#Interview

“Man muss vor allen Dingen die passenden Mitarbeiter für jede Phase finden”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Typischerweise gehe ich als erstes einmal durchs Büro und überzeuge mich davon, dass alles läuft", sagt ProGlove-Gründer Paul Günther. Mitstreiter Thomas Kirchner startet hingegen mit Sport in den Tag.
“Man muss vor allen Dingen die passenden Mitarbeiter für jede Phase finden”
Donnerstag, 5. März 2020VonAlexander Hüsing

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antworten Paul Günther und Thomas Kirchner, die Gründer von ProGlove, einem Wearables für die Industrie.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Günther: Typischerweise gehe ich als erstes einmal durchs Büro und überzeuge mich davon, dass alles läuft. Zum Beispiel in der Produktion. Danach mache ich mir ein Frühstück und beginne mit meiner Arbeit für den Tag.

Kirchner: Im Moment morgens erstmal mit Sport. Irgendwie sind wir inzwischen in einer Phase angekommen, in der ich mir den Luxus leiste, mich morgens erstmal auszupowern und für mich Zeit zu haben. Erst dann geht’s in Büro. Und dann meistens erstmal Emails lesen und schauen, was so ansteht über den Tag.

Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Günther: Eines meiner größten Probleme ist tatsächlich, dass ich nur sehr schwer abschalten kann. Deshalb verbringe ich viel Zeit im Büro und sitze oft lange an meinem Schreibtisch. Abschalten gelingt mir zum Beispiel, indem ich etwas esse und mir dann eine Dokumentation ansehe. Sehr gerne über Clean-Tech-Themen.

Kirchner: Den Kopf abzuschalten, ist schwer. Man denkt halt über andere Dinge nach. So eine genaue Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit gibt es bei mir nicht. Ich glaube, richtig abgeschalten habe ich erst, wenn ich einschlafe. Glücklicherweise bin ich aber mit einem fantastischen Schlaf gesegnet.

Was über das Gründer-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Günther: Da wir schon vorher gemeinsam gegründet hatten, hatte ich ein einigermaßen klares Bild darüber, was mich erwartet. Dennoch musste ich lernen, dass sich durch das Großwerden auch einiges verändert und zu Herausforderungen führt. Plötzlich geht es etwa viel mehr um Dinge wie Prozesseffizienz.

Kirchner: Wie krass schnell sich Dinge ändern und manchmal auch ändern müssen. Die Geschwindigkeit überrascht mich immer wieder. Deine Idee von gestern ist heute einfach schon wieder alt. Und du hast jeden Tag andere Probleme, die du gestern noch nicht mal hättest erraten können. Das verblüfft mich immer wieder.

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstest?
Günther: Ich persönlich stand vor der schwierigen Entscheidung, ob ich meine Dissertation fertigstellen oder ProGlove Vollzeit machen wollte. Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber ich habe mich für ProGlove entschieden, weil ich von Anfang an an die Idee geglaubt habe.

Kirchner: Meiner geliebten Frau Mutter erklären, dass das mit dem Gründen irgendwie besser ist, als bei einer „richtigen“ Firma zu arbeiten, war für mich echt schwer und hat lange gedauert. Ich glaube aber, inzwischen hat sie es verstanden.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Günther: Gerade nach dem initialen Erfolg mussten wir lernen, dass man sich immer wieder auf die Probe stellen muss. Wir haben uns in dieser Zeit vielleicht ein bisschen in das verbissen, was wir als Erfolgsgrundlage betrachtet haben und mussten wieder begreifen, dass man alles hinterfragen sollte.

Kirchner: Irgendwie habe ich nie das Gefühl, dass wir große Fehler gemacht haben. Dafür läuft es einfach zu gut. Wir haben viele, viele kleine Fehler gemacht. Jeden Tag. Und das passiert auch heute noch. Aber wir versuchen auch, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Und das ist entscheidend.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Günther: Man muss vor allen Dingen die passenden Mitarbeiter für jede Phase finden, in der man sich gerade befindet. Wir konnten oft nicht unbedingt die großen Gehälter zahlen. Deswegen haben wir immer eher nach Mitarbeitern mit Entwicklungspotenzial Ausschau gehalten. Uns kam es dabei vor allen Dingen darauf an, Mitarbeiter zu engagieren, die motiviert sind und Projekte aus eigenem Antrieb umsetzen wollen.

Kirchner: Es kommt immer auf die Phase an. Am Anfang haben wir viel in den Netzwerken der Gründerzentren hier in München rekrutiert. Die Leute da hatten alle Lust auf ganz neue Sachen, die sich noch in einer Frühphase befunden haben. Später haben wir stark auf die Netzwerke unsere Mitarbeiter vertraut. Wenn du einen erfahrenen Sales-Typen reinholst, kennt der eben auch andere erfahrene Sales-Typen. Das waren meist die besten Hires.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer?
Günther: Es ist besonders wichtig, sich nicht aufhalten zu lassen. Viele Bedenkenträger werden einem am Anfang erzählen, dass die eigene Idee nicht funktionieren wird. Damit sollte man sich zwar beschäftigen und es durchdenken, aber auf keinen Fall sollte man sich entmutigen lassen.

Kirchner: Es ist mega, direkt nach dem Studium zu gründen. Wenn der Lebensstandard noch nicht so hoch ist. Gründen ist immer ein finanzielles Risiko und hat mit Entbehrungen zu tun. Man hält einfach länger durch, wenn man ohnehin nicht viel zum Überleben braucht. Und ich muss Paul beipflichten: nie entmutigen lassen, einfach weiter machen! Gründen ist einfach extrem schwer und man braucht dazu auch Glück. Deshalb: einfach dranbleiben. So viel hat man ja auch nicht zu verlieren.

Ohne welches externe Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Günther: Für uns ist es gerade aus Hardware-Sicht nicht unbedingt ein Tool, sondern eher der Rapid-Prototyping-Ansatz, also die Idee, Prototypen schnell zu entwickeln und im laufenden Betrieb zu testen, ob ihre Weiterentwicklung Sinn ergibt. Aber auch der 3D Druck spielt für uns eine wichtige Rolle. Wir können damit eine Spezifikation über Nacht ändern und dann am nächsten Morgen mit dem neuen Prototyp wieder beim Kunden sein, um eine neue Testreihe durchzuführen.

Kirchner: Sharpies und Post-Ist‘s. Es gibt in meinen Augen keine besseren Tools, um Struktur ins Gedankenchaos zu bringen. Gerade am Anfang. Heute, nach 5 Jahren und bei mehr als 200 Mitarbeitern wären wir wahrscheinlich auch ohne SAP und Salesforce aufgeschmissen.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Günther: Für uns ist Humor sehr wichtig. Insbesondere dann, wenn es Konflikte gibt, versuchen wir diese gezielt, mit Humor aufzulösen. Dabei ist es natürlich auch wichtig, dass unsere Mitarbeiter Spaß daran haben, den Tag bei uns im Büro zu verbringen.

Kirchner: Locker bleiben, Humor beweisen, nett sein, weiter machen.

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Günther: Gerade am Anfang habe ich immer wieder bis lange in die Nacht hineingearbeitet und bin dann von München nach Berlin gefahren, um einen Pitch zu machen. Dort habe ich mich einfach bei der Location vor die Tür gestellt, im Van geschlafen und bin dann am nächsten Morgen direkt zum Pitch gegangen.

Kirchner: Wir haben Mitarbeiter, Kunden und Investoren tatsächlich von der Idee eines intelligenten Handschuhs überzeugen können. Zudem machen wir Millionen Umsätze, mehr als 200 Leute arbeiten für uns und Investoren haben uns sehr, sehr viel Geld anvertraut. Irgendwie ist das alles sehr wild für mich.

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

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Foto (oben): ProGlove

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.