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“Acceleratoren im Konzernumfeld sind Humbug”

Corporates und Innovation – passt das überhaupt zusammen? "Wir brauchen Innovationen im großen Stil. Glücklicherweise siedeln inzwischen immer mehr Konzerne das Thema Innovation und Entrepreneurship auf Vorstandsebene an", sagt Felix Staeritz, Gründer von FoundersLane.
“Acceleratoren im Konzernumfeld sind Humbug”
Donnerstag, 30. Juli 2020VonAlexander Hüsing

In den vergangenen Jahren sind unzählige Inkubatoren, Acceleratoren sowie Corporate Venture-Geber oder -Builder an den Start gegangen und auch wieder verschwunden. “In Europa steckte das Thema Corporate Venture Building lange in den Kinderschuhen und ist jetzt in der Pubertät angekommen. Diese Phase ist nicht nur im Leben, sondern auch im Unternehmertum sehr bedeutend”, sagt Felix Staeritz, Gründer von FoundersLane, einem Corporate Venture Builder rund um die Trendthemen Klima und Gesundheit.

Sein Tipp an alle Konzerne, Unternehmen und Corporates, die im Startup-Segment mitmischen möchten:  “Entscheidend für den Erfolg von Corporate-Startups sind die Governance-Struktur, die richtigen Partner und ganz grundsätzlich die Ansiedlung des Themas auf Vorstandslevel”. Gerade in Deutschland sieht der ehemalige KochAbo-Macher noch viel Nachholbedarf: “Soweit ich weiß, haben europäische Corporate Labs und Acceleratoren Stand heute ein einziges namhaftes Unicorn hervorgebracht. Und das nur, wenn man wohlwollend N26 als Accelerator-Team zählt und außen vor lässt, dass es diese Gründer so oder so geschafft hätten”.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der FoundersLane-Macher außerdem über Asien, Kommerzialisierung und Umweltkatastrophen.

Was genau ist die Idee hinter FoundersLane?
Wir vereinen in den komplexen und stark regulierten Bereichen Klima und Gesundheit das Mindset und die Agilität von Entrepreneuren mit den Assets der Konzerne. Der Klimaschutz und das Gesundheitswesen sind die beiden großen gesellschaftlichen Herausforderungen – verbunden mit entsprechenden unternehmerischen Opportunitäten. Die Pole schmelzen, die Hälfte der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu vernünftiger Gesundheitsversorgung, von COVID-19 ganz zu schweigen. Die Uhr tickt unaufhörlich. Die datenbasierte Digitalisierung der Bereiche Klima und Gesundheit ist daher unausweichlich, um den globalen Wohlstand zu sichern. Aber die Probleme und Lösungen in den beiden Bereichen lassen sich nur systemisch lösen.

Inwiefern?
Es geht nicht um den nächsten Online-Shop. VC-finanzierte Startups und auch bisherige Konzernaktivitäten wie der ein oder andere Accelerator oder Labs stoßen dabei an ihre Grenzen. Echter Impact wird dadurch nur in Ausnahmefällen kreiert – und der ist dringend erforderlich. Damit dies in kurzer Zeit gelingt, müssen Konzerne ihre Assets einbringen – also Kapital, Expertise und Netzwerke – und Entrepreneure die neuen Ventures mit ihrem radikal lösungsorientierten Mindset führen. Genau an dieser Stelle kommt FoundersLane ins Spiel.

FoundersLane positioniert sich als “Corporate Venture Building für Climate and Health”. Corporates und Innovation – passt das überhaupt zusammen?
Eine berechtigte Frage, wenn man sich anschaut, wie Corporates das Thema Entrepreneurship und Innovation in den vergangenen Jahren angegangen sind. Soweit ich weiß, haben europäische Corporate Labs und Acceleratoren Stand heute ein einziges namhaftes Unicorn hervorgebracht. Und das nur, wenn man wohlwollend N26 als Accelerator-Team zählt und außen vor lässt, dass es diese Gründer so oder so geschafft hätten.

Warum ist denn so?
Acceleratoren im Konzernumfeld sind für echten Impact alleine deshalb schon Humbug, weil die Compliance-Messlatte viel zu hoch liegt, als dass Prototypen eines Accelerator-Teams für Konzernkunden in Frage kämen. Synergien durch das Hebeln nicht-monetärer Assets sind für unerfahrene Gründer daher meist ein leeres Versprechen. Durch das ein oder andere Lab wird wenig Bahnbrechendes weltweit skalieren. Wir brauchen aber eher heute als morgen Innovationen im großen Stil, um dem Klimawandel und COVID-19 entgegenzutreten. Glücklicherweise siedeln inzwischen immer mehr Konzerne das Thema Innovation und Entrepreneurship auf Vorstandsebene an und bringen ihre Assets voll und ganz in neue Digital-Unternehmen ein – selbst wenn sie damit in Kauf nehmen, ihr gegenwärtiges Kerngeschäft irgendwann ad absurdum zu führen.

In Deutschland gibt es kaum richtig große Corporate-Startups. Ist das anderswo genauso?
In Europa steckte das Thema Corporate Venture Building lange in den Kinderschuhen und ist jetzt, um beim Bild zu bleiben, in der Pubertät angekommen. Diese Phase ist nicht nur im Leben, sondern auch im Unternehmertum sehr bedeutend, weil man dort viel Grundlegendes gestalten kann. Entscheidend für den Erfolg von Corporate-Startups sind schlussendlich die Governance-Struktur, die richtigen Partner und ganz grundsätzlich die Ansiedlung des Themas auf Vorstandslevel. Und es gibt ja bereits entsprechende Erfolgsgeschichten aus dem Konzernumfeld. Blickt man nach Asien, ist dort beispielsweise der Versicherungskonzern Ping An zu einem digitalen Technologie-Unternehmen transformiert. Die neu gegründeten Tech-Ventures haben das einstige Kerngeschäft in Sachen Relevanz und Umsatz längst in den Schatten gestellt. Auch hierzulande können wir Wachstums-Champions wie das Solar-Software-Startup Solytic vorweisen, das wir gemeinsam mit Vattenfall aufgebaut haben und das binnen zwei Jahren in 42 Länder expandiert ist. Im komplexen Energiesektor, in dem etliche Stakeholder wie Stromnetzbetreiber oder dezentrale Energieproduzenten mitmischen, und auch im hoch regulierten Health-Bereich hätten ausschließlich VC-finanzierte Startups ohne Konzern-Assets nie und nimmer ein auch nur annähernd ein vergleichbares Wachstum verzeichnet.

Viele Innovationsprogramme von Unternehmen sprechen nicht offen über ihre Ausgründungen und Projekte. Was habt ihr denn so in der Vergangenheit angeschoben?
Solytic habe ich bereits genannt. Binnen zwei Jahren hat das Team um Hannes Burgard und Konrad Perényi mehr als 100.000 Solaranlagen in 42 Ländern weltweit angeschlossen. Es ist damit das am schnellsten wachsende Solar-Software-Startup weltweit. 2019 hat Solytic SolarWorld mit 3.000 Mitarbeitern akquiriert. Bis 2023 sollen eine Million Solaranlagen angeschlossen sein. Wir haben Hand in Hand mit der Vorstandsebene Vattenfalls das Geschäftsmodell entwickelt, dafür im Rahmen unserer Marktevaluation einige 100 Telefonate geführt, das Team aufgebaut, die Software-Entwicklung unterstützt, die Struktur des neuen Ventures und die Verzahnung mit dem Konzern aufgesetzt sowie den Markteintritt und die Skalierung von Solytic durch unser Know-How und Netzwerk vorangetrieben. Der Erfolg beruht auf dem richtigen Mix aus Mitsprache, Kontrolle, Incentivierung und unternehmerischem Mindset. Insgesamt haben wir bei FoundersLane im Laufe der Zeit mit über 30 Forbes-Unternehmen zusammengearbeitet.

Wie genau geht ihr bei der Gründung von Startups vor und was ist dabei zuerst da: Die Idee oder die Gründer oder das Unternehmen, das Startups bauen will?
So ganz eindeutig lässt sich dies nicht immer sagen. Ohne einen Konzernvorstand, der wirklich gewillt ist, neue digitale Geschäftsmodelle auf Top-Level anzusiedeln, geht es aber nicht. Grundsätzlich gibt es dann zwei Varianten: Einerseits arbeiten wir mit Konzernen, für die das Thema Corporate Venture Building noch Neuland ist. In dem Fall evaluieren, validieren und skalieren wir, wohlgemerkt immer gemeinsam mit der Führungsetage, strategisch relevante digitale Geschäftsmodelle in den Bereichen Klima und Gesundheit. Zweitens arbeiten wir auch mit bestehenden Teams und Geschäftsmodellen. Diese verfügen beispielsweise schon über eine Idee, einen MVP oder ein early-stage Geschäftsmodell, stoßen aber an ihre Grenzen oder suchen bei Entscheidungen mit entsprechender Tragweite noch einen erfahrenen Partner.

Wie geht es danach weiter?
Wir unterstützen dann etwa bei der Skalierung, Kommerzialisierung und Internationalisierung der bereits initiierten digitalen Geschäftsmodelle. Von besonderem Wert ist dabei zweifelsfrei unsere Erfahrung in der Praxis, das Verständnis für die Rahmenbedingungen beim Corporate und unser Netzwerk, gerade wenn die zentralen Positionen in den neuen Unternehmen mit erfolgreichen Entrepreneuren besetzt werden sollen. In beiden Varianten verfolgen wir im Hinterkopf immer das Ziel, systematisch zu identifizieren, in welchen Bereichen bestehende Assets – seien es Kunden, Partner, die eigene Marktpositionierung oder auch vorhandene Expertise – den raschen Durchbruch der neuen digitalen Geschäftsmodelle begünstigen und dadurch ein unfairer Marktvorteil gegenüber Wettbewerbern besteht. Corporate Venture Building erlaubt die Kontrolle der Assets in einer unternehmerischen Incentivierungsstruktur – die entsprechende Governance und den Support durch die Chefetage vorausgesetzt.

Euer Fokus ist unter anderem das Thema Klima. Zuletzt sind einige Klima- und Green-Startups entstanden. Ist der Markt überhaupt bereit für weitere Ideen?
Natürlich brauchen wir weitere Ideen – und zwar nicht nur Ideen, sondern auch Lösungen im großen Stil. Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Klimaerwärmung im globalen Mittel möglich auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wir sind weit entfernt davon, dieses Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Sicherlich leisten VC-finanzierte Mobility-Startups wie Tier bereits einen großen Beitrag zu einer sauberen urbanen Mobilität. Sehr gespannt bin ich auch auf die weitere Entwicklung von Planetly rund um Anna Alex. Ich kann mir vorstellen, dass die Plattform schon recht bald weltweit Unternehmen dabei hilft, ihre Klimabilanz zu verbessern. Aber in komplexen Bereichen wie dem Energiesektor müssen weitere Unternehmen à la Solytic durch Konzerne initialisiert und unterstützt werden, um in kurzer Zeit Impact auf globaler Ebene zu erzielen. Vollkommen unabhängige Startups fehlen dafür schlicht die Assets. Sie würden zu lange brauchen, um die alteingesessenen Stakeholder der Energiewirtschaft an einen Tisch zu bekommen, ohne deren Unterstützung wiederum keine Wende ins regenerative Zeitalter möglich ist. Wir reden ja hier ja nicht davon, ob ein neues Paar Schuhe ankommt, sondern von einem radikalen Bruch bei Stromerzeugung, Verteilung und Speicherung mit entsprechenden Auswirkungen auf die gesamte Infrastruktur.

Im Health-Segment gab es zuletzt endlich einmal viele große Investmentrunden. Ist die Zeit für E-Health endlich reif?
Jein. Einerseits ist die Zeit für E-Health zweifelsfrei reif. Datenbasierte wie digitale Lösungen werden zu einem kompletten Umdenken führen, was die Gesundheitsversorgung angeht. Weg von Behandlung hin zu einem ganzheitlichen Ansatz. Da spielen dann Ernährung und Bewegung eine noch größere Rolle als ohnehin schon, ebenso Sensoren, die den Körper in Echtzeit tracken. Ich bin fest überzeugt, dass sich dadurch unser Verständnis des Gesundheitswesens in einigen Jahren um 180-Grad gedreht haben wird: Dahingehend, Krankheiten nicht nur zu behandeln, sondern präventiv häufig erst gar nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Der dafür erforderliche vernetzte Digital-Doktor, den jeder rund um die Uhr in der eigenen Tasche und am eigenen Körper trägt, ist nur eine Frage der Zeit. „Jein“ antworte ich, weil ich nicht glaube, dass Investmentrunden in E-Health-Startups zu diesem Wandel führen werden. Entrepreneure agieren in einem hochregulierten Bereich – Beispiel Gesundheitswesen: Ob beim Umgang mit hochsensible Patientendaten oder bei der Kommerzialisierung von medizinischen Forschungsergebnissen: Im Fall von Fehlern geht nicht etwa das Paket retour, sondern im Worst-Case liefert man ein Menschenleben einer Krankheit aus. Innovation im pharmazeutischen Bereichen gelingt nicht im Alleingang. Wir suchen daher den Schulterschluss mit Konzernen, Entrepreneuren und politischen Entscheidern. Ping An hat mit Good Doctor schon vorgemacht, wie man durch eine digitale Gesundheitsplattform die Vor- und Versorge verbessert. Auch die schwedische Gesundheitsplattform Doktor24 ist in kurzer Zeit auf ein über 100-köpfiges Team angewachsen, darunter alleine 75 Entwickler. Einige hundert Tausend Patienten profitieren bereits von der digitalen Gesundheitslösung.

Du hast in der Vergangenheit unter anderem KochAbo gegründet. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?
Wir haben KochAbo zu einer Zeit aufgebaut, als zig Modelle für den online-Handel mit Lebensmitteln parallel an den Start gingen. Wir selbst hatten in diesem Wettrennen vergleichsweise wenig Ressourcen, sind als einer der wenigen Unternehmen trotzdem schnell skaliert. Als KochAbo dann 2015 in Marley Spoon aufgegangen ist, waren wir natürlich sehr happy, ebenso über den folgenden erfolgreichen Börsengang von Marley Spoon mit über 150 Millionen US-Dollar in Sydney. Spätestens seitdem weiß ich, dass man auch große Träume durch digitale Geschäftsmodelle verwirklichen kann. Dies wird uns auch im Klima- und Gesundheits-Bereich gelingen, wenn wir die Dinge kollaborativ und umgehend angehen. Mit der Plattform FightBack wollen dafür den erforderlichen Druck machen, aber auch Dialog und Netzwerke initiieren. Wie dies den wichtigen globalen Akteuren, Entrepreneuren und Konzernen gelingt, beschreibe ich in meinem Buch “FightBack Now”, das im Oktober erscheint und von Experten der Harvard University oder des MIT unterstützt wurde. Was gäbe es Schöneres, als zu wissen, dass meine eigenen Kinder und viele Menschen in Wohlstand und ohne Umweltkatastrophen aufwachsen? Ich bin felsenfest überzeugt, dass wir unsere Zukunft selbst gestalten können, auch wenn die Uhr tickt.

Tipp: Sebastian Borek (Founders Foundation) entzaubert das Szenethema Startups und Mittelstand

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Foto (oben): FoundersLane

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.