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“Ich habe von morgens bis spät nachts in Zoom-Calls verbracht”

Bryter ermöglicht seinen Kunden ohne Programmierkenntnisse Applikationen und Bots zu betreiben. "Knapp 60 Unternehmen nutzen Bryter, vor allem Konzernabteilungen, Wirtschaftskanzleien, Prüfgesellschaften und Beratungen", sagt Mitgründer Michael Grupp.
“Ich habe von morgens bis spät nachts in Zoom-Calls verbracht”
Montag, 27. Juli 2020VonAlexander Hüsing

Das Berliner Bryter, das von Michael Grupp, Micha-Manuel Bues und Michael Hübl geführt wird, positioniert sich als sogenannte “No-Code-Automatisierungsplattform”. Das Startup ermöglicht seinen Kunden ohne Programmierkenntnisse Applikationen und Bots zu betreiben. Thematisch geht es dabei um die Segmente Recht, HR, Einkauf, Finanzen, Steuern und Compliance. Kürzlich konnte das Startup 16 Millionen für das weitere Wachstum einsammeln.

“Knapp 60 Unternehmen nutzen Bryter, vor allem Konzernabteilungen, Wirtschaftskanzleien, Prüfgesellschaften und Beratungen. Bryter richtet sich an den Enterprise-Bereich mit größeren Lizenzpaketen und hatte so nach einem Jahr schon siebenstellige Umsätze. Wir sind jetzt exakt zwei Jahre alt und die Software läuft fast auf der ganzen Welt – im Mai wurde die zweitausendste Anwendung auf Bryter entwickelt, und zwar von einem Nutzer in Indien”, sagt Mitgründer Grupp.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Bryter-Macher außerdem über Programmierkenntnisse, Kundentermine und Geldwäscheprüfungen.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Bryter erklären?
Software kann Abläufe einfacher und schneller machen. In Unternehmen, wo ähnliche Fragen immer wieder gefragt werden, kann Software besonders viel erleichtern. Leider können aber viele Fachleute in den Unternehmen nicht programmieren und benötigen deshalb Unterstützung von Entwicklern. Das kostet Geld und Zeit und viele Projekte scheitern. Bryter ist ein digitaler Werkzeugkasten, mit dem Fachleute in Unternehmen für viele Prüfungen alleine, schneller und günstiger Software entwickeln können – ganz ohne Programmierkenntnisse.

Wie genau funktioniert das?
Ein Beispiel: Bei PwC fragen sich Mitarbeiter mit Kundenkontakt oft, in welchem Rahmen sie Geschenke annehmen dürfen. Bisher mussten sie dafür immer in der Complianceabteilung anrufen oder im Intranet nachlesen. Das ist für beide – die Mitarbeiter und die Compliance-Abteilung – nicht ideal. Diese Prüfung kann man zwar digitalisieren, aber die Abbildung der Regeln, nach denen man Geschenke annehmen darf, ist aufwändig. Bisher wurde die Compliance-Fachleute internen IT-Entwicklern oder eine Agentur beauftragt, das hat lange gedauert. Vor allem aber: Meistens wurden Lösungen gar nicht entwickelt, weil sie sich nicht „lohnten“. Bryter funktioniert wie ein digitaler Werkzeugkasten. Damit können Fachleute solche Prüfungen einfach selbst entwickeln. Und die Lösung ist dann überall – über das Mobiltelefon, über das Intranet, oder über Chatbots – für alle bei PwC aufrufbar.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Der Kern ist gleich geblieben: Wir geben Experten ein Toolset, damit sie ihr Wissen – ohne Programmierkenntnisse – digitalisieren und verteilen können. Aber natürlich haben sich viele Details erst im Verlauf gezeigt: So haben wir erst im Markt gemerkt, dass Beratungsunternehmen nicht nur interne Prozess, sondern auch Anwendungen für Ihre Kunden entwickeln. PwC hat also z.B. begonnen, Mandanten solche Gift & Hospitality-Compliance Apps anzubieten. Das hat den Vertrieb und Akzeptanz vereinfacht und etwas beschleunigt. Wir haben auch gemerkt, dass solche Fragestellungen nicht nur im Bereich Recht und Compliance, sondern wirklich überall in der Unternehmenswelt auftreten, der Markt also nochmal größer ist.

Kürzlich konntet ihr 16 Millionen Euro einsammeln. Wofür braucht ihr so viel Geld?
Wir wollen in allen Bereichen wachsen: Wir investieren in Customer Success und Support, gleichzeitig eröffnen wir sobald wie möglich einen weiteren Standort in den USA. Und ein großer Teil fließt auch in die Produktentwicklung.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Es gab bei uns keinen “Day Covid”, an dem alles anders wurde. Bryter ist remote-first aufgebaut, also komplett dezentral, und die meisten Mitarbeiter haben gearbeitet wie sonst auch. Aber natürlich haben die Corona Krise im Alltag gespürt: Kundentermine und Entscheidungen wurden verschoben, Deals brauchen länger. Der positive Aspekt: Viele Kunden haben mit Bryter mehr entwickelt. Zum Beispiel hat KPMG für die Banken Kredit-Prüfprozesse mit Bryter gebaut. Und die Verbraucherzentralen haben Covid-Informations-Bots live. Eine Sache war besonders: wir haben die von Dir angesprochene Finanzierungsrunde voll in der Covid-Zeit geraist. Wir hatten eine gute Ausgangslage und viele Interesse aus dem Markt, sonst hätten wir das nicht begonnen. Aber ich habe den April von morgens bis spät nachts in Zoom-Calls verbracht, das war eine besondere Erfahrung.

Wie ist überhaupt die Idee zu Bryter entstanden?
Die Idee, mit Hilfe von Regeln Entscheiderwissen zu formalisieren und zu digitalisieren, ist schon so alt wie die Informatik selbst. Das gab es schon in den 1960ern. Aber erst heute gibt es die technischen Grundlagen dafür, das wirklich wirtschaftlich tragfähig anzubieten. Bryter kombiniert das No-Code-Konzept mit der Cloud und einer Service-Plattform, die sich in bestehende Infrastruktur integrieren lässt. Ich hatte mich schon als Anwalt gefragt, warum vor allem repetitive und ähnliche Prüfungen nicht einfach digitalisiert werden und 2013 einen der ersten Automationsanbieter mitgegründet, der etwas sehr ähnliches machte. Aber es hat bis 2018 gedauert, bis die Zeit reif war: Wir hatten gerade unsere ersten Unternehmen verkauft – Thesius ging an Persona Service, Michael Hübl hatte flinc an Daimler verkauft, Micha-Manuel Bues kam von Leverton – und wir hatten Lust auf ein neues Abenteuer. Und wir hatten miterlebt, wie in vielen Bereichen die als langweilig geltenden Automationen aufkamen. Das Timing war schon ideal.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Für die Nutzung der Software erheben wir eine flexible Jahresgebühr, die sich nach Lizenzen und Nutzungsumfang berechnet, ganz klassisch Enterprise SaaS.

Wie hat sich Bryter seit der Gründung entwickelt?
Wir hatten die Idee und – von unseren alten Firmen – ein kleines Team. Damit gab es schnell einen demofähigen Prototyp, Kundenkontakt und erste Projekte. Der Bedarf nach einer solchen Software war und ist hoch, aber es ging aber trotzdem oft noch um Details, zum Beispiel bestimmte Schnittstellen oder prozesstypische Funktionen. Nach einem Jahr kamen größere Kunden, auch aus dem Ausland, und die Plattform wurde Enterprise-geeignet. Dafür haben wir dann eine größere Seed-Runde gemacht und einen Standort in London eröffnet. Es ging alles sehr schnell aber zum Glück meist nach Plan.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Bryter inzwischen?
Wir sind jetzt rund 80 Leute. Wir arbeiten full-remote, haben aber in Berlin, Frankfurt und London Büros. Knapp 60 Unternehmen nutzen Bryter, vor allem Konzernabteilungen, Wirtschaftskanzleien, Prüfgesellschaften und Beratungen. Bryter richtet sich an den Enterprise-Bereich mit größeren Lizenzpaketen und hatte so nach einem Jahr schon siebenstellige Umsätze. Wir sind jetzt exakt zwei Jahre alt und die Software läuft fast auf der ganzen Welt – im Mai wurde die zweitausendste Anwendung auf Bryter entwickelt, und zwar von einem Nutzer in Indien.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
So richtige Schnitzer sind bisher zum Glück nicht passiert. Es ließ sich jedenfalls immer alles korrigieren. Aber ein anekdotischer Griff daneben war einmal eine Werbeanzeige auf LinkedIn: Eigentlich wollten wir anhand von einem konkreten Anwendungsfall – ich glaube eine Geldwäscheprüfung – Werbung für Bryter machen. Aber ein Kunde hatte exakt an diesen Tagen eine solche Anwendung entwickelt und dachte, wir würden seine Anwendung öffentlich zeigen. Das hat zu einem wütenden Anruf geführt. Ließ sich zum Glück klären.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Bryter ist nicht unser erstes Unternehmen, das erleichtert einiges. Ich glaube, wir haben viele gute Hiring-Entscheidungen getroffen und im Rückblick war es gut, sehr offen mit fehlenden Funktionen umzugehen um Kundenanregungen zu bekommen. Vor allem aber hat uns der Fokus auf Großkunden geholfen. Das war zwar extra anspruchsvoll, aber viele Kundenaccounts wachsen jetzt fast von alleine.

Wo steht Bryter in einem Jahr?
Wir haben in einem Jahr unsere US-Präsenz weiter ausgebaut und gezeigt, dass Bryter wirklich global wachsen kann.

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Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.