#Interview

“Kein Schmuck am Nachthemd und niemals ohne den Kunden entwicklen”

Mit JobKraftwerk digitalisieren Tom Lawson, Benedikt Frings und Oliver Queck die Sozialarbeit in Kommunen. Mehr als 450 Kommunen in Baden-Württemberg setzten das Produkt der Hauptstädter inzwischen ein. Ihr Startup zogen die Gründer ohne klassische Geldgeber hoch.
“Kein Schmuck am Nachthemd und niemals ohne den Kunden entwicklen”
Dienstag, 23. April 2019VonAlexander Hüsing

Vor vier Jahren starteten Tom Lawson, Benedikt Frings und Oliver Queck in Berlin das Unternehmen LQ Enterprise. “Mit unserer Plattform JobKraftwerk digitalisieren wir die Sozialarbeit in Kommunen und ermöglichen den überbehördlichen Austausch”, sagt Mitgründer Queck zum Konzept der Jungfirma. Mehr als 450 Kommunen in Baden-Württemberg setzten das Produkt der Hauptstädter inzwischen ein. Das Unternehmen zogen die Gründer völlig ohne Geldgeber hoch.

“Da wir nicht wie viele Gründer direkt von der Uni kamen, sondern bereits über 10 Jahre Erfahrung in Beratung und Konzernen haben, konnten wir den Start mit Gründerkrediten und des Gründungszuschusses der Arbeitsagentur bewerkstelligen. Auch konnten wir uns den Luxus erlauben uns zwei Jahre keine Gehälter zu bezahlen. Mittlerweile sind wir tragen die Umsätze das Team”, berichtet Queck. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der LQ Enterprise-Macher außerdem über

Wie würdest Du Deiner Großmutter LQ Enterprise erklären?
Mit unserer Plattform JobKraftwerk digitalisieren wir die Sozialarbeit in Kommunen und ermöglichen den überbehördlichen Austausch. Natürlich unter Einhaltung der DSGVO. On top beraten wir Kommunen bei der Digitalisierung von Behördenprozessen – etwa das Ministry of Local Government and Modernisation in Norwegen bezüglich Digitalisierung der Prozesse rund um Social Housing.

Wie hat sich LQ Enterprise seit der Gründung entwickelt?
Wir sind in 2016 mit dem Landkreis Reutlingen mit einem Piloten für ein mehrsprachiges Profiling von Geflüchteten gestartet. Die eingegebenen Daten von Geflüchteten auf zum Beispiel Arabisch wurden automatisch – aber ohne Google Translate – ins Deutsche übersetzt und der Geflüchtete hat einen deutschen Lebenslauf erhalten und die Sozialarbeiterinnen ein Profil, welches als Grundlage für die tägliche Arbeit diente. Damit sind wir in 2017 in drei Landkreisen live gegangen um in 2017 das Produkt ausweiten zu einem kompletten Integrations- und Case-Management welches zur Dokumentation, zum Austausch und zum Berichtswesen eingesetzt wird.

Und wo steht ihr nun?
Mehr als 450 Kommunen in Baden-Württemberg setzten unser Produkt nun ein und wir erweitern die Funktionalität gerade damhingehend, dass neben Geflüchteten auch zum Beispiel Obdachlose etc. betreut werden können. Darüber hinaus starten wir auf Basis von JobKraftwerk einen Piloten in NRW und Hessen für ein regionales Bildungsmanagement um die Kooperation zwischen Bildungsträgern und „Klienten“ zu verbessern und zielgerichtete Angebote zu ermöglichen. Man kann sagen, dass wir ein klassisches GovTech-Startup sind, welches im Hintergrund aber eine soziale Wirkung erzielt, welches un durchaus wichtig ist und wir deshalb sich im letzten Jahr Impact Investments von Stiftungen in Form von Nachrangdarlehen für den Ausbau unserer Aktivitäten erhalten haben.

Hat sich Euer Konzept, Eurer Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren verändert?
Ja, mehrmals massiv. Vom reinen Profiling über die lokale Arbeitsmarktintegration nun zum digitalen Case- und Integrationsmanagement. Wichtig war hierbei immer, dass wir sehr nah am Kunden und mit dem Kunden entwickelt haben. Das gibt das im Public Sector nötige Vertrauen und stärkt langjährige Public Private Partnerships. Nun sind wir bei Software-as-a-Service mit mehrjährigen Verträgen für Landkreise, Städte und Gemeinden

Ihr habt LQ Enterprise bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Ja, das war es. Da wir nicht wie viele Gründer direkt von der Uni kamen, sondern bereits über 10 Jahre Erfahrung in Beratung und Konzernen haben, konnten wir den Start mit Gründerkrediten und des Gründungszuschusses der Arbeitsagentur bewerkstelligen. Auch konnten wir uns den Luxus erlauben uns zwei Jahre keine Gehälter zu bezahlen. Mittlerweile sind wir tragen die Umsätze das Team. Im Sommer haben wir für das weitere Wachstum Social Impact Investments in Form von Nachrangdarlehen erhalten, die beim Wachstum helfen. Das Schöne daran ist, keine Unternehmensanteile abgeben zu müssen und trotzdem gezielte Unterstützung zu bekommen.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Grundlage. Wichtiger war die Unterstützung unserer Familien das Risiko zu tragen. Ohne Einkommen mit Hypotheken für Häuser und ein bis zwei Kindern, da ist der Support der Partner essentiell.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Zum Glück nicht. Wir hätten vielleicht schneller sein können in der Entwicklung mit mehr Mitarbeitern, aber vom Timing her waren wir genau richtig.

Was rätst du anderen Gründer, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Fokus, Fokus, Fokus. Kein Schmuck am Nachthemd und niemals ohne den Kunden entwicklen, damit auch hier keine Ressourcen verwendet werden. Deshalb haben wir erstmal komplett auf Baden-Württemberg fokussiert und jeden Invest drei Mal evaluiert. Auch ist es wichtig erst dann Mitarbeiterinnen einzustellen, wenn sich das Modell auch selbst trägt. Hier haben wir zuerst im sehr wichtigen Service Management für die Kunden verstärkt und die Entwicklung aus eigener Kraft unseres CTOs, vereinzelt unterstützt durch Freelancer, vorangetrieben. Darüber hinaus muss man sich im Bootstrap genau mit Förderungen – zum Beispiel der IBB – auseinandersetzen, da hier mit relativ wenig Aufwand tolle Förderungen möglich sind. Der Fokus ist auch wichtig im Bezug auf Konferenzen und anderen externen Events. Wir haben nur die Events besucht, die uns auch potentielle Kunden bringen. Events ohne Kunden haben wir komplett ausgelassen.

Wovon hast Du in der Anfangszeit gelebt?
Rücklagen und Gründungszuschuss der Arbeitsagentur – Neun Monate 70 % des ehemaligen Nettos plus 300 Euro für Unterstützung der Krankenkasse.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben in 2017 zu lange gebraucht um einen Pivot zu machen, wodurch wir Zeit verloren haben. Ansonsten läuft alles nach Plan und teilweise besser.

Und wo hat ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir haben es geschafft, dass durch unsere Lösung das Land Baden-Württemberg eine Förderung (VwV Digitales Integrationsmanagement), über welche Landkreise und Stadtkreise die Kosten für unsere Software vom Land erhalten. Das gibt massive Credibility auch außerhalb von Baden-Württemberg… Und wir haben es geschafft, dass wir namentliche Referenzen von Landräten und Bürgermeistern bekommen haben, welche wir im Sales verwenden dürfen… und über Referenzen läuft der Hauptteil des Business Developments und des Sales… und es hilft bei den sehr ausgewählten Wettbewerben, an welchen wir teilnehmen. So haben wir den Smart Country Startup Award 2018 des Bitkom im Bereich eGovernment gewonnen.

Wo steht LQ Enterprise in einem Jahr?
Bei 1,5 Millionen Umsatz und Roll-out in NRW und Hessen nach den Piloten sowie Skalierung in diesen Bundesländern. Darüber hinaus weitere Beratungsmandate im In- und Ausland.

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Foto (oben): LQ Enterprise, Leo Seidel

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.