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Irrglaube Big Data – Data Thinking als Innovationsmethode

"Das Daten-Sammeln kann einem Unternehmen Zeit verschaffen, bis man weiß, mit welchem Anwendungsfall man sich einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten will. Typischerweise liegen dann aber Daten nicht so vor, wie man sie benötigt", sagt Marc Weimer-Hablitzel vom Data Hub der Gründerallianz Ruhr.
Irrglaube Big Data – Data Thinking als Innovationsmethode
Montag, 18. Juni 2018VonAlexander Hüsing

Datengetriebene Geschäftsmodelle sind in aller Munde. Doch wie können Unternehmen und Startups die wirklich spannenden Anwendungsfälle für Machine Learning, Künstliche Intelligenz und Daten im Allgemeinen systematisch entdecken? Marc Weimer-Hablitzel, Principal bei der Digitalberatung etventure, kümmert sich im Data Hub, den er zusammen mit der Gründerallianz Ruhr ins Leben gerufen hat, genau darum. Über die Initiative will er Startups und etablierte Unternehmen anhand von konkreten Anwendungsfällen und Daten zusammenbringen. Ziel ist es, das Ruhrgebiet zum Hotspot für B2B-Daten und datenorientierte Startups zu machen. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Weimer-Hablitzel über die Möglichkeiten des Data Thinking als Innovationsmethode und wie Startups und Unternehmen diese erfolgreich einsetzt.

Big Data ist seit Jahren ein Buzzword in der Startup aber auch der Unternehmenswelt. Ist das Sammeln von Daten wirklich lohnenswert?
Schaut man sich die Realität in den Unternehmen an, müsste man eigentlich sagen: Nein, lohnt sich nicht. Zumindest in der Art und Weise, wie es in den letzten zehn Jahren gemacht wurde. Die meisten Data Warehouses oder Lakes sind trotz immenser Investitionen nicht über das Reporting hinaus gekommen und haben nach wie vor einen miserablen, häufig negativen ROI. Die meisten Unternehmen wissen auch heute noch nicht, wo ihr strategisches Daten-Potential steckt. Der Big Data-Irrglaube war, man müsse nur die innovative Technik der großen Tech-Konzerne aus dem Valley kopieren. Dabei bedarf es ebenso einer neuen Herangehensweise als Teil eines datenzentrischen Denkansatzes. Ich nenne diesen Ansatz auch deshalb Data Thinking. Nicht die Technik steht im Vordergrund, sondern die systematische Identifikation und Erschließung von Anwendungsfällen mit hohem, messbaren Nutzen. Genau so gehen wir auch beim Data Hub der Gründerallianz Ruhr vor. Zuerst identifizieren wir gemeinsam mit den Partnerunternehmen die Anwendungsfälle mit dem größten Geschäftspotenzial und stellen diese dann samt Daten auf dem Data Hub für Startups zum Proof of concept bereit.

Das Sammeln von Daten ist also nur ein erster Schritt: Wie können Unternehmen und Startups mehr aus ihren Daten rausholen?
Das Daten-Sammeln kann einem Unternehmen Zeit verschaffen, bis man exakt weiß, mit welchem Anwendungsfall man sich einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten will. Typischerweise liegen dann aber die Daten nicht so vor, wie man sie benötigt, und alle klagen über die mangelhafte Datenqualität. Deshalb muss man den Prozess umdrehen und beim Anwendungsfall beginnen. Es gilt, zuerst herauszufinden in welchen Anwendungsfällen das größte Potential steckt, dann dieses Potential zu beweisen und erst danach – dann aber konsequent – die Datenerzeugung zu gestalten. Um wirklich von Machine Learning und KI zu profitieren, darf man sich beim Design nicht auf die Daten limitieren lassen, die man aktuell hat, sondern muss sich daran orientieren, was man optimalerweise braucht. Darauf richtet man dann seine Datenstrategie aus.

Kann man wirklich lernen, Daten so zu nutzen, dass sie etwa mehr Umsatz bringen?
Absolut – der ökonomische Nutzen muss sogar die zentrale Triebfeder jeglicher Daten-Initiativen sein. Es gibt so wahnsinnig viele spannende Anwendungsfälle, wo wir mit Hilfe von Data Science Ressourcen effizienter einsetzen können, Menschen die “Monkey Work” abnehmen oder die Versorgung verbessern können. Ich war zum Beispiel in einem riesigen Stahlwerk in Magnitogorsk (Russland), wo mit Hilfe von Strom Schrott eingekocht wird. Weil man die Hitze im Inneren nicht mit einem Thermometer messen kann, kochen die Arbeiter den Schrott solange, bis sie ganz sicher sind, dass der Stahl geschmolzen ist. Mit einem Machine Learning Modell könnte man aber den optimalen Abstichzeitpunkt sehr gut ermitteln und so sehr viel Energie und damit Geld und tonnenweise CO2 einsparen. Um diese Potentiale zu entdecken, sollte man “bottom-up” anfangen und mal mit seinen Mitarbeitern aus dem operativen Betrieb sprechen. Welche Vorhersage bräuchtest du, um 1 Mio. Euro mehr Umsatz zu machen oder zu sparen? Was sind die drei häufigsten Routinen in deinem Bereich? Wie müsste der Prozess beziehungsweise die Maschine funktionieren, wenn du sie auf dem Mars fernsteuern müsstest? Mit solchen Teaserfragen arbeiten wir in den Data Thinking Workshops und bekommen erstaunlich viele gute Ansatzpunkte, die sich auch heute schon realisieren lassen. Das wichtigste ist aber, dass der CEO das “Daten-Thema” nicht an die Technik-Experten delegiert. Denn Daten sind heute die wichtigste Quelle für Wettbewerbsvorteile, sowohl auf Umsatz- als auch auf Kostenseite.

Wie schwer ist der Weg zum datenorientierten Unternehmen oder Startup?
Relativ leicht für junge Unternehmen, knackig für etablierte. Aber auch Datenorientierung kann man lernen. Wir müssen nur endlich damit aufhören, das Thema zu “übertechnologisieren” und uns stattdessen am Nutzen orientieren. Das versteht jeder Mensch, die Übersetzungsarbeit leistet dann der Data Thinker. Bei der Fragestellung, wie man aus Daten langfristige Assets macht, muss man allerdings sehr strategisch vorgehen. Im Consumer Sektor sind beispielsweise einige der großen Felder bereits besetzt: Beziehungen gehören Facebook, Aufenthaltsdaten Google, deine Gesundheitsdaten bald Apple. Auf vielen anderen Feldern ist das Spiel allerdings noch nicht entschieden. Da gibt es weiterhin noch sehr viel Potential – wenn man es richtig angeht.

Zum Abschluss noch eine Frage: Gibt es Daten, die wirklich niemanden interessieren?
Ha, gute Frage! Der Mensch ist ja bekanntlich ein kurioses Wesen. Vermutlich wird es aber niemanden geben, der sich dafür interessiert, wie viele Sekunden ich über diese Frage NICHT nachgedacht habe.

Der digitale Pott kocht! Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden großen Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Gründerinnen und Gründer. deutsche-startups.de, die Gründerallianz Ruhr und der ruhr:HUB berichten gemeinsam über die Digitalaktivitäten im Revier.

Foto (oben): Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.