#Interview

“Beim Bootstrapping ist man bei vielen Entscheidungen eventuell zu vorsichtig”

Remazing bringt Unternehmen in die Regale von Amazon und anderen Online-Marktplätzen. Dabei entwickelte sich die Jungfirma in den vergangenen Jahren von einer reinen Agentur hin zum "integrierten Tech-Dienstleister".
“Beim Bootstrapping ist man bei vielen Entscheidungen eventuell zu vorsichtig”
Donnerstag, 18. März 2021VonAlexander Hüsing

Remazing aus Hamburg hilft Unternehmen seit 2016 dabei, ihre Produkte im Internet zu verkaufen. “Wir helfen unter anderem großen Unternehmen wie Beiersdorf, Henkel und Leifheit dabei, ihre Waren im ‘digitalen Regal’ von Amazon zu platzieren und sorgen dafür, dass diese dort dann auch einfacher zu finden sind”, erklärt Hannes Detjen, der das Unternehmen gemeinsam mit Emil Beck gegründet hat.

Derzeit arbeiten 50 Mitarbeiter:innen für Remazing. “Unser Umsatz ist seit dem Start prozentual betrachtet jedes Jahr zwei- bis dreistellig gewachsen. Wir bieten unsere Services in mehr als 10 Ländern an”, sagt Gründer Beck. Die Remazing-Macher haben ihr Unternehmen dabei ohne Investoren aufgebaut. “In der Gründungsphase hatten wir zwar das ein oder andere Gespräch mit Business Angels, allerdings war uns früh bewusst, dass wir auch ohne externes Geld relativ zügig profitabel sein würden”, führt Beck aus.

Im Interview mit deutsche-startups.de sprechen die Remazing-Gründer außerdem über Video-Calls, Büro-Kapazitäten und das Feierabendbier.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Remazing erklären?
Detjen: Remazing ist eines der führenden Unternehmen in Europa, das Markenunternehmen verschiedener Größe hilft, ihre Produkte im Internet zu verkaufen. Der Fokus unserer Arbeit liegt dabei auf den Online-Handel bei Amazon. Ganz konkret ausgedrückt: Wie beim stationären Handel wollen unsere Kunden, dass ihre Produkte möglichst sichtbar im Regal stehen, sodass Kunden leicht auf sie aufmerksam werden. Wir helfen unter anderem großen Unternehmen wie Beiersdorf, Henkel und Leifheit dabei, ihre Waren im “digitalen Regal” von Amazon zu platzieren und sorgen dafür, dass diese dort dann auch einfacher zu finden sind. Dafür beraten wir unsere Kunden auf strategischer Ebene und helfen ihnen auch gleichzeitig bei der Umsetzung der täglichen Aufgaben, die anfallen, um auf Amazon und auch anderen Online-Marktplätzen erfolgreich Kunden zu gewinnen und Produkte zu verkaufen.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Beck: Vom Grundprinzip her nicht. Als Agentur liegt unser Fokus seit dem ersten Tag primär auf Amazon-Marketing – von der Strategie bis hin zur operativen Ausführung. Neben unterschiedlichen Sprachen bieten wir die ganze Bandbreite an Services an, die für den Verkauf auf Amazon wichtig sind – unter anderem Amazon SEO, Content-Optimierung und Amazon Advertising. Über die Jahre haben wir unsere Kenntnisse und Services jedoch auch auf andere E-Commerce-Plattformen – etwa Otto.de oder Ozon in Russland – ausgeweitet, um unseren Kunden alles, was ihre Online-Marktplatz-Aktivitäten betrifft, aus einer Hand anbieten zu können. Auch wenn wir unseren Hauptsitz in Hamburg haben, hatten wir bereits ziemlich früh Kunden aus dem Ausland.

Wir seid ihr da derzeit aufgestellt?
Beck: Mittlerweile nimmt der Anteil an internationalen Tätigkeiten neben unserem Kundenstamm in Deutschland immer weiter zu. Unsere Ausrichtung wird also zunehmend internationaler, da vor allem Amazon-Expertise weltweit gefragt ist. Eine besonders wichtige Weiterentwicklung stellt außerdem die Einführung unseres eigenen Tech-Produkts Remdash dar. Dieses haben wir in den letzten Jahren basierend auf unserer Agenturarbeit entwickelt. Unsere eigene Softwarelösung hilft unseren Kunden, die Kontrolle über ihre Tätigkeiten auf Amazon zu behalten und einige manuelle Handgriffe zu automatisieren. Mit Remdash können wir auch Kunden bedienen, die unsere Agentur-Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Detjen: Wie so ziemlich alle Startups zwang die Corona-Krise auch uns, sich an die außergewöhnliche Situation schnellstmöglich anzupassen. Wir arbeiten seit fast einem Jahr überwiegend im Home Office – was an sich sehr gut funktioniert, aber dennoch sehr schade ist, da wir unser Team schon gerne wieder an einem Ort beisammen hätten. Der persönliche Austausch oder das gemeinsame Feierabendbier ist auch durch Video-Calls nicht vollständig zu ersetzen. Angesichts der globalen Umstände ist diese negative Auswirkung jedoch eher zu vernachlässigen.

Ihr seid also gut durch die Krise gekommen?
Detjen: Wir hatten Glück, dass wir bisher gut durch die Krise gekommen sind und dank des enormen Wachstums der E-Commerce-Branche selber eine hohe Nachfrage nach unseren Dienstleistungen verzeichnen konnten. Für viele Unternehmen hat der Fokus auf Online-Marktplätze, insbesondere Amazon, in den letzten zwölf Monaten deutlich zugenommen. Die internationale Ausrichtung hat sich dabei durch die neu hinzugekommenen Amazon-Marktplätze in den Niederlanden, Schweden und Polen ebenfalls verstärkt. So konnten wir die Krise mit unseren bestehenden Kunden bisher gut meistern, viele Neukunden gewinnen, und auch im Virtual Office zahlreiche neue Mitarbeiter bei Remazing begrüßen und onboarden. Wir sind uns bewusst, dass wir in dieser Hinsicht jedoch in einer sehr privilegierten Lage sind und dies nicht die Norm ist.

Wie ist überhaupt die Idee zu Remazing entstanden?
Detjen: 2015 lebte ich für ein Jahr in Seattle. In der Amazon City konnte ich den Konzern und das ihn umgebende E-Commerce-Ökosystem intensiv kennenlernen. Dabei erlebte ich den wachsenden Bedarf an Amazon-Expertise aus erster Hand. Mit dem Wissen und der Startup-Idee im Gepäck kehrte ich dann 2016 zurück nach Deutschland und baue seitdem gemeinsam mit Emil als Mitgründer die Firma auf.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Beck: Wie bereits erwähnt, helfen wir als Hybrid aus Agentur und Technologie-Firma Markenunternehmen dabei, ihre Erfolgsgeschichten auf Amazon und anderen E-Commerce-Marktplätzen zu schreiben. Für manche Kunden sind wir lediglich Berater, für andere die externe Amazon-Abteilung. Dank unserer Expertise und maßgeschneiderten Services erzielen Digitally Native Brands wie HelloBody, Mittelständler wie MAM aus Österreich oder große Konzerne wie Under Armour bessere Ergebnisse bei ihren Online-Marktplatz-Aktivitäten. Das Geschäftsmodell basiert dabei auf einer Mischung aus Service-Paketen und der Nutzung unserer Softwarelösung.

Wie hat sich Remazing seit der Gründung entwickelt?
Beck: Wir haben es geschafft, seit dem Start mit Bootstrapping und ohne externen Investor jedes Jahr zu wachsen und profitabel zu sein. Dafür haben wir uns von Anfang an auf die “Fundamentals” konzentriert, um unseren Kunden einen herausragenden Service zu bieten. Dank der positiven Ergebnisse, die wir für unsere Kunden bisher erzielt haben, wurden wir seit jeher stetig weiterempfohlen und konnten so mit Blick auf Umsatz, Team, und die Kundenanzahl jedes Jahr größer werden. Wie bereits angedeutet ist unsere Arbeit immer internationaler und vielfältiger geworden. Die in den letzten Jahren begonnene Entwicklung von einer reinen Agentur hin zum integrierten Tech-Dienstleister ist dabei für uns der nächste logische Schritt. 

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Remazing inzwischen?
Beck: Unser internationales Team besteht mittlerweile aus über 50 Mitarbeitern, die aus mehr als zehn verschiedenen Ländern stammen. Unser Umsatz ist seit dem Start prozentual betrachtet jedes Jahr zwei- bis dreistellig gewachsen. Wir bieten unsere Services in mehr als 10 Ländern an.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Detjen: Natürlich klappt bei einem neu gegründeten Unternehmen nicht auf Anhieb alles so wie man sich das wünscht. Insgesamt hat auf unserem Weg bisher aber eigentlich alles gut funktioniert, wofür wir uns vor allem bei unseren tollen Mitarbeitern und Kunden bedanken müssen. Als Gründer können wir uns glücklich schätzen, wenngleich wir auch bei der ein oder anderen Stelle Lehrgeld gezahlt haben, z.B. durch Fehler beim Recruiting. Ebenso haben wir unsere Büro-Kapazitäten immer etwas überschätzt, sodass wir teilweise keine passenden Meetingräume hatten je größer das Team wurde. Mittlerweile sind wir ins dritte Office umgezogen, was aber für das nächste Jahr erst einmal genügend Platz bieten sollte.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Detjen: Unser größtes Asset ist unsere Firmenkultur. Für uns ist Lernbereitschaft und Wissbegierde die Grundlage unserer Arbeit. Wir freuen uns darüber, dass wir viele junge Uni-Absolventen in den letzten Jahren quasi in-house zu E-Commerce-Experten “ausgebildet” haben, die nun eigene Teams führen und wiederum ihr Wissen weitergeben. Wir haben ein tolles Gemeinschaftsgefühl und geben zusammen für unsere Kunden jeden Tag alles.

Ihr habt – wie gerade beschrieben – Remazing  bisher ohne Fremdfinanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Beck: Ja, war es. In der Gründungsphase hatten wir zwar das ein oder andere Gespräch mit Business Angels, allerdings war uns früh bewusst, dass wir auch ohne externes Geld relativ zügig profitabel sein würden. So brauchten wir letztendlich keine externe Finanzierung, um loslegen und später wachsen zu können.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Start-up recht schwierig?
Detjen: Wenn man eine Agentur gründet, hat man den Vorteil, dass man seine Arbeit direkt monetarisieren kann. So kann man die Wachstumsgeschwindigkeit relativ gut selbst steuern, da man keinen Druck von Investoren hat. Wenn man jedoch vom ersten Tag an eine eigene Softwarelösung entwickeln möchte, geht dies mit einer Fremdfinanzierung natürlich schneller, da man dann etwas entscheidungsfreudiger die nötigen Ressourcen bereitstellen und die entsprechenden Mitarbeiter einstellen würde. Insgesamt ist man beim Bootstrapping nämlich bei vielen Entscheidungen eventuell auch zu vorsichtig. Ein Beispiel: Unser Office war wie erwähnt bisher nach jeweils 1,5 Jahren eigentlich schon wieder zu klein für uns. Wenn man mit externem Geld bereits früher etwas mehr finanziellen Spielraum hat, kann man sicherlich direkt etwas offensiver planen und sich die Kosten und den Aufwand für Umzüge später dann womöglich sparen.

Was rätst du anderen Gründern, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Beck: Durchhalten! Am Ende lohnt es sich, anfangs eigenständig zu bleiben.

Wo steht Remazing in einem Jahr?
Wir planen, in den nächsten zwölf Monaten weiter kräftig zu wachsen. Wir wollen kontinuierlich neue Kunden gewinnen, weitere Mitarbeiter einstellen und neben unserer Agenturarbeit auch unsere Softwarelösung Remdash als eines der führenden Tools für Amazon-Marketing etablieren.

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Foto (oben): Remazing

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.