Interview

Die Idee zur Gründung lieferte David Hasselhoff

"Die letzten drei Jahre waren wir Cash-Flow positiv, konnten 2015 bis 2017 eine jährliche Umsatzsteigerung im dreistelligen Bereich verzeichnen und namhafte Kunden gewinnen. Den Vergleich mit einem Silicon Valley-Startup müssen wir also nicht scheuen", sagt Dagmar Schuller, Mitgründerin von audEERING.
Die Idee zur Gründung lieferte David Hasselhoff
Mittwoch, 4. April 2018VonAlexander Hüsing

Der dänische Konzern GN pumpte gerade “eine substantielle Finanzierung” (gemeint ist wohl ein Millionenbetrag) in das Audio Intelligence-Unternehmens audEERING. Das Unternehmen ging 2012 als Spin-Off der TU München an den Start. Firmen wie Huawei, BMW und die GfK setzen auf audEERING. Das Startup entwickelt Methoden zur Erkennung von Informationen jenseits des gesprochenen Textes, wie Emotion, Persönlichkeit, Alter, Geschlecht oder Interesse. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Dagmar Schuller, Mitgründerin von audEERING, über K.I.T.T., Baukastensysteme und Freiheit.

Wie würdest Du Deiner Großmutter audEERING erklären?
audEERING versteht und analysiert nicht nur, was du sagst, sondern auch, wie du etwas sagst. Die Technologie kann deine Emotionen erkennen, zwischen den Zeilen lesen und versteht dadurch, was du wirklich willst und wie du dich fühlst. Das kann beispielsweise dabei helfen, Stress abzubauen oder Krankheiten früh zu erkennen. Wir können auch erkennen, wie sich deine Umgebung anhört und es ermöglichen, dass sich deine Geräte für dich individuell dieser Situation und sogar deinen Gefühlen entsprechend anpassen, wenn du das willst.

Bei welcher Gelegenheit entstand die Idee zu audEERING?
Björn Schuller sah als Teenager die Fernsehserie Knight Rider und wollte genauso wie David Hasselhoff ein Auto wie K.I.T.T. haben, das ihn versteht und entsprechend reagiert. Jahre später fing er an, sich als Universitätsprofessor wissenschaftlich mit intelligenter Audioanalyse und künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen und war der erste, der im Bereich Affective Computing schon Ende der 90er Jahre diesen Bereich nachhaltig erforscht hat. Da das Thema Sprach- und Audioanalyse unserer Meinung nach insbesondere im Hinblick auf intelligente Assistenten und Anwendungen immer mehr an Einfluss gewann, entschieden wir 2012, auf Grundlage der Forschungsergebnisse kommerzielle Produkte für echte Anwendungen zu entwickeln und gründeten audEERING.

Hat sich euer Konzept seit dem Start verändert?
Unser Konzept ist geblieben: Wir entwickeln Produkte für Fokusindustrien wie Automobil, Telekommunikation, Hardware/Devices, Gesundheit/Wellness, die mithilfe künstlicher Intelligenz, next-generation Machine Intelligence und ausgereifter Technologie wie bspw. openSMILE Feature Extraction Audiosequenzen analysieren und wesentlichen Input für Entscheidungen liefern. Unser ursprünglich projekt-orientiertes Arbeiten für einen speziellen Anwendungsfall ist jedoch mittlerweile standardisierten Produkten im Baukastensystem für unterschiedliche Industrien gewichen, die wir in Lizenzmodellen – Volumen-basiert oder Device-basiert – anbieten.

Wie hat sich audEERING seit der Gründung entwickelt?
Seit der Gründung 2012 ist viel passiert. Das Startup war gebootstrapped – wir sind tatsächlich ein Unternehmen, das mit 7.500 Euro Startkapital gegründet wurde – und wir waren vom ersten Tag an profitabel. Unser erster Kunde war der renommierte GfK Verein, der insbesondere in der Forschung sehr innovativ ist. Mittlerweile gelten wir im Markt als Innovationsführer für unseren Bereich und konnten internationale Konzerne wie beispielsweise Huawei, BMW oder Red Bull Media House als Kunden gewinnen. Dazu kommt, dass wir letztes Jahr einen internationalen Wettbewerb für Zukunftstechnologie und -ideen gewonnen haben und Innovator of the Year 2017 wurden. Unsere Software hat noch weitere Awards gewonnen und Gartner, Inc. hat uns als „Vendor to Watch“ für Künstliche Intelligenz gelistet, als eines von nur 10 internationalen Unternehmen auf dieser Liste.

Wie groß genau ist audEERING inzwischen?
Wir sind 20 Mitarbeiter und gerade fleißig am Einstellen. Dabei achte ich auch auf eine gute Work/Life-Balance der Mitarbeiter und ausgewogene Teams. Die letzten drei Jahre in Folge waren wir Cash-Flow positiv, konnten 2015 bis 2017 eine jährliche Umsatzsteigerung im dreistelligen Bereich verzeichnen und namhafte Kunden gewinnen. Den Vergleich mit einem Silicon Valley-Startup müssen wir also nicht scheuen.

Gerade habt ihr ordentlich Geld eingesammelt. Nach welchen Kriterien habt Ihr eure potenziellen Geldgeber im Vorfeld ausgesucht?
Wir haben nicht nur einen klassischen Investor gesucht, der einen schnellen Exit bevorzugt, sondern vor allen Dingen auch einen strategischen Partner, der uns einen zusätzlichen Mehrwert liefern kann. Wichtig war uns, dass der Investor über eine eigene Vision und zukunftsträchtige Innovationskraft verfügt, unseren Markt versteht, in diesem gut vernetzt ist und Türen öffnen kann. Das alles traf auf GN, den Mutterkonzern von Jabra und ReSound, zu. GN ist Trendsetter im Bereich Audio-Hardware, wir sind in unserem Bereich Innovationsführer für Audio-Software – das passt einfach optimal. Als Partner möchten wir natürlich auch unsere Kernkompetenzen nutzen und kombinieren. Gleichzeitig war uns ein Investor wichtig, der unsere Kreativität nicht einschränkt und uns weiter forschen sowie an eigenen Produkten arbeiten lässt, so etwa an Lösungen im Gesundheitssektor, welche die Früherkennung von diversen Krankheiten oder erweiterten Einsatz in der Therapie und Pflege und entsprechende Optimierung ermöglichen. GN hat von Anfang an erkannt, wie wichtig diese Freiheit für uns ist und unterstützt das entsprechend.

Wie genau seid Ihr mit euren aktuellen Geldgeber GN in Kontakt gekommen?
Ein großes Medienhaus hat uns für ein Projekt zusammengebracht – das war im Februar 2017. GN fand es spannend, was wir machen, sodass wir ein gemeinsames größeres Meeting im Juni in der GN Zentrale in Kopenhagen hatten, bei der wir unsere Vision und Technologie vorgestellt haben. Dabei haben wir natürlich auch erzählt, wie wir audEERING gegründet haben. GN war sehr interessiert daran, mehr zu uns und unserer Technologie zu erfahren, im August besuchte uns deren Innovations-Team in Gilching und danach stand fest, dass sich beide Parteien eine intensivere Zusammenarbeit und Beteiligung vorstellen könnten. Dann ging es Schlag auf Schlag – nach der erfolgreichen Due Diligence und einigen intensiven Verhandlungstagen in Kopenhagen waren wir uns einig.

Was war bei der Finanzierungsrunde die größte Herausforderung?
Die Verhandlungen verliefen sehr zügig und ausgesprochen gut und fair. Es hat wirklich viel Spaß gemacht zu erleben, wie hier mit vereinten Kräften an einer vertraglichen Lösung gearbeitet wurde, die nicht nur einfach zufrieden stellt, sondern beiden Parteien einen substantiellen Mehrwert liefert und zukunftsorientiert ist. Vom grundsätzlichen Verständnis, gemeinsam etwas bewegen zu wollen mit einem LOI bis hin zur Vertragsunterzeichnung beim Notar vergingen lediglich vier Monate. Um ehrlich zu sein: Die größte Herausforderung bestand darin, einen Notartermin zwischen Weihnachten und Silvester zu organisieren.

An welchen Stellen musste das Tagesgeschäft denn unter der Arbeit an der Finanzierungsrunde leiden?
Unser Team war nicht sehr groß und alle operativ tätig. Wir hatten keinen Mitarbeiter, den wir zu 100 oder auch nur zu 50 % abstellen oder kurzfristig mit der Thematik betreuen konnten. Es stand daher für unseren CTO und mich fest, dass wir unsere Abende und Wochenenden damit verbringen, an den notwendigen Dokumenten zu arbeiten. In der Zeit hatten wir natürlich weniger Ressourcen für aktive Kundenakquise oder Produktentwicklung. Doch GN hatte vollstes Verständnis für unsere Situation, auch wenn wir mal für das eine oder andere Dokument etwas länger gebraucht haben und hat uns unterstützt, wo es möglich war, beispielsweise auch mit dem Data Room Management für die Due Diligence.

Was rätst Du anderen Gründern, die Kapital suchen?
Beim Business Plan sollte man substantiell vorgehen und neben einer guten Vision natürlich auch den Realismus und Kenntnis über den Markt nicht vergessen. Wenn nicht nur der schnelle Exit im Vordergrund steht, sondern ein nachhaltiges Geschäft, dann ist es auch wichtig, Synergien und Potentiale herauszuarbeiten, die einen potentiellen Investor neben den reinen Zahlen begeistern und überzeugen. Die Zahlen sollten realistisch erreichbar sein und keine Luftnummern, die schon im ersten Jahr verworfen werden. Außerdem würde ich empfehlen, sich auf das Kerngeschäft zu fokussieren und die getroffenen Annahmen von Branchen-Insidern challengen zu lassen. Eine gute Story ist enorm wichtig sowie ein ausgewogenes und erfahrenes Team, das man präsentieren kann.

Wo steht audEERING in einem Jahr?
Anfang 2019 wird audEERING die Business-Plan-Ziele erreicht und den Umsatz von 2017 im hohen zweistelligen %-Bereich gesteigert haben. Unsere Software wird in mehreren Hardware-Produkten bekannter Hersteller zu finden und aus den Märkten Automobil und Smart Assistance/Devices nicht mehr wegzudenken sein, genauso wenig wie aus den Bereichen (Tele)kommunikation, Gesundheit/Pflege und Media.

Kennt Ihr schon unseren #StartupTicker? Der #StartupTicker berichtet tagtäglich blitzschnell über die deutsche Start-up-Szene. Schneller geht nicht!

Mehr Startup-Substanz im Newsfeedfolgt ds auf Facebook

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): audEERING

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.