bank.

Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, seit dem Start irgendwie verändert?
Definitiv. Wir haben unser Geschäftsmodell seit der Gründungsphase kontinuierlich weiterentwickelt und es gleichzeitig veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Wenn wir zurückblicken, hatte im Jahr 2014 zunächst alles mit einer Vision angefangen: Obwohl längst überall von der hohen Bedeutung des Netzwerkens als Karrierefaktor gesprochen wurde, haben wir festgestellt, dass es für Menschen sehr schwierig ist, neue Kontakte innerhalb ihrer Organisationen zu knüpfen. Das wollten wir mit unserem Startup ändern – und neue Verbindungen über Abteilungen hinweg ermöglichen. Am besten geeignet erschienen uns dafür gemeinsame Mittagessen. So ist die Idee entstanden, Kolleginnen und Kollegen per Zufallsprinzip beim Lunch zusammenzubringen – und die Grundlage für Mystery Lunch wurde gelegt. Im Laufe der Zeit haben wir weitere Lösungen entwickelt, die das Ziel von Vernetzung und Zusammenarbeit unterstützen. Zu Beginn der Corona-Krise haben wir unseren Fokus mit Mystery Coffee dann auf den virtuellen Kaffee verschoben: Das war ein voller Erfolg. Doch auch Tools wie etwa unsere digitale Mentoring-Software werden immer beliebter.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Bis zu Beginn der Corona-Krise war Mystery Lunch unser stärkstes Zugpferd. Das hat sich aber beinahe von einem Tag auf den anderen geändert: Als plötzlich das Motto “Wir bleiben zu Hause” in Verbindung mit Social Distancing zum New Normal wurde, hatten sich gemeinsame Mittagessen fürs Erste erledigt. Die Frage für uns war nun, wie wir Menschen helfen konnten, sich auch in Pandemie-Zeiten zu vernetzen. Bereits zuvor hatten wir mehrere Matchmaking-Lösungen gelauncht. Mit “Mystery Coffee” kam der Stein nun voll ins Rollen. Unternehmen konnten ihre Mitarbeiter damit weltweit auf Mausklick vernetzen. Dass wir damit erfolgreicher denn je sind, geht aber noch auf einen anderen Umstand zurück: Ohne Matching-Plattformen wie unsere ist Vernetzung im Zeitalter mobilen und hybriden Arbeitens überhaupt kaum mehr möglich. Mit diesen Trends sind wir in gewisser Weise systemrelevant geworden.

Wie ist überhaupt die Idee zu Mystery Minds entstanden?
Die Idee kam mir und meinem Mitgründer Stefan Melbinger beim gemeinsamen Mittagessen. Wir waren beide in einem internationalen Telekommunikations-Konzern tätig – er in der IT und ich im Projektmanagement. Beinahe täglich ist uns aufgefallen, dass viele Projekte an einer ineffektiven Zusammenarbeit zwischen Kolleginnen und Kollegen haperten. Oft hatten die Leute keinen oder kaum Kontakt zu anderen außerhalb des eigenen Bereichs. Uns wurde bewusst: Mehr Vernetzung innerhalb von Organisationen ist in Zeiten von Digitalisierung und kurzen Innovationszyklen elementar. Da wir Teil eines Talente-Programms waren, trafen wir uns regelmäßig zum Mittagessen und kamen dort auf die Idee Kollegen zufällig beim Mittagessen – beim Mystery Lunch – zu vernetzten. Uns war klar, dass die Initiierung zufälliger Meetings über Abteilungen und Hierarchien hinweg einen starken und positiven Einfluss auf die gesamte Unternehmenskultur haben würde. Und wir haben gespürt, dass wir mit einer Startup-Gründung in diesem Segment die Chance haben, die Welt in vielen Mikrokosmen wirklich besser zu machen.

Wie hat sich Mystery Minds seit der Gründung entwickelt?
Der Ansatz von Mystery Minds wurde gerade zu Beginn als neu, innovativ und im positiven Sinne disruptiv wahrgenommen: Der konkrete Mehrwert von mehr Vernetzung stieß auf große Resonanz. So haben wir schon schnell spannende Kunden gewonnen, zu denen mehrere DAX-Unternehmen zählen. Gleichzeitig haben wir unser Software-Portfolio weiterentwickelt, um auch in der Breite zu skalieren. So konnten wir uns wirtschaftlich solide aufstellen und kontinuierlich wachsen – sogar während der Corona-Krise.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Mystery Minds inzwischen?
Wir haben heute ein klasse Team mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die weltweit über 150 Kunden betreuen. Zuletzt nahmen pro Jahr 85.000 Teilnehmer an einem der über unsere Plattformen initiierten Programme teil. Daraus sind insgesamt bereits rund 750.000 neue Verbindungen zwischen Menschen entstanden.

Du hast Mystery Minds bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Ja. Wir wollten die Zügel in der Hand behalten und nicht von Investoren abhängig sein. Das war auch problemlos möglich, da wir organisch schnell gewachsen sind. Zwischenzeitlich haben wir zwar punktuell damit geliebäugelt, für eine beschleunigte Entwicklung und den strukturellen Ausbau unseres Geschäfts zusätzlich doch auf externe Kapitalgeber zu setzen. Unter dem Strich sind wir aber überzeugt, dass es bis jetzt die richtige Entscheidung war, dem Bootstrapping-Modell treu zu bleiben. Für die Zukunft sind wir weiterhin offen für Gespräche mit potenziellen Investoren, müssen aber nicht zwingend eine Investment-Runde abschließen.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Wir hatten das Quäntchen Glück, schon erste Kunden kurz nach der Gründung zu gewinnen. Damals waren mein Mitgründer Stefan Melbinger und ich noch angestellt im Konzern. Wir hatten ein festes Gehalt – das hat einiges erleichtert. Doch erst als wir den Fokus vollständig auf unser Startup gerichtet haben, konnten wir richtig durchstarten: Mein Mitgründer Stefan hat sich auf die Software-Entwicklung und alle anderen technologischen Challenges konzentriert, ich habe den Vertrieb und die Kundenbetreuung übernommen. Wir konnten zu dieser Zeit „einfach mal machen“ und Dinge ausprobieren – das war großartig. Niemand hat uns reingeredet. Doch haben uns mitunter auch die Kapazitäten gefehlt, das mit der nötigen Power anzugehen. Durch das Fehlen von Fremdkapital kamen Strategieentwicklung, Sales und Marketing nur verlangsamt voran. Zeitweise hatten wir zu befürchten, dass andere schneller sein könnten als wir und das Feld schon abgrasen, bevor wir es bestellen. Wir mussten uns zusätzlich noch um alles Operative kümmern – damit war es manchmal schwierig, den Blick auf die Zukunft zu richten und mit klarem Fokus zu skalieren. Inzwischen ist das zum Glück ganz anders: Wir sind trotz anfänglich moderater Geschwindigkeit ein Marktführer für Matching-Lösungen. Und wir haben ein tolles Team, das alle täglichen Aufgaben routiniert meistert und neue, kreative Ideen einbringt.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
In den ersten Jahren mussten wir sämtliche Investitionen ganz genau durchrechnen – ebenso natürlich jede Einstellung von Mitarbeitern. Es war ohne VC nicht so einfach möglich, schnell zu expandieren. Auch um neue Ideen konsequent umzusetzen, haben uns qualifizierte Leute gefehlt. Unser fokussierter, internationaler Roll-out hat sich so etwas verzögert. Doch dafür konnten wir mit organischem Wachstum stetig, sinnvoll und nachhaltig wachsen.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Vier Dinge sind wichtig: Erstens, validiert eure Ideen bevor ihr “all-in” geht. Testet dabei, ob Kunden wirklich Geld für euer Produkt bezahlen. Ein MVP muss nicht sexy sein, sondern eine Key-Funktionalität haben und dem Kunden einen konkreten Mehrwert liefern. Wenn das passt, macht weiter. Zweitens, startet in einem sicheren Umfeld: Baut schon vor der Gründung Rücklagen auf oder bleibt in Teilzeit angestellt. Versucht drittens, schnell Umsätze zu generieren. Klare KPIs und ein fester Zeitrahmen helfen. Und viertens und letztens: Sofern ihr im B2B-Bereich gründet, macht viel Vertrieb selbst. Denn wenn ihr mit Kunden sprecht, lernt ihr von ihnen und ihren Anforderungen. So könnt ihr euer Produkt zielgenau weiterentwickeln.

Wovon hast Du in der Anfangszeit gelebt?
Als wir gestartet sind, waren mein Mitgründer Stefan Melbinger und ich noch in Anstellung tätig – zunächst in Vollzeit, später in Teilzeit. Doch das war nur über kurze Zeit der Fall. Denn mit Mystery Lunch sind wir förmlich offene Türen eingerannt: Durch die spürbare Nachfrage haben wir von Anfang an schwarze Zahlen geschrieben – genug, um unsere Lebenshaltungskosten zu decken. Von den generierten Umsätzen haben wir immer einen erheblichen Anteil reinvestiert, um sukzessive ein Team aufzubauen.

Wo steht Mystery Minds in einem Jahr?
Perspektivisch gehen wir davon aus, dass sich Arbeit sowohl mobil als auch hybrid entwickeln wird: Menschen sind bei Bedarf vor Ort, doch zu einem gewissen Grad sind sie auch von zu Hause oder von anderen Orten weltweit aus tätig. Vernetzung ist in diesem Umfeld so wichtig wie nie zuvor. Für Mystery Minds eröffnen sich damit neue Wachstumsfelder, wie wir nutzen wollen: Unser Ziel ist es, im nächsten Jahr mehr als 150.000 Menschen rund um den Globus zu vernetzen. Mit unserem gesamten Team möchten wir weiterwachsen und neue Lösungen entwickeln. Sehr gespannt sind wir darauf, wie sich die Plattform HyThere.io entwickelt, die wir kürzlich als Testballon gebaut haben: Damit wird es Teams ermöglicht, ihre Verfügbarkeiten und Ressourcen auf digitalem Wege simpel und schnell zu koordinieren.

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Foto (oben): Mystery Minds

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.