Gastbeitrag

Entwickler sollten sich selbstständig machen

Um es ganz klar zu sagen - natürlich ist die Selbständigkeit nicht für alle Entwickler empfehlenswert. Sie bringt besondere Herausforderungen mit sich und birgt auch einige Risiken, und man muss letztendlich vom Typ her einfach dazu passen.
Entwickler sollten sich selbstständig machen
Mittwoch, 20. Dezember 2017VonTeam

Wer zu den gut 700.000 Softwareentwicklern in Deutschland gehört, lebt oft ein relativ komfortables Leben – flexible Arbeitszeiten, attraktive Bezahlung, interessante technische Herausforderungen und gute Aussichten für die Zukunft. Der Großteil der Entwickler ist fest bei einer Firma angestellt, aber ein stetig wachsender Anteil von Ihnen – aktuell ca. 100.000 – arbeitet selbständig als Freiberufler. Als Grund geben die meisten Freiberufler mehr Freiheiten bei der Arbeitsgestaltung sowie das höhere Einkommen an, aber auch darüber hinaus gibt es noch einige andere Vorteile der Selbständigkeit, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.

Höheres Einkommen

Es stimmt in den meisten Fällen, daß IT-Freelancer für ihre Arbeit deutlich besser entlohnt werden als ihre festangestellten Kollegen – nämlich mit durchschnittlich 84€ pro Stunde. Für einen Monat, in dem ein Freelancer volle 40 Stunden in der Woche arbeitet, kann er damit mehr als 13.000€ abrechnen.

84€ sind wohlgemerkt der Durchschnitt – Experten auf einem bestimmten Gebiet können oft (je nach Kunde und Region) mehr als 100€ pro Stunde aufrufen.

Daß der Freelancer mit diesem Einkommen auch Auftragslücken überbrücken (siehe nächster Punkt) und selbst in die eigene Altersvorsorge investieren muss, und nicht jede Stunde, die er für die Arbeit verbringt, beim Kunden abrechnen kann, muss man dabei jedoch auch berücksichtigen. Insgesamt bleibt aber trotzdem bei einem Stundensatz in diesem Bereich unter dem Strich bei einem Freelancer sehr viel mehr übrig als bei einem Festangestellten.

Fantastische Auftragslage

Das Leben eines Freiberuflers läuft normalerweise so ab: mehrere Woche oder sogar Monate sucht er nach dem passenden Projekt. Schlussendlich wird er so verzweifelt, dass er ein Projekt annimmt, das thematisch nicht gut zu dem passt, was er eigentlich machen will, und auch etwas zu schlecht bezahlt ist. Aber immerhin ist endlich wieder für ein paar Monate ein Einkommen da, die Miete kann bezahlt werden und der Freiberufler kann sogar etwas zurücklegen. Sobald das Projekt beendet ist, geht das Spiel von vorne los.

Dieser Ablauf ist natürlich etwas überspitzt dargestellt, aber das grundsätzliche Problem – ein Wechsel von relativ gutbezahlter Projektarbeit und einer Periode der unbezahlten Akquise – gibt es bei vielen.

Die IT-Branche bildet da eine Ausnahme. Hier haben die Firmen den größten Bedarf an Freelancern – vier von fünf Unternehmen arbeiten regelmäßig mit ihnen – und die Selbständigkeit ist eine völlig akzeptierte Arbeitsform – im Gegenteil zu der Branche der Management-Berater zum Beispiel, in der Freiberufler immer noch als “Gescheiterte” angesehen werden, die es bei den etablierten Beratungen wie McKinsey und BCG nicht geschafft haben.

Diese hohe (und wachsende) Nachfrage nach Freelancern bringt sie in eine komfortable Position: sie können sich die Kunden und Projekte quasi aussuchen und haben mit ein bisschen Geschick selten Probleme, Anschlussprojekte zu finden. Eine Phase ohne Projekt legen die meisten Freelance-Entwickler freiwillig für Urlaub oder die Arbeit an eigenen Projekten ein.

Interessante Projekte

Einer der attraktivsten Aspekte der Selbständigkeit ist die Vielzahl an unterschiedlichen Kunden, für die ein selbständiger Entwickler arbeiten kann. Und aufgrund der schon erwähnten überragend guten Auftragslage kann er die Auftraggeber, für die er arbeiten will, quasi frei wählen. Dadurch kann er immer wieder neue Geschäftsbereiche, Technologien und Arbeitsweisen kennenlernen, die ihn auch persönlich interessieren und ihn fit für zukünftige Projekte machen.

Auch die Auftraggeber haben dies erkannt und treffen Entscheidungen für oder gegen den Einsatz einer Technologie teilweise mit großem Fokus darauf, wie die Technologie die Attraktivität der Firma bei potentiellen Entwicklern beeinflussen. Eine Entscheidung für eine relativ unpopuläre Programmiersprache zum Beispiel kann schon einmal den Pool an Kandidaten mehr als halbieren.

Keine unnötigen Ablenkungen

Während einige Leute das Büroleben lieben und darin aufgehen, in der Kaffeeküche mit den Kollegen im Detail die letzte Episode vom Dschungelcamp zu besprechen, haben viele andere für diese Art der Ablenkungen wenig übrig. Als Freelancer hat man die Freiheit, sich genau auszusuchen, ob man bei seinen Kunden vor Ort oder doch lieber von zu hause, einem Coworking-Space oder einem eigenen Büro aus arbeiten will.

Einige Kunden erwarten natürlich, dass der Freelancer zumindest einen Teil der Zeit im Büro anwesend ist, aber auch dann kann man sich durch den Status als “Externer” aus den meisten Smalltalk-Runden mit dem Verweis darauf entziehen, daß man ja nach Stunden bezahlt wird.

Auch wenn die Mitarbeiter eines Kunden größtenteils fleißig und konzentriert arbeiten, kann die schiere Anwesenheit im Büro die Produktivität eines Entwicklers stark beeinträchtigen. Der Grund dafür ist eine der schlimmsten Erfindungen der letzten 20 Jahre – das Großraumbüro! Ursprünglich entwickelt, um die Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation der Mitarbeiter zu fördern, ist es vor allem für Entwickler vor allem eines: ein Konzentrations-Killer. Gerade bei komplexen Entwicklungsaufgaben kann eine kurze Ablenkung durch einen Kollegen einen Entwickler 10-15 Minuten kosten, um wieder produktiv zu sein.

Möglicheiten der persönlichen und beruflichem Weiterentwicklung

Wer als festangesteller Entwickler schon einmal frustriert versucht hat, seinen Chef davon zu überzeugen, eine bestimmte Konferenz oder einen Weiterbildungskurs auf Firmenkosten besuchen zu können, wird sich als Freiberufler wohlfühlen. Solche Aktivitäten fallen als Freiberufler nämlich unter den Bereich “Weiterbildung”, sind steuerlich absetzbar und oft sogar ein absolut notwendiger Bestandteil der Akquise von neuen Kunden und Vernetzung mit anderen Freelancern.

Darüber hinaus bedeutet die Arbeit als Freiberufler selbst, dass man sich auf bestimmten Gebieten weiterentwickelt, so z.B. in der Kommunikations- und Kritikfähigkeit, Stressresistenz und Präsentationserfahrung.

Freiheit und Flexibilität

Was viele Selbständige allerdings an ihrer Arbeit am meisten lieben, und was bei dem Wechsel in die Selbständigkeit oft der entscheidende Faktor ist, ist die Freiheit und Flexibilität, die es einem bietet.

Ein Kunde passt dir aus irgendeinem Grund nicht? Niemand zwingt dich, nach dem Projekt weiter für ihn zu arbeiten!

Du findest, du verdienst zu wenig? Bilde dich in einem Bereich fort, in dem man höhere Stundensätze ansetzen kann!

Du arbeitest lieber mit anderen Freiberuflern im Team? Gründet eine Agentur, sucht euch ein Büro und nehmt größere Aufträge an!

Du bist ein Morgenmuffel? Nimm nur Projekte an, in denen du dir deine Arbeitszeit frei einteilen kannst.

Besonders eine Änderung der eigenen Lebensumstände (z.B. Nachwuchs) können es auf einmal sehr attraktiv machen, nicht 40 Stunden die Woche (plus Fahrtzeit) im gleichen Büro verbringen zu müssen.

Fazit

Um es ganz klar zu sagen – natürlich ist die Selbständigkeit nicht für alle Entwickler empfehlenswert. Sie bringt besondere Herausforderungen mit sich und birgt auch einige Risiken, und man muss letztendlich vom Typ her einfach dazu passen.

Wer z.B. die Kontinuität im Arbeitsleben sehr schätzt, keine Lust hat, mehr als einmal im Jahr sein Honorar zu verhandeln, oder die erforderliche Disziplin, die als Selbständiger vonnöten ist, vielleicht nicht dauerhaft aufbringen kann, dem sei zur Festanstellung geraten.

Wer allerdings Lust hat, sich auf das Abenteuer Selbständigkeit einzulassen, kann von den hervorragenden Rahmenbedingungen, die aktuell für Freelance-Entwickler gelten (und voraussichtlich auch in den nächsten Jahren gelten werden) nur profitieren.

Und wenn es nicht klappt – den Weg zurück in die Festanstellung gibt es immer.

Zum Autor
Manuel Meurer ist Entwickler, Amazon-Echo-Fanboy und Gründer von Uplink, dem Netzwerk für professionelle Freelance-Entwickler. Uplink ist eine simple, faire und transparente Alternative zu klassischen IT-Recruitern und Personalvermittlungen.

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Foto (oben): Shutterstock