Gastbeitrag von Frank Westermann

Mit diesen Tricks und Tipps klappt es auch in Übersee

2012 gründete Frank Westermann mit drei Co-Foundern mySugr. Seither ist mySugr zu einer der weltweit größten digitalen Diabetes Management Plattformen gewachsen. Seit 2016 hat das Unternehmen auch eine Dependance in den USA. Westermann weiß, worauf beim Start zu achten ist. 5 Tipps gibt es im Gastbeitrag.
Mit diesen Tricks und Tipps klappt es auch in Übersee
Montag, 20. Februar 2017VonTeam

2012 gründete Frank Westermann mit drei Co-Foundern mySugr in Wien. Heute wie damals will das Start-up die Therapie von Menschen mit Diabetes vereinfachen. Seit Gründung ist mySugr mit knapp einer Million Usern zu einer der weltweit größten digitalen Diabetes Management Plattformen und zu einem über 40-Mitarbeiter starken Unternehmen herangewachsen.

Die Hälfte der registrierten mySugr-User kommen aus den USA. Laut International Diabetes Federation leben circa 44,3 Millionen Diabetiker in den USA und Kanada. Dies Potential und die Innovationskraft der amerikanischen Diabetesfirmen machten Amerika zum interessantesten Markt für das österreichische Unternehmen.

Business in den USA zu machen, empfinde ich als Königsklasse

Seit August 2016 gibt es ein mySugr-US-Büro nördlich von San Diego. Es ist ein Traum für mich als Unternehmer. Denn Business in den USA zu machen empfinde ich nach wie vor als die Königsklasse. Der verbreitete Mythos jedoch, Business in den USA zu machen ginge um ein vieles einfacher und freier als in Österreich oder Deutschland, stimmt jedoch nur zum Teil.

1. Arbeitsvisum – ohne Visum geht nix, ohne Anwalt kein Visum

L1, B1, H1 – viele Abkürzungen, aber welches Visum passt denn nun für mich? Ein Bekannter empfahl uns Sal Savatteri einen Immigration Lawyer von der Ostküste. Das „Startup-Visum“ E2 kam nicht in Frage, da die Mehrheit der Gesellschafter die Nationalität des Firmensitzes, im Falle von mySugr Österreich, haben müssten.

Der Anwalt empfahl das L1-Visum, das Firmen in den USA erlaubt, ausländische Führungskräfte nach Amerika zu entsenden und auf insgesamt fünf Jahre beschränkt ist. Der Antrag ist enorm viel Arbeit und ohne Anwalt fast nicht zu bewältigen.

Unser L1-Antrag war 240 Seiten stark und mit einer „Speed-Fee“ konnte die Bearbeitungszeit von mehreren Monaten auf 15 Tage reduziert werden. Meine Frau, unsere Tochter und ich erhielten das Visum vorerst für ein Jahr.

Gesamtkosten: ca. 10.000 Euro

Tipps:
1. Genug Zeit für den Antrag einplanen. Wir haben 4 Monate dafür gebraucht.
2. Besser Fedex nutzen und das US Postal Service meiden.
3. Das Visum ist Voraussetzung für die Social Security Number, die man hier für alles braucht.

2. Location – Umfeld, Erreichbarkeit, Leistbarkeit

San Francisco und das angrenzende Silicon Valley sind nach wie vor das Gravitationszentrum der Tech-Welt. Allerdings auch bekannt dafür, eine der teuerste Gegenden der USA zu sein. Neben der Frage, ob man sich ein Büro und Mitarbeiter dort leisten kann, sollte man sich auch fragen, welches Umfeld man für sein Business braucht. Im Valley konkurriert man mit den am besten finanzierten und interessantesten Startups der Welt. Der nächste coolere und besser bezahlte Job wartet schon um die nächste Ecke und jeder hofft auf den Anruf von Google oder Facebook.

Die Loyalität unserer Wiener Mitarbeiter wäre dort schwer zu erreichen. Außerdem sind die Gehälter im Valley noch mal höher als im restlichen Kalifornien und um ein vielfaches höher als in Europa. Man darf sich von den hohen Gehältern allerdings nicht blenden lassen. Das Leben ist so teuer, dass am Ende wenig vom großen Paycheck bleibt.

Als kleine Faustformel teile ich Finanzierungsrunden von Startups aus dem Valley immer durch drei um ein Gefühl dafür zu bekommen wie weit die Unternehmen mit ihrem Geld kommen. Zwei Drittel gehen meiner Meinung nach für Gehälter und Büromieten drauf.

Aus Kostengründen, aber auch weil in der Gegend um San Diego ein Diabetes Tech Cluster entstanden ist, haben wir uns gegen das Valley entschieden (Andrew Gazdecki, Founder und CEO von bizness apps, beschreibt in seinem Artikel “Why I moved my startup from San Francisco to San Diego” ausführlich seine Entscheidung, aus dem Silicon Valley nach San Diego zu ziehen). Abgesehen davon finde ich die Lebensqualität in San Diego wesentlich höher.

Dennoch nehme ich fast wöchentlich den kurzen Flug nach San Francisco oder ins Silicon Valley, um mich mit Investoren oder Kooperationspartnern zu treffen.

Eine weitere wichtige Überlegung bei der Standortwahl ist die Erreichbarkeit nach und von Europa. Zwischen San Diego und dem mySugr Headoffice in Wien liegen eine 20-stündige Reise und ein Zeitunterschied von neun Stunden. Mein Tag beginnt daher im Schnitt um fünf Uhr morgens mit den ersten Telefonaten und gleitet ab zehn Uhr in den US-Arbeitstag. Das gemeinsame Zeitfenster mit Europa während der „normalen“ Bürozeiten ist sehr eingeschränkt und die Westküste ist hier klar im Nachteil gegenüber einem Standort an der Ostküste.

Tipps:
1. Ein Co-Working Space bietet Infrastruktur und soziale Anknüpfungspunkte für kleines Geld.
2. Lieber eine Location mehr besichtigen und auch die Lebensqualität des Ortes berücksichtigen. San Diego liegt im Vergleich zu San Francisco oder Los Angeles ein bisschen abseits. Sonne, Strand und die freundlichen Menschen steigern meine Produktivität und Motivation aber um ein Vielfaches.

3. Firmengründung – günstig und schnell

Voraussetzung um lokal Fuß zu fassen aber auch z.B. für den Visa Antrag ist eine US Gesellschaft. Die Gründung der US-Tochtergesellschaft haben wir relativ schnell und online über unseren Wiener Anwalt in Delaware gemacht. Da es für jeden der 50 Bundesstaaten eigene Gesetze gibt, mussten wir die Firma über einen weiteren Anwalt auch in Kalifornien registrieren. Seit 2016 gibt es nun also die mySugr Inc. mit Sitz in Delaware und Büro in Kalifornien. Rückblickend wäre es einfacher gewesen die mySugr Inc. sofort in Kalifornien zu gründen.

Im Vergleich zu Österreich oder Deutschland ist der Formalakt der Firmengründung wesentlich unkomplizierter und günstiger. Ich fand aber die begleitenden rechtlichen Formalitäten wesentlich komplizierter und umfangreicher als bei uns.

Gesamtkosten: ca. 2.300 Euro

Tipps:
1. Gleich dort gründen, wo auch der tatsächliche Firmensitz liegt.
2. Vor der Firmengründung mit einem US-Steuerberater sprechen.

4. Anwälte, Versicherungen, Banken und Steuern

Die Gefahr in den USA verklagt zu werden ist groß. Vor allem im streng regulierten Umfeld von mySugr. Als zertifiziertes Medizinprodukt müssen mySugr und ich persönlich deutlich höher abgesichert sein als in Europa. Deshalb ist es wirklich wichtig, dass bei jedem Schritt (mindestens) ein Anwalt dabei ist.

In vielen Bereichen sind die USA wesentlich strikter reguliert als die EU. Das gilt im Pharma und Medtech Bereich aber auch z.B. für Banken.

Da die mySugr Inc. eine 100% Tochtergesellschaft der mySugr GmbH ist, war es schwer für uns eine Bank zu finden, die für uns ein Konto eröffnen wollte – und das obwohl wir ein gut finanziertes Startup mit renommierten Investoren und funktionierendem US-Businessmodell sind.
Der Grund dafür liegt in den hohen regulatorischen Anforderungen der Bank für Konten von Unternehmen, die zu 100% Ausländern gehören. Für die Banken ist es aufwändig solche Konten zu führen. Wir wurden von zwei Banken abgelehnt. Erst eine persönliche Empfehlung von unserem Clinical Research Partner ProSciento bei einer Bank führte dazu, dass wir endlich ein Konto eröffnen durften.

In Österreich und Deutschland beschweren wir uns über hohe Steuern, vergessen aber gerne, dass der Staat auch die Krankenversorgung oder Pensionsvorsorge übernimmt. Auch Kindergärten sind in Österreich vielerorts kostenlos. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind im Gegensatz zu Kalifornien nicht nur vorhanden, sie werden staatlich subventioniert und sind somit leistbar für jedermann.

Bei einem Einkommen von 80.000 Euro Brutto jährlich würde man in Österreich 22% Einkommensteuern bezahlen, in Kalifornien ca. 38%. Das sind die höchsten Einkommenssteuern in ganz Amerika. Denn nicht nur der US Staat, sondern auch der Bundesstaat erheben Steuern. Hinzu kommen Kosten für Krankenversicherung und Pensionsvorsorge die privat zu tragen sind.

Tipps:
1. Anwalt, Steuerberater (Tax Advisor) und Buchhalter (Certified Public Accountant) gehören zur Grundausstattung eines Unternehmens in den USA. Der Buchhalter kann auch die Lohnverrechnung übernehmen.
2. Wenn man 122 Tage pro Jahr in den USA verbracht hat, ist man US-Resident und voll steuerpflichtig in den USA. Viel Zeit in Europa zu verbringen lohnt sich – zumindest steuerlich.

5. Kulturelle Unterschiede – oberflächlich oder höflich?

Viele Europäer interpretieren die Offenheit und Höflichkeit der Amerikaner als Oberflächlichkeit. Mir ist eine freundliche Oberflächlichkeit aber wesentlich lieber als als tiefgründige Unfreundlichkeit.
Amerikaner und insbesondere Kalifornier strahlen wirklich eine positive Grundstimmung aus, die ansteckend wirkt. Man wird eigentlich immer nett und in guter Stimmung empfangen.

Aber es gibt auch ein paar Fettnäpfchen. Amerikaner kommunizieren zum Beispiel nicht so direkt wie wir und interpretieren unsere direkt Art zu als persönlichen Angriff.

Political correctness wird ebenfalls groß geschrieben. Der Claim von mySugr „we make diabetes suck less“ ist für einige US-Partner schon viel zu offensiv. Wir sollen Diabetiker nicht „diabetics“ nennen, sondern „people with diabetes“. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, macht das Miteinander aber eigentlich eher angenehm.
Große Firmen arbeiten hier wie dort langsamer als Startups (das dürfte man in den USA aber nie sagen). US Konzerne sind aus meiner Erfahrung noch langsamer, weil jeder Schritt erst noch von zig Anwälten abgesegnet werden muss.

Privat passiert es immer wieder, dass Bekanntschaften im Nichts verlaufen. Man tauscht Telefonnummern aus, schreibt sich SMS, aber ein weiteres Treffen kommt nicht zustande.

Mein Fazit:
Nach den ersten vier Monate kann ich sagen: Die Hürden des Alltags sind gerade am Anfang groß. Trotzdem habe ich den Schritt, nach Kalifornien zu gehen noch keine Sekunde lang bereut.

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