Jan-Gisbert Schultze von Acton Capital

“Nicht jeder Inkubator oder Accelerator wird überleben”

"Gründer sollten prüfen, welchen realen Mehrwert ein Corporate mitbringt und wie sich das mit den eigenen Zielen und Vorstellungen unabhängiger Investoren verträgt. Gleichzeitig sollten sie sich bewusst sein, dass Corporate VC auch ein 'sweet poison' ist", sagt Jan-Gisbert Schultze von Acton Capital.
“Nicht jeder Inkubator oder Accelerator wird überleben”
Dienstag, 10. Januar 2017VonChristina Cassala

Start-ups benötigen ab einem gewissen Zeitpunkt der Gründung Geld. Viele Unternehmer suchen in diesem Moment den Schulterschluss zu Corporates, den neben einer finanziellen Unterstützung bieten diese auch Netzwerk und Know-how. Auch für die Corporates ist die Zusammenarbeit interessant. Für beide Seiten muss das aber nicht immer die beste Entscheidung sein. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Jan-Gisbert Schultze von Acton Capital über Innovation, Krisen und Starthilfen.

Corporates und Digitalisierung – das sind zwei Schlagworte, die immer häufiger in einem Atemzug genannt werden. Woher kommt diese Entwicklung?
Für Corporates stellt sich längst nicht mehr die Frage ob, sondern wie man sich im Hinblick auf die digitale Transformation an neue Markt- und Kundenbedürfnisse anpasst. Das beginnt mit der Veränderung von Produkten und reicht bis zu einem Neu-Denken von Vermarktung und Distributionskanälen. Die Wirtschaft steht vor der Herausforderung, mit immer schnelleren Entwicklungs- und Innovationszyklen mitzuhalten. Gründer verändern die Welt meistens, indem sie ihr Produkt viel stärker vom Endkunden her entwickeln. Sie graben nicht nur langsam am Kerngeschäft von Konzernen, sondern können diese regelrecht überrollen. Wenn die bestehenden Unternehmen sich nicht verändern und für Innovation öffnen, dann laufen sie Gefahr, von jungen Unternehmen abgelöst zu werden.

Start-ups gelten als Innovationstreiber, weshalb Corporates immer intensiver den Markt scannen. Wonach suchen Corporates und finden sie auch, wonach sie suchen?
Vielen Unternehmen fehlt noch immer eine echte Digitalstrategie. Sie müssen aufpassen, dass ihr Geschäft nicht durch Startups angegriffen wird. Entsprechend ist der Blick nach außen wichtig. Die Zusammenarbeit mit Startups spielt für Corporates oft eine zentrale Rolle, wenn es um die Entwicklung neuer Technologien oder Produkte geht. Eine Möglichkeit ist es, diese Startups zu fördern, in sie zu investieren oder diese zu akquirieren, um Zugang zu neuen Produkten, Geschäftsmodellen oder Teams zu gewinnen. Immer wieder versuchen Konzerne auch selbst, eigene Startup-Units zu gründen, und scheitern damit regelmäßig. Neben diesen direkten Maßnahmen können Corporates auch indirekt in Startups investieren, indem sie sich an bestehenden Venture Capital Fonds beteiligen, um Einblicke in den Markt zu erhalten. Die beiden Welten bedingen einander eben nicht und der Reflex „das können wir selbst besser“ trügt oft.

Inkubatoren und Acceleratoren von großen Corporates schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Wie ist Ihre Einschätzung: Wie viele davon verträgt der Markt und wird die Situation so bleiben, oder wird es zeitnah zu einer Konsolidierung kommen?
Eine ähnliche Entwicklung gab es auch zu Zeites des Dotcom-Booms schon. Damals sind viele neue Inkubatoren und Acceleratoren entstanden und im Zuge der Krise ebenso schnell wieder verschwunden. Ich erwarte auch jetzt wieder einen Abschwung, den nicht jeder Inkubator oder Accelerator überleben wird. Viele Konzerne sind strukturell und kulturell einfach nicht auf die Zusammenarbeit mit Startups vorbereitet. Positiv fällt auf, dass es mittlerweile einige Programme gibt, die anders arbeiten als früher: Diese stellen zwar Infrastruktur bereit und bieten Kontakte, nehmen aber im Gegenzug kein Equity. Die Modelle von Microsoft Ventures oder Telefonica mit Wayra halte ich für begrüßenswert, weil sie gute Starthilfe geben, ohne mit Gründern oder rein finanziell motivierten Investoren wie Angels oder VCs in Konflikt zu stehen.

Auch Corporate Venture Capital steht vermehrt zur Verfügung. Ist das für die Innovationskraft der Start-ups sinnvoll und wird dies den Technologiestandort voranbringen oder setzt die gegenteilige Entwicklung ein, weil der „Run“ auf die Start-ups so groß ist, dass auch weniger erfolgreiche Start-ups Kapitalzugang haben?
Grundsätzlich ist nichts gegen Corporate Venture Capital einzuwenden. Dennoch zeigt meine Erfahrung drei wesentliche Probleme: Erstens verfügen nur wenige Konzerne über die Investment-Kultur und Langfristperspektive, in der ein Corporate Venture Capital Fonds erfolgreich agieren kann. Zweitens fehlen häufig fähige und erfahrene Teams, die Venture Investments beherrschen. Und drittens haben Corporate Investment Aktivitäten im Spannungsfeld zwischen strategischen Interessen und Renditeabsicht oft leider nicht die nötigen Freiheitsgrade, sprich: passende Governance, um langfristig am Markt zu bestehen. Eine Alternative für Corporates ist das Investieren in bestehende VC Fonds. Auf diese Art und Weise können sie einen breiten Überblick und Nähe zu Startups gewinnen ohne operative Risiken einzugehen. Bei uns ist beispielsweise eine der größten deutschen Banken investiert. Wir tauschen uns regelmäßig zu Fintech-Startups und aktuellen Entwicklungen im Markt aus. Für Startups ist Corporate Venture Capital sinnvoll, wenn es zu den gleichen Konditionen investiert wird, wie es ein unabhängiger Fonds macht. Die Gründer dürfen nicht durch die strategischen Entscheidungen eines Konzerninvestors in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Schwierig wird es, wenn in gute Teams und Ideen investiert wird und diese dann durch schwerfällige Entscheidungsprozesse ausgebremst oder durch strategische Überlegungen gefährdet werden. Wir sprechen über die Disruption der gesamten deutschen Industrie- und Unternehmenslandschaft durch die Digitalisierung. Deswegen kann von zu viel Kapital momentan nicht die Rede sein – an was es fehlt, ist eher das Know-How und der richtige Wille.

Auch Start-ups suchen die Nähe zu Corporates. Aber wie sinnvoll ist das für junge Unternehmer?
Das ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich zu beantworten. Im Fintech-Sektor kann es zum Beispiel durchaus Sinn machen, Banken als Kooperationspartner zu sehen und nicht als Gegenspieler. In Großbritannien vergeben Fintechs wie iwoca längst in Kooperation mit etablierten Banken Kredite an Kunden, die von Banken nicht rentabel bedient werden können. Beide Seiten profitieren: Die Banken müssen ihre Kunden nicht abweisen und die Fintechs profitieren von den etablierten Distributionskanälen der Banken. Ein anderes positives Beispiel sind Media for Equity Deals. Das haben ProSiebenSat.1 oder German Media Pool schon sehr gut gemacht und Modelle unterstützt, die von breiter TV-Aufmerksamkeit leben. Grundsätzlich besteht natürlich immer das Risiko, dass große Unternehmen längerfristige Ziele verfolgen, die mit den Zielen der Gründer im Konflikt stehen.

Was müssen junge Unternehmer wissen, wenn sie mit einem Corporate gemeinsam gehen?
Gründer sollten prüfen, welchen realen Mehrwert ein Corporate mitbringt und wie sich das mit den eigenen Zielen und Vorstellungen unabhängiger Investoren verträgt. Gleichzeitig sollten sie sich bewusst sein, dass Corporate VC auch ein „sweet poison“ ist, das ein – negatives – Signal für andere, unabhängige Investoren sein kann und Exitperspektiven und -bewertungen einengt. Ein weiteres Problem ist, dass Corporate VCs meist keine lange Investment-Historie haben, und sich Konzernstrategien häufig verändern. VC Fonds dagegen laufen meist über zehn oder mehr Jahre. Wenn Investmententscheidungen bei Corporate VCs von Quartalsberichten des Mutterkonzerns und der Lage in anderen Konzernteilen abhängig sind, dann ist das für Gründer nicht verlässlich. Hier sind etablierte VCs klar im Vorteil und Gründer sollten sich genau ansehen, wie sich Investoren in vielen anderen Situationen in der Vergangenheit verhalten haben. Für die Ehe zwischen Investor und Gründer gilt: „In guten wie in schlechten Zeiten“.

Wann lohnt sich für beide Seiten eine Kooperation, wann nicht?
Die Pharma-Branche ist ein gutes Beispiel für sinnvolle Kooperation. Die Produkt-Entwicklung bedarf Finanzierung in großer Höhe. Dieses Thema können Startups nicht alleine stemmen. Grundsätzlich muss sich jedes Startup fragen, wie weit die strategischen Ziele eines Unternehmens mit den eigenen kollidieren. Startups sollten ihre Exit-Pläne immer selbst im Griff behalten und sich das gegebenenfalls auch vertraglich zusichern lassen. Wir raten Gründern: Haltet Kontakt zu Corporates. Wenn sie heute nicht bei euch investieren können, dann werden sie euch über kurz oder lang kaufen.

Zur Person:
Jan-Gisbert Schultze ist Managing Partner bei Acton Capital Partners. Jan-Gisbert verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung als Manager und Investor. Acton Capital Partners ist ein Wachstumsinvestor aus München für Internet-Unternehmen. Acton investiert in Europa und Nordamerika und hat seit 1999 in über 65 Unternehmen investiert. Zu den bekanntesten Beteiligungen zählen Etsy, HolidayCheck, mytheresa.com, Windeln.de und zooplus.

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Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.