#Interview

“Das erste MVP haben wir in die Tonne werfen müssen”

Mit Hilfe von 4scotty können sich IT-Talente präsentieren und ganz bequem von Seiten der Unternehmen engagieren lassen. Inzwischen arbeiten 15 Mitarbeiter für die junge HR-Jungfirma. "Wir wirtschaften profitabel und wachsen weiter", sagt Mitgründer Matthias Schleuthner.
“Das erste MVP haben wir in die Tonne werfen müssen”
Donnerstag, 21. November 2019VonAlexander Hüsing

Seit fünf Jahren werkeln Matthias Schleuthner und Co. an 4scotty, einem Reverse-Jobmarktplatz für Software- und IT-Spezialisten. “Wir bringen zusammen, was zusammengehört: Hochqualifizierte IT-Experten auf der einen und attraktive Arbeitgeber auf der anderen Seite – und das so passgenau, transparent und einfach wie möglich“, erklärt Mitgründer Schleuthner das Konzept von 4scotty. Inzwischen arbeiten 15 Mitarbeiter für die HR-Jungfirma.

“Fast 50.000 Software-Entwickler und IT-Experten haben sich bis dato bei uns registriert. 60 % davon Software-Entwickler in unterschiedlichen Technologiebereichen und 70 % der Nutzer leben bereits in Deutschland. Derzeit nutzen über 1.000 Firmen mit rund 2.500 veröffentlichten Jobs unsere Plattform aktiv. Hunderte von Talenten haben wir mit einem neuen Job glücklich gemacht und dementsprechend ebenso Unternehmen mit besetzten IT-Stellen. Wir wirtschaften profitabel und wachsen weiter”, führt Schleuthner weiter aus.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der 4scotty-Macher außerdem über das typische Henne-Ei-Problem von Marktplätzen, erfolgsbasierte Modelle und seinen Schlüssel für eine erfolgreiche geschäftliche Zukunft.

Wie würdest Du Deiner Großmutter 4scotty erklären?
Liebe Omi, stell Dir vor, Du hättest früher Interesse an einer neuen Arbeitsstelle gehabt. Allerdings hätte sich der potenzielle Arbeitgeber bei dir beworben und nicht anders herum. Zusätzlich hätte es jemanden an deiner Seite gegeben, der deine Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse genau aufnimmt, damit sich nur Unternehmen mit der passenden freien Stelle bei Dir melden. Das hätte Dir viel Mühe, Zeit und unnötige Gespräche erspart.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Unser grundsätzlicher Ansatz im Sinne von „Reverse Application“ die Talente in den Fokus zu stellen und den Unternehmen den aktiven Part im Kennenlernen für eine Stellenbesetzung zuzuspielen ist gleich geblieben. Weiterhin ist auch die Transparenz, das heißt sämtliche relevanten Informationen für beide Seiten vorab auf den Tisch zu legen, nach wie vor eine wichtige Säule des Modells. Aber natürlich haben wir die Prozesse auf unserer Plattform und im Service in den fünf Jahren unseres Bestehens immer weiter verfeinert. Diesen Weg werden wir auch zukünftig konsequent weitergehen, um das Erlebnis für wechselinteressierte Talente und suchende Unternehmen zum Optimum zu führen. Dafür ist es aus unserer Sicht weiterhin sehr wichtig, sowohl die Jobsuche als auch das Recruiting als Hybrid aus menschlicher Kommunikation sowie Automatisierung zu begreifen. Beides möchten wir immer intelligenter miteinander verknüpfen. In diesem Zusammenhang glauben wir übrigens nicht an Vollautomatisierung und Recruiting-Bots, zumindest nicht mittelfristig im Bereich der Fach-und Führungskräfte. Das Potenzial in Sachen Effizienz und Platz für technische Lösungen ist allerdings längst noch nicht ausgeschöpft. Das gilt vor allem für die ersten Schritten des Recruiting-Prozesses, in denen Matching, Vorauswahl und schnelles Zusammenkommen im Vordergrund stehen.

Wie funktioniert überhaupt euer Geschäftsmodell?
Für Talente als umworbene Zielgruppe sind die Nutzung und der Service von 4scotty kostenlos. Das wird auch langfristig so bleiben. Sie legen sehr einfach ein Profil von sich an und definieren ihre Wünsche an den nächsten Job. Dabei findet auf Wunsch auch eine Interaktion mit unserem Talent Service statt. Anschließend erhalten die Talente ausschließlich passende Jobangebote in voller Transparenz – inklusive Gehalt – und entscheiden aus dem Fahrersitz heraus, mit welchen Unternehmen sie in Gespräche eintreten möchten. Unternehmen nutzen die Plattform zur Personalsuche rein erfolgsbasiert, aktuell noch ausschließlich im Bereich der IT-Experten und Software Entwickler. Dazu veröffentlichen sie ein Unternehmensprofil und stellen ihre offenen Positionen ein. Nach dem Onboarding können die Matches, Talente die perfekt auf eine Position passen, mit einem konkreten Jobangebot zu einem ersten Kennenlernen eingeladen werden. Der Customer Service von 4scotty moderiert den gesamten weiteren Recruiting-Prozess bis zum Abschluss eines Arbeitsvertrags. Erst dann entrichtet der Arbeitgeber eine Vermittlungsgebühr als Prozentsatz vom Bruttojahresgehalt des neuen Mitarbeiters.

Wie genau hat sich 4scotty seit der Gründung entwickelt?
Der Anfang war auch bei uns durchaus startup-typisch und holprig. Das erste MVP der Plattform haben wir nach wenigen Monaten und den ersten Erfahrungen in die Tonne werfen müssen. Wir haben dann eine neue Plattform mit einem eigenen Team gebaut, die im Kern mehr oder weniger bis heute läuft. Zudem mussten wir das typische Henne-Ei-Problem von Plattformen bzw. Marktplätzen lösen. Keine Unternehmen auf der Plattform heißt keine Jobangebote für die registrierten Talente. Keine interessanten unternehmen auf der Plattform heißt schwere Gewinnung von interessierten Talenten. Zu der Zeit kam uns allerdings entgegen, dass das Modell in Deutschland neu war und bei den Techies sehr guten Zuspruch fand . Kein Job-Spam mehr in Social Networks und nur passende Angebote, dazu kompetente Ansprechpartner, die etwas vom Fach verstehen. Wir wussten wie gefragt ITler im Markt sind und haben wir uns daher mit voller Kraft auf die Begeisterung von Talenten für unsere Plattform konzentriert. Die Unternehmen kamen quasi von selbst. 2016 haben wir dann die kritische Masse auf beiden Seiten erreicht und es fing richtig gut an zu matchen. In den folgenden Jahren sind wir jeweils hoch zweistellig gewachsen. Dabei haben wir immer Wert darauf gelegt, möglichst profitabel zu arbeiten und das Geschäft nachhaltig stabil aufzubauen. Dieses Ziel haben wir bis heute gut erreicht. Jetzt gilt es den nächsten Schritt zu gehen.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist 4scotty inzwischen?
Unser Team in Berlin besteht aktuell aus 15 Mitarbeitern. Fast 50.000 Software-Entwickler und IT-Experten haben sich bis dato bei uns registriert. 60 % davon Software-Entwickler in unterschiedlichen Technologiebereichen und 70 % der Nutzer leben bereits in Deutschland. Derzeit nutzen über 1.000 Firmen mit rund 2.500 veröffentlichten Jobs unsere Plattform aktiv. Hunderte von Talenten haben wir mit einem neuen Job glücklich gemacht und dementsprechend ebenso Unternehmen mit besetzten IT-Stellen. Wir wirtschaften profitabel und wachsen weiter.

4scotty ging 2014 an den Start. Wie sehr hat sich der HR-Markt seitdem verändert?
Als Pioniere waren wir die ersten, die das us-amerikanische Vorbild für Deutschland lokalisiert haben. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass wir am Anfang ungläubige Blicke und Erstaunen in der HR-Szene ernteten und nur wenige den Ansatz verstanden haben. Talente in den Mittelpunkt stellen? Wir als Unternehmen bewerben uns bei den Kandidaten?
Für mich war das durchaus überraschend. Schon zu diesem Zeitpunkt wurden die Säue Active Sourcing, Employer Branding, War for Talents bereits längere Zeit durch das HR-Dorf getrieben. Unser Ansatz ging offenbar doch noch einen Schritt zu weit. Zum Glück waren wir nicht zu früh dran, sondern kamen genau zum richtigen Zeitpunkt. Deshalb konnte das Modell so gut wachsen, sich etablieren und ist heute mit zahlreichen Anbietern im Markt in den unterschiedlichsten Bereichen vertreten. Sogar Trucker werden heute plattformbasiert und über Reverse Application vermittelt. Selbst die ganz großen Player im Job-Markt haben verstanden, dass der Schlüssel für eine erfolgreiche geschäftliche Zukunft der Fokus auf Talente ist. Zaghaft rollen sie eigene Plattformen aus oder konsolidieren mit Übernahmen den Markt. Die kleinen HR-Techs haben es vorgemacht und den Markt wirklich verändert. Gewinner in diesem Spiel sind vor allem die Talente und Unternehmen. Das Thema Jobsuche und Stellenbesetzung wird um einiges einfacher, service-orientierter und günstiger. Und das ist gut so!

2015 habt ihr euch mit dem Wettbewerber hytch zusammengeschlossen. Wie viel von hytch steckt heute noch in 4scotty?
Der Zusammenschluss war für beide Unternehmen in einer sehr frühen Phase. Letztlich ging es zu dem Zeitpunkt in erster Linie um die Übernahme der Nutzerdaten. Aber natürlich hat Christoph, der Gründer von hytch, seine Erfahrungen und sein Engagement in die Weiterentwicklung von 4scotty mit eingebracht. Insofern steckt noch ein gewisser Prozentsatz drin.

Die aktuelle wirtschaftliche Lage, nennen wir es ruhig mal Rezession, macht vielen HR-Firmen Sorgen. Euch auch?
Klar, Unternehmen die im Personalbereich ihr Geld verdienen, gehören immer zu den ersten, die es bei einer wirtschaftlichen Eintrübung trifft. Dort werden in der Regel die Budgets am ehesten gekürzt. Auch wir haben den Knick ab dem zweiten Quartal gespürt. Insbesondere weil viele unserer Kunden aus dem Mittelstand kommen oder Startups sind. Glücklicherweise gibt es bereits Anzeichen der Erholung des wirtschaftlichen Klimas und die Digitalisierung mit dem entsprechenden Bedarf an IT-Fachkräften wird weiter voranschreiten. In diesem unserem Zielmarkt bin ich auch für die Zukunft und eine eventuell stärkere gesamtwirtschaftlichen Talfahrt zuversichtlich stimmt. Der IT-Bereich wird langfristig beim Bedarf auf einem hohen Niveau bleiben. Darüber hinaus gibt es weitere spannende Arbeitsmärkte mit großen Engpässen, für die unsere Plattform unmittelbar einsetzbar wäre. Hier können wir flexibel reagieren. Erfolgsbasierte Modelle werden auch in einem angespannten Umfeld ihre Vorteile ausspielen können.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Die beliebten Fuck-ups? Davon hatten wir im Laufe der Zeit natürlich viele kleine. Wir haben viel ausprobiert und getestet, da bleibt das nicht aus. Die absoluten Killer-Features, die dann niemand nutzt. Die innovativen Top-Marketingkampagnen, die keine Conversion bringen. Die vielversprechenden Kooperationen, die dann doch im Sande verlaufen. Was bei mir hängen geblieben ist, war der Versuch parallel zu unserer Plattform eine weitere aufzubauen – 4scottyjuniors. Das Vertical sollte sich auf Basis unseres Modells an Studenten und Absolventen richten. Es ist aber in den Kinderschuhen des sehr frühen MVPs stecken geblieben. Die Idee hatte durchaus ihre Berechtigung, hat aber schlichtweg unser kleines Team, unsere B2B-Kunden und unser Marketingbudget überfordert. Das haben wir dann schnell wieder eingestampft und Geld verloren. Das Thema arbeitet aber noch im Hinterkopf.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ich bin überzeugt, man kann in einem Startup nicht alles richtig machen. Es ist schon mein zweites und auch in der ersten Firma sind uns natürlich Fehler unterlaufen, wenn auch andere.
Wir bekommen regelmäßig sehr gutes Feedback zu unserem persönlichen Service, sowohl auf Talent- als auch auf Unternehmensseite. Da machen wir sicherlich vieles richtig. Gleich darauf folgt eine sehr gute Bewertung des Nutzererlebnisses auf der Plattform. Hier zahlt sicher das jahrelange Recruiting- und HR-Know-how unseres Teams ein und der Fokus auf zielgruppenspezifische UX und Technologie.

Wo steht 4scotty in einem Jahr?
In einem Jahr planen wir marktführend in einer weiteren großen Nische des Arbeitsmarktes zu agieren und haben 4scotty in ein weiteres Land gebracht. Wir werden tausende Talente in besser passende Jobs begleitet und sie hoffentlich ein Stück weiter gebracht haben in ihrem Leben.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): 4scotty

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.