#Interview

“Für uns ist Remote-First eine Art Superpower”

Das Erfurter Startup Yazio entwickelte sich in den vergangenen Jahren von der WG-Firma zum Unternehmen mit 35 Mitarbeitern mit "weit über 10 Millionen Nutzer weltweit" und einem Millionenumsatz. Die App des Unternehmens gibt es mittlerweile in über 20 Sprachen.
“Für uns ist Remote-First eine Art Superpower”
Montag, 24. August 2020VonAlexander Hüsing

Bei Yazio aus Erfurt dreht sich alles um Ernährung. Ernährungs-App im deutschsprachigen und europäischen Raum. “Mit Yazio kann man seine tägliche Ernährung beobachten und tracken. Funktionen wie das Ernährungstagebuch, der Intervallfasten Tracker, unser Coach mit verschiedenen Ernährungsplänen und Zugriff zu unseren leckeren und gesunden Rezepten helfen dabei, wenn man Gewicht verlieren, Muskeln aufbauen oder sich einfach generell gesünder ernähren möchte”, sagt Florian Weissenstein, der das Unternehmen gemeinsam mit Sebastian Weber gegründet hat.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Yazio-Macher außerdem über Remote Work, Fantasienamen und Bio-Speiseöle.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Yazio erklären?
Wir entwickeln und betreiben die populärste Ernährungs-App im deutschsprachigen und europäischen Raum. Mit Yazio kann man seine tägliche Ernährung beobachten und tracken. Funktionen wie das Ernährungstagebuch, der Intervallfasten Tracker, unser Coach mit verschiedenen Ernährungsplänen und Zugriff zu unseren leckeren und gesunden Rezepten helfen dabei, wenn man Gewicht verlieren, Muskeln aufbauen oder sich einfach generell gesünder ernähren möchte.

Hat sich euer Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Yazio ist als Web-Applikation gestartet, die man nur im Browser nutzen konnte. Wenige Jahre zuvor hat Apple das iPhone vorgestellt – relativ schnell haben wir festgestellt, dass die Zukunft für uns im mobilen Bereich liegt und fokussieren uns seitdem auf die (Weiter-)Entwicklung unserer nativen Smartphone-App für Android und iOS.

Wie ist überhaupt die Idee Yazio Startup entstanden?
Yazio ist parallel zu unserem damaligen Studium entstanden. Sebastian und ich waren Mitbewohner in einer 2er WG und seit jeher Fitness- und Ernährungs-begeistert gewesen – und auch Internet-begeistert. Wir fanden das damalige Lösungen nicht unseren Ansprüchen genügten, bzw. waren wir der Meinung, dass wir es besser konnten. Dann haben wir direkt vom WG-Wohnzimmer heraus einfach los gelegt.

Ihr sitzt in Erfurt, aber nicht nur. Ihr seid seit dem Start remote aufgestellt. Warum?
Wir verstehen uns als Remote-First Unternehmen, sprich unser Team lebt und arbeitet über ganz Deutschland – neuerdings ganz Europa – verteilt. Es war von Beginn an eine Herausforderung für uns, tolle Team-Mitglieder in Erfurt und Umgebung zu finden, die ähnlich wie wir ticken. Entsprechend war es fast ein automatischer Prozess, dass wir deutschlandweit nach Talenten und tollen Leuten geschaut haben und mussten. Außerdem waren Sebastian und ich schon immer Fans von schriftlicher Kommunikation. Viel unserer eigenen Kommunikation lief über Chats – wann immer Externe in unserem Büro in Erfurt waren, fanden viele die dortige “Stille” atypisch – Hintergrund war natürlich, dass die “wirkliche Action” über digitale Kanäle und Chats lief. Seitdem sind wir zu einem 100 % Remote-First Unternehmen gewachsen – mit virtuellen “water cooler talks” und anderen Remote-Prozessen und -Guidelines. Für uns ist Remote-First eine Art Superpower, mit der wir Talente deutschland- und teilweise europaweit anziehen können.

Wie genau organisiert ihr denn den Austausch untereinander?
Wir nutzen ein größeres Set an Tools für den digitalen Austausch und das Projekt-Management. Unser Austausch findet hauptsächlich schriftlich über Slack statt – wir verstehen Slack als unser “virtuelles Büro”. Dort haben wir entsprechende Channels für unterschiedliche Themen eingerichtet und legen großen Wert auf eine klare, strukturierte Kommunikation. Darüber hinaus nutzen wir Zoom für Video Calls. Eine Kernarbeitszeit von 11:00 bis 15:00 Uhr ermöglicht einen möglichst synchronen und effizienten Austausch zwischen allen Team-Mitgliedern. Weiterhin nutzen verschiedene Teams andere Tools wie Trello, die Google Suite, Loom und Co.

Und wann seht ihr euch alle einmal?
Wir kommen zwei Mal jährlich alle zu unseren Team Events zusammen. Dann fahren wir drei bis vier Tage gemeinsam an einen schönen Ort und unternehmen coole Aktivitäten zusammen, wie Klettern, Radfahren, Yoga und vieles mehr. Außerdem ermutigen wir unsere Team-Mitglieder, dass sich Sub-Teams zu eigenen “Work-Offsites” zusammenfinden, um größere Meilensteine und strategische Dinge zu besprechen.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Unser Geschäftsmodell hat sich während der Corona-Krise glücklicherweise als äußerst stabil und widerstandsfähig erwiesen. Zwar gab es zu Beginn der Krise einen kleinen Einbruch in der Anzahl neuer Nutzer sowie der Nutzeraktivität im Allgemeinen. Nach einer Übergangsphase haben sich unsere Zahlen jedoch schneller wieder erholt. Wir haben in den vergangenen Monaten sogar – “leider” – überdurchschnittlich durch die Krise profitiert. Wir vermuten, dass viele nach der langen Zeit im Lockdown mit weniger Bewegung und anderen Einschränkungen nun wieder verstärkt auf ihre Ernährung und Gesundheit im Allgemeinen achten wollen. Intern hat sich für uns als Remote-First Startup nichts geändert. Unsere Prozesse und Strukturen sind gleich geblieben, die interne Kommunikation via Slack & Co lief problemlos. Das hat uns erneut gezeigt, dass wir mit unserem Ansatz den richtigen Weg eingeschlagen haben und uns in unserem Vorgehen bestärkt.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Yazio ist ein klassisches Freemium Modell. Bereits in der kostenlosen Variante stehen dem Nutzer viele hilfreiche Features zur Verfügung, um seine/ihre Ernährung zu verbessern. Das volle Potenzial unserer App kann jedoch nur durch den Kauf des PRO-Abos ausgeschöpft werden. Dadurch generieren wir unsere Umsätze, um die App noch besser zu machen.

Wie hat sich Yazio seit der Gründung entwickelt?
Als wir Yazio parallel zum Studium ins Leben gerufen haben, hätten wir nicht gedacht, dass wir knapp 10 Jahre später mit einem weltweiten Produkt, einem tollen Team und Millionenumsätzen da stehen. Das zeigt sich auch daran, dass Yazio eigentlich nur ein Fantasiename aus einem Web 2.0 Namensgenerator ist – wir fanden damals, dass er gesund klingt und – lucky us – waren alle relevanten Domains noch frei. Zwar waren wir schon immer von unserem Produkt und unserem Bereich überzeugt – sind jedoch auch mit dem Weg und den Herausforderungen immer weiter gewachsen. Wir haben einfach jeden Tag hart gearbeitet und haben immer weitergemacht. Und by the way: wir sind komplett ge-bootstrapped und 100% investorenfrei.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Yazio inzwischen?
Obwohl Yazio derzeit nur knapp 35 Mitarbeiter zählt, haben wir es geschafft weit über 10 Millionen Nutzer weltweit zu einem gesünderen Leben zu verhelfen und Yazio zur beliebtesten Ernährungs- und Food-Tracking App in Europa zu machen! Unsere App gibt es mittlerweile in über 20 Sprachen und in über 150 Ländern und wir sind weiter am Wachsen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Ich kann für uns – neben ganz vielen kleinen Fehlern und Learnings – “nur” zwei große Fehler identifizieren: mangelnder Fokus und mehr auf das eigene Bauchgefühl im Recruiting zu hören. Um das Ganze mit Beispielen zu erläutern. Zum Thema Fokus: Gerade in den Anfangsjahren waren wir der Meinung, wir müssten unsere Erlösquellen bestmöglich diversifizieren, also haben wir unter anderem Online Shops – beispielsweise im Bereich Stevia und Bio-Speiseöle – etabliert, statt uns 100 % auf die Weiterentwicklung von Yazio zu konzentrieren. Nach einigen Jahren haben wir jedoch relativ schnell für uns erkannt wo der Fokus liegen muss und haben die besagten Online-Shops abgestoßen. Zum Thema Bauchgefühl: Auch hier haben wir vor allem in den Anfangsjahren zu wenig auf unser eigenes Bauchgefühl gehört. Wenn ein potentiell neues Team-Mitglied im Hiring-Prozess schon ein ungutes Bauchgefühl aufruft, dann unbedingt darauf vertrauen und konsequent sein. Gleiches gilt auch bei bestehenden Team-Mitgliedern. Wir dürfen uns zwar glücklich schätzen, dass wir kaum oder nur sehr wenig Fluktuation im Team haben, aber wenn auch hier das Bauchgefühl immer wieder “nein” sagt (schreit), dann sollte man dem konsequent folgen. Früher haben wir das meist ignoriert oder toleriert, bis es uns dann zu einem späteren Zeitpunkt schmerzhaft auf die Füße gefallen ist.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Unser Erfolgsrezept liegt in der Konstanz – es ist ein Marathon, kein Sprint. Anstatt in Aktionismus zu verfallen, wenn etwas mal nicht zu läuft, wie es soll, gehen wir wohl bedacht vor. Das handhaben wir in allen Unternehmensbereichen so: Von der App-Entwicklung, über unsere Marketing-Aktivitäten bis hin zum Hiring. Außerdem sind wir perfektionistisch veranlagt und haben schon immer großen Wert auf detailgenaues Arbeiten und Ergebnisse gelegt. Wenn es um die Qualität unserer App und der unterstützenden Bereiche geht, machen wir keine Kompromisse.

Wo steht Yazio in einem Jahr?
In einem solch dynamischen Umfeld wie dem unseren ist es schwer langfristige Vorhersagen zu machen. Für uns steht jedoch fest: Wir wollen weiter wachsen, weitere Talente ins Team holen und noch mehr Menschen zu einem gesünderen Leben verhelfen! Unsere Vision ist es, YAZIO zur beliebtesten Ernährungs-App weltweit zu machen.

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Foto (oben): Yazio

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.