#Interview

“Mein Kind hat mich zum Frühaufsteher gemacht, was in der Musikindustrie schwierig ist”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Lange Zeit war unser üblicher Beginn um elf Uhr, insbesondere da ich später am Tag effektiver bin. Mittlerweile habe ich mich aber umgewöhnt", sagt Jorin Zschiesche, Gründer von recordJet.
“Mein Kind hat mich zum Frühaufsteher gemacht, was in der Musikindustrie schwierig ist”
Freitag, 5. Februar 2021VonTeam

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Jorin Zschiesche, Gründer von recordJet, einem digitalen Musikvertrieb.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Mein Kind hat mich zum Frühaufsteher gemacht, was in der Musikindustrie etwas schwierig ist. Viele Veranstaltungen und Termine finden erst in den Abendstunden statt. Dafür habe ich jetzt morgens Zeit für ein gemeinsames Frühstück und laufe dann entspannt um acht Uhr ins Büro. Lange Zeit war unser üblicher Beginn um elf Uhr, insbesondere da ich später am Tag effektiver bin. Mittlerweile habe ich mich aber umgewöhnt.

Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
So ein klassisches “nach-der-Arbeit” gibt es für Gründer nicht. Irgendwie ist man gedanklich doch immer bei der Arbeit. Abschalten funktioniert jedoch hervorragend mit Freund*innen, DJing oder Sport. Und spätestens wenn mein Kind Benjamin Blümchen anmacht, ist man sowieso in einer ganz anderen Welt von Bauklötzen und auf dem Bett springen.

Was über das Gründer-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Ich war überrascht, wie wenig die Politik von Wirtschaft versteht und wie durch falsche Sichtweisen auf die meisten Unternehmen vielen Menschen geschadet wird. Zudem hatte ich mir nicht vorstellen können, wie schlimm es wirklich ist, wenn man einer/m Mitarbeiter*in kündigen muss.

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Die erste Hürde war es, mit einem Budget von nur 3.000 Euro (Bausparvertrag) in einem Metier das kaum jemand versteht (digitaler Musikvertrieb), ein Unternehmen auf die Beine zu stellen, dessen Vision auch die großen Partner wie Apple (Spotify gab es noch nicht) überzeugt. Das Ganze hat dann über ein Jahr gedauert, bis alles ready-to-go war.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Gewissen Menschen vertraut, denen ich besser nicht vertraut hätte. Das hat ein wenig Lehrgeld und Zeit gekostet. Im Endeffekt habe ich festgestellt, dass es bei manchen Personen sehr schwer zu erkennen ist, ob sie vertrauensvoll sind. Auch wenn ich inzwischen besser darin bin, werde ich mich bestimmt wieder irren. Jedoch werde ich dadurch niemals meine positive Grundeinstellung beeinflussen lassen. Denn dadurch gewinnt und behält man Verbündete, die ebenso positiv sind. Letztendlich hat man so viel mehr Spaß am Leben, als wenn man sich durch einen Rückschlag verändern lassen würde.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Gerne über Empfehlungen beispielsweise Freund*innen von Freund*innen, aber auch klassische Ausschreibungen. Wir wollen am liebsten für immer mit den Leuten arbeiten und haben einen tollen familiären Zusammenhalt, in dem sich möglichst alle wohlfühlen. Immerhin verbringt man sehr viel Zeit auf der Arbeit. Das meiste, was wir tun, kann man nirgends lernen. Daher ist die passende Persönlichkeit am Ende noch viel wichtiger als das Vorwissen.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer?
Denkt nicht in Blasen und an Exitszenarien, sondern fundiert und langfristig. Ein solides, gesundes Unternehmen wird sich definitiv auszahlen und vor allem euch ruhiger schlafen lassen. Investiert in die eigene Führungskompetenz und persönliches Wachstum, denn nicht alles werdet ihr intuitiv richtig machen und nur so macht man bestimmtes nicht dauerhaft falsch. Fördert Frauen und Minderheiten vor allem auch in Führungspositionen – wir brauchen mehr Diversität und diese wird sich am Ende auch für alle auszahlen.

Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Dieses Internet von dem alle reden? Auf jeden Fall haben uns Asana, Intercom und Front sehr geholfen, das nächste Level zu erreichen.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Internetausfall? Wir lassen uns immer wieder etwas neues einfallen, aber besonders schön fand ich einen spontanen Bootsausflug über den Müggelsee und durch Neu-Venedig.

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Die erste Nummer eins Chartplatzierung und die erste goldene Schallplatte – alles niemals denkbar gewesen, dass man so etwas erreichen kann. Die Musikindustrie beschert einem wirklich eine Menge verrückter Nächte, die mit harmlosem Konferenzprogramm beginnen, mit großartigem Konzert weitergehen, aber dann über absurde (Karaoke-)Parties auf einer Hangover-Schiffsfahrt enden, bevor alles wieder von vorne beginnt. Was ich nie vergessen werde, ist auf der MIDEM in Cannes passiert: Dort hat ein ziemlich berauschter Megastar auf mein Taxi eingehämmert und mich wütend heraus gezerrt, weil er meinte, es wäre seines – obwohl ich gerade damit ankam.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

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Foto (oben): recordJet