#Interview

“Wir haben nach den ersten Katastrophen schnell daraus gelernt”

Rund um das Bochumer Startup Briloro sind in den vergangenen Jahren viele weitere Optik-Projekte entstanden - darunter Imba Specs, Gaming-Brillen mit Sehstärke für mehr Performance, und Nature Specs, eine komplett nachhaltige Brille.
“Wir haben nach den ersten Katastrophen schnell daraus gelernt”
Montag, 2. November 2020VonAlexander Hüsing

Das Bochumer Startup Briloro bietet seit etlichen Jahren Gleitsichtbrillen und Brillen zum Komplettpreis an. Um dieses Multichannel-Konzept entstanden zuletzt weitere Konzepte drumherum. “So wechseln wir mit den Brillenglas-Experten.de seit vielen Jahren Brillengläser in Kundenfassungen aus, sorgen mit Tauchmaske.de für optische klare Sicht unter Wasser, verhelfen Gamern mit unserem Amazon Shop Imba Specs für Gaming Brillen mit Sehstärke für mehr Performance und sind nun in Köln mit Nature Specs in der Nachhaltigkeit angekommen”, erzählt Mitgründer Carl Philipp Niermann.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Briloro-Macher über Rohstoffe, Katastrophen und Weihnachtsmärkte.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Briloro bzw. Nature Specs erklären?
Hömma Omma. Uns ist unsere Welt und ihre Natur sehr wichtig. Wir haben lange zugesehen, wie ihr Schaden zugeführt wurde und müssen heute mit diesem leben. Deswegen haben auch wir in der Optik nach Ansätzen und Lösungen für Nachhaltigkeit gesucht, wir haben leider keine gefunden. Und daher sind wir andere, neue Wege gegangen und haben mit vielen Partnern zusammen unser ganzheitliches Produkt geschaffen und diesem den Namen Nature Specs gegeben. Dabei setzen wir nicht nur auf nachhaltige Materialien bei den Brillengestellen, wie Holz, recyceltes Metall oder sogar alte Fischernetze, sondern auch auf etwas ganz neues. Brillengläsern aus Biomasse. Wir setzen hier auf natürliche Rohstoffe wie Zuckerrohr oder Mais und verzichten bis zu 90 % auf Kunststoff aus Erdöl. Was dann nicht vermieden werden konnte, CO2-Kompensieren wir am Ende. So wurden diese Punkte das erste mal überhaupt miteinander verbunden und machen uns so einzigartig. Unser Ziel ist es, in Zukunft die Gläser so weiterzuentwickeln, dass sie am Ende biologisch abbaubar sind. Aber das ist jetzt erst einmal der Anfang unserer Story Omma.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Unser Startup Briloro gibt es als solches in seiner ursprünglichen Form noch in Bochum. Damals haben wir ein Multichannel Konzept für Design Brillen zum Komplettpreis entwickelt und waren damit die ersten, die dies überhaupt getan haben. Wir konnten allerdings eine Reihe von weiteren Konzepten darum herum bauen. So wechseln wir mit den Brillenglas-Experten.de seit vielen Jahren Brillengläser in Kundenfassungen aus, sorgen mit Tauchmaske.de für optische klare Sicht unter Wasser, verhelfen Gamern mit unserem Amazon Shop Imba Specs für Gaming Brillen mit Sehstärke für mehr Performance und sind nun in Köln mit Nature Specs in der Nachhaltigkeit angekommen. All dies ist entstanden durch eine kreative Ader und dem festen Willen, Probleme zu lösen. Dafür werden wir Online, wie auch vor Ort in unseren Stores in Bochum und Köln mittlerweile sehr geschätzt. Nischen zu sehen und zu besetzen ist quasi unser Ding. Eine neue Art von Spezialisten im Multichannel-Zeitalter. Und das endet in sehr dankbaren Kunden!

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Wir sind auf all unseren Baustellen gleichmäßig hart getroffen worden. Natürlich hat man ganz besondere Herausforderungen als Einzelhändler. Die Mieten und anderen Kosten laufen weiter, das Personal ist durch Kurzarbeit nur begrenzt verfügbar und die Kapitaldienste wollen bedient werden. Im großen und ganzen liegen wir knapp bei 50 % der Vorjahresumsatzes. Eine größere Katastrophe kann ein junges Unternehmen eigentlich nicht ereilen. Aber wir haben die Zeit genutzt um unsere Ideen weiter entwickeln und in die Tat umzusetzen. So kommt es eben auch, dass wir mit Nature Specs jetzt in der harten Corona Zeit starten und man vielleicht es noch ein klein wenig schwerer hat eine Crowdfunding Kampagne erfolgreich durch zu bekommen. Wir lassen uns aber nicht beirren und bekommen wirklich ganz viel Zuspruch! Das gibt Kraft und macht Spaß wie am ersten Tag.

Wie ist überhaupt die Idee zu Briloro entstanden?
Eigentlich durch die Summe der Erfahrungen, die ich in meinem Berufsleben bisher gemacht habe. Ich bin in einem Einrichtungshaus groß geworden. Dort waren Design und hochwertige natürliche Materialien immer um mich herum. Im Studium dann habe ich bei RWE im CO2-Zertifikate-Handel gearbeitet und begonnen mich mehr mit dem Thema Umwelt zu beschäftigen. Als ich dann wenige Jahre später mit meinem Kumpel Lars unser Brillen Startup Briloro gegründet habe, habe ich natürlich versucht auch diese Elemente aus meinem Leben bei uns zu integrieren. Präsentation, Story und Haptik sind für mich sehr wichtige Elemente eines Einkaufserlebnisses. Holzbrillen waren daher auch immer schon ein Teil von unserem Angebot. Das hat mir aber nicht gereicht und durch das Umdenken in der Gesellschaft hat es mich angetrieben, hier endgültig ein ganzheitliches Konzept zu kreieren.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir verkaufen Brillen in Nischenmärkten und in Multichannel Konzepten. Unsere Stärke ist dabei unsere Team, welches sich aus Handwerk, BWL, Design, Daniel Düsentriebs und Online Marketing rekrutiert. Quasi das Herz und die Seele des Unternehmens. Außerdem für die Augenoptik nicht wirklich eine gewöhnliche Kombination.

Wie hat sich Dein Unternehmen seit der Gründung entwickelt?
Am Anfang tatsächlich sehr holprig. Allerdings haben wir nach den ersten kleinen und großen Katastrophen schnell daraus gelernt und uns weiterentwickelt. Eigentlich ist kein Jahr vergangen, in dem wir nicht einen großen Schritt nach vorne gemacht haben. Bis März 2020. Wir haben ein einzigartiges Netzwerk, 1A Kenntnisse über die wichtigsten Bereichen in den wir arbeiten – Produktion, Lieferketten, Akteure, Online Marketing, Branche -, über 20 Tausend Kunden Erfahrung, wirklich besondere Produkte und Konzepte, zwei super schicke Geschäfte in Bochum und Köln. Ich glaube wir können zu Recht sagen, dass wir etwas geschaffen haben.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist dein Startup inzwischen?
13 Mitarbeiter an zwei Standorten, zwei Jahre in Folge über 700.000 Umsatz, 20.613 verkaufte Brillen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Unser Fail kam ganz am Anfang. Alles war schön finanziert, Waren eingekauft, ein Büro angemietet und dann wurde leider unser einziger Absatzkanal, unser Webshop nicht fertig und es mündete in einem Rechtsstreit mit dem Websdesigner – den wir auch noch verloren. So war unser ganzes Geld weg und wir wussten einfach nicht, wie wir einen Ersatz für den Shop finanzieren sollten. Ende von der Geschichte war dann, dass wir uns auf den Bochumer Weihnachtsmarkt gestellt haben und in unserer Brillenbude so viele Brillen verkauft haben, um damit unser erstes Ladenlokal zu finanzieren. Tja und von dort an ging es eigentlich nur noch weiter nach vorne. Und das beabsichtigen wir auch so bei zu behalten. 2020 mal ausgeklammert.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ich denke wir hatten nicht die “eine” Situation, die uns unheimlich verändert hat. Eigentlich sind wir ganz klassisch einfach beständig geblieben und haben an den Erfolg geglaubt, uns weiter entwickelt, fortgebildet, neues ausprobiert, hart gearbeitet. Das führte am Ende dazu, dass wir heute noch hier sind und so divers aufgestellt sein können. Denn einfach Brillen verkaufen ist heutzutage einfach nicht mehr drin.

Wo steht Briloro in einem Jahr?
BriloroWow, eigentlich würde ich jetzt einfach sagen. Wir haben dies, das und jenes vor und da werden wir auch hinkommen. In diesem Jahr ist allerdings alles anders und obwohl wir jetzt schon ein halbes Jahr mit Corona kämpfen, ist ein Ende bisher nicht in Sicht. Unser Minimalziel ist es jedenfalls dann noch da zu sein und unser Maximalziel mit Nature Specs und Tauchmaske wieder richtig durchzustarten. Dazu gehört auch unsere Mitarbeiter weiter beschäftigen zu können, denn von denen leben wir!

Reden wir zudem noch über das Ruhrgebiet. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Berlin ist immer so eine Sache. Ich glaube es gibt diejenigen die es lieben, und die anderen. Hier im Ruhrgebiet höre ich auf jeden Fall selten, dass ein Startup gerne nach Berlin umziehen würde. Ganz im Gegenteil, hier und ganz speziell in Bochum haben wir wirklich alles, um ein Unternehmen gut aufstellen zu können. Neben bezahlbaren Mieten sind wir mit knapp 300.000 Studenten die größte Hochschuldichte in Europa im Ruhrgebiet. Und das aus fast allen Disziplinen. Das ist echt der Hammer. Von den ganzen Facharbeitern und Azubis noch gar nicht gesprochen. Zudem packt man hier wirklich gerne an und hat eher weniger Schicki Micki und Bling Bling, als einfach… machen. Die Gründerszene ist auch sehr ausgeprägt und wir haben ein gutes Miteinander und unterstützen uns gegenseitig. Es gibt eigentlich kaum eine Frage, die lange unbeantwortet bleibt.

Was genau macht den Reiz der Startup-Szene in Bochum aus?
So langsam kommt das Thema Startup auch bei den größeren Unternehmen und den Kommunen mehr an. So wird die Infrastruktur besser und natürlich ergeben sich so ganz neue Synergien. Abgesehen davon sind die Leute hier im Pott auch total genial. Ich glaube das ist und bleibt unser größtes Kapital.

Was ist in Bochum einfacher als im Rest der Republik?
Personal und Büro- / Fabrikflächen zu finden.

Was fehlt in Bochum bzw. im Ruhrgebiet noch?
Das leidige Thema mit dem Geld. Da könnte NRW wirklich noch mehr tun, damit auch im Ruhrgebiet gute Ideen schneller wachsen können.

Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Ruhrgebiet?
Mehr Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit. Es wird meiner Meinung nach zu wenig über unsere Region und all ihre Vorteile gesprochen. Mehr Finanzierungsmöglichkeiten durch Schaffung von Anreizen und Strukturen. Weniger Kirchturmdenken.

Themenschwerpunkt Ruhrgebiet

#Ruhrgebiet: Gemeinsam mit dem ruhr:HUB berichtet deutsche-startups.de regelmäßig über die Startup-Szene im Ruhrgebiet. Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Digital-Gründer – mehr im Startup Guide Ruhrgebiet. Das Buch “Wann endlich grasen Einhörner an der Emscher” wiederum erzählt die spannendsten Startup- und Grown-Geschichten aus dem Ruhrgebiet.

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Foto (oben): Briloro

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.