Startup Challenges

Das Experiment Board hilft: Findet Euer Produkt überhaupt Kunden?

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Experiment Board, einem Tool für Gründer und Gründerteams in frühen Gründungsphasen. Dieses Tool ist insbesondere dafür gedacht, wenn man von Anfang an die Kunden in die Entwicklung eines neuen Produkts miteinbezieht:
Das Experiment Board hilft: Findet Euer Produkt überhaupt Kunden?
Dienstag, 23. Februar 2016VonElke Fleing
  • Man hat eine Lösung im Kopf, ist sich aber unsicher, wer genau deren Kunden sind.
  • Man hat mit dem Product Field angefangen zu arbeiten und willt jetzt seine Einsichten mit der Zielgruppe verproben.
  • Man hat eine Zielgruppe und einen Kontext im Kopf und will herausfinden, ob diese wirklich relevante Probleme zu lösen hat.

Bei all diesen Herausforderungen ist das Experiment Board das genau richtige Tool: Mit ihm können der Reihe nach alle Annahmen verprobt werden, die einer Geschäftsidee zugrunde liegen.

Von MVPs und Mumpitz

Als Gründer habe ich meine Jungfräulichkeit bereits verloren: Eine meiner Gründungen ist gescheitert. Wir hatten uns 2007 vorgenommen, Lernen zu revolutionieren. Wir wollten Studenten raus aus dem Vorlesungssaal an die Orte führen, wo sie das erlernte Wissen in Anwendung sehen konnten. In Summe war das nicht nur eLearning, sondern mobiles eLearning.

Unsere Endanwender, die Studenten, fanden’s richtig cool, unsere Kunden, die Unis, hatten haufenweise Bedenken. Letzten Endes lösten wir kein Problem für unsere Kunden, sondern schufen nur neue. Wir hatten kein Mimimum Viable Product (MVP), sondern eher ein megamaximum unviable middling product in theoretical zone (MUMPITZ), aber das begriff ich erst, als ich kurze Zeit später über Lean Startup stolperte.

Alles nur Annahmen: Antworten findet man nur draußen

Lean Startup brauche ich hier (hoffentlich) nicht vorstellen. Aber weil es dafür auch nirgendwo eine richtige Definition gibt, fasse ich mal zusammen, was den Innovationsprozess ‘Lean Startup’ im Allgemeinen und jede Startup-Idee im Speziellen für mich beschreibt:

  • Alles, was Du über Deine coole Idee weißt, sind Annahmen
  • Diese Annahmen müssen der Reihe nach validiert werden (angefangen mit der riskantesten Annahme).
  • Validieren kannst Du nichts am Schreibtisch, dafür musst Du raus aus Deinem Gebäude (Get out of Building: GOOB).
  • Validierung und das Erarbeiten der möglichen Lösung erfolgen am besten agil und lernorientiert

Hätten wir das alles so gemacht, dann hätten wir schneller und für weniger Geld herausgefunden, wo es bei unserer Idee hapert. Dann hätten wir noch Geld und Zeit übrig gehabt, um unsere Idee an die Realität anzupassen oder ein viel wichtigeres Problem zu lösen. Haben wir aber nicht: Wir sind gescheitert.

Heutige Gründer haben es viel besser als ich damals! Lean Startup ist weithin bekannt. Wenn ihr nicht schon wisst, dass eure gesamte Idee aus nichts weiter als Annahmen besteht, dann lest ihr das eben genau hier. Und ihr wisst nun auch, wie ihr diese Annahmen validieren könnt: indem ihr euren Schreibtisch seinem Schreibtisch-Alltag überlasst und da draußen mit euren potenziellen Kunden redet!

Annahmen validieren mit dem Experiment Board

In diesem Artikel stelle ich ein Tool vor, dass euch genau dabei hilft: das von Trevor Owens und Nancy Ng im Rahmen ihrer bei den Lean Startup Machines gesammelten Erfahrungen entwickelte Experiment Board , dessen frühere Version Validation Board hieß.

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Und hier ist ein kleines Tutorial mit GraceNg herself:

Alles, was ihr über eure Idee wisst, sind Annahmen. Das fängt an bei der Produkt-Dreifaltigkeit von Kunde-Problem-Lösung. Und es setzt sich fort mit all den Infos, die ihr idealerweise gleich zu Anfang in euren Plan A des Business Model Canvas eingetragen habt: alles nur Annahmen, die jetzt validiert werden müssen.

Wir validieren Annahmen am besten mit Experimenten, die unsere Annahmen entweder bestätigen oder widerlegen. Diese Experimente führt ihr am besten im Team durch. Das Experiment Board hilft euch nicht nur, Überblick über alle laufenden Experimente zu bewahren, sondern vereinfacht vor allem das gemeinsame Verständnis im Team.

Hypothesen formulieren

Experimente beginnen mit einer Hypothese. Eine Hypothese ist die Formulierung einer Annahme Deiner Idee, die Du testen kannst.
Warte mal kurz, werden jetzt viele sagen. Mit welcher Annahme soll ich denn anfangen? Lean Startup sagt dazu: mit der riskantesten. Aber welche ist die riskanteste?

Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Riskante Annahmen erkennst Du aber daran, dass Deine Idee keinen Sinn mehr hat, wenn diese Annahme nicht zutrifft. Somit sind die besten Kandidaten für riskante Annahmen erstmal bei Kunde-Problem-Lösung zu suchen.
Erster Schritt: Brainstorming bei Kunde-Problem-Lösung

Und genau mit diesen Punkten beschäftigt sich das Experiment Board auf seiner linken Seite, dem Einstiegsbereich beim Experiment Board:

  • Wer ist Dein Kunde?
  • Was ist sein Problem?
  • Wie sieht eine Lösung dafür aus?

Bei dem Kunden sei so spezifisch wie möglich. Frau ist unspezifisch, davon gibt es mehr als 3,5 Mrd. auf unserem Planeten. Welche davon meint ihr genau?
Wie wär’s mit: Mountainbike-Fahrerin, 35 Jahre alt, Linkshänderin, aus Bielefeld, zwei Kinder, akademisch gebildet, wohnt in ihrem eigenen Haus, ist schlank, isst aber trotzdem gerne Erdbeer-Marmelade und liebt den Duft von Lilien in einer frisch gewischten Wohnung? Das ist vielleicht etwas zu spezifisch, aber deutlich besser. Zu spezifisch ist besser als zu unspezifisch.

Es geht darum, die Kunden wiederauffindbar zu beschreiben (auch inkl. der Kanäle, wie Du sie findest). Und dann diese Kunden aufzusuchen, zu befragen und herauszufinden, wie genau im beabsichtigten Kontext ihr Problem aussieht. Wir suchen den Kunde/Problem-Fit: eine kleine, wieder auffindbare Gruppe von Menschen, für die dieses Problem sehr wichtig und lästig ist.

Anfangs lassen wir die Lösung dabei aus, weil wir erst diesen Kunde/Problem-Fit erreichen wollen, bevor wir Lösungen suchen. Irgendein Gründer aus dem Lean Startup-Universum sagte mal:

Fall in love with the problem, not the solution!
Und genau darum geht es: zu verstehen, welches Problem unsere Zielgruppe denn nun eigentlich genau hat. Ihr beginnt also auf dem Experiment Board oben links und listet auf, wer eure Zielgruppe sein soll, am besten jeder im Team für sich. Die Ergebnisse tragt ihr dann zusammen und stimmt ab, z.B. in Form einer Dotmocracy , mit welcher spezifischen Zielgruppe ihr anfangt. Diese schreibst Du in der ersten Spalte ganz oben hin.

Dasselbe macht ihr danach, oder eventuell auch beides gleichzeitig, mit den vermuteten Problemen eurer Zielgruppe: einzeln brainstormen, zusammentragen, abstimmen, welches vermutete Problem ihr zuerst verproben wollt. Das Problem kommt in die zweite Zeile der ersten Spalte.
Diese Kombination von Kunde und Problem ist der Baustoff eurer ersten Hypothese. Diese muss noch messbar ausformuliert werden. Tipps dafür findet ihr links unten auf dem Experiment Board:

  • Kunde/Problem-Hypothese: Wir glauben, unsere Kunden haben ein Problem, das Ziel zu erreichen.
  • Damit unsere Hypothese wahr ist, muss folgende Annahme wahr sein.
  • Die einfachste Art, diese Annahme zu testen, ist …

Die erste Lösung bleibt wie gesagt grau, und je nachdem, wie gut es läuft, sogar weitere Lösungsfelder – solange, wie ihr braucht, um alle Annahmen hinsichtlich Kunden und Probleme zu prüfen. Wir wollen uns also anfangs auf den Kunde/Problem-Fit fokussieren und ihn validieren. Wir wollen die Kunden verstehen und ihr Problem.

Das Problem
Apropos Problem. Ein kurzer Ausflug ist nötig in die Arten von Problemen, auf die wir stossen können. Es gibt die folgenden Problem-Einstufungen:

  • latent: die Kundin hat das Problem, weiß das aber gar nicht
  • passiv: die Kundin hat das Problem, aber es ist ihr egal
  • aktiv: die Kundin hat das Problem und sucht aktiv nach einer Lösung
  • Lösungsvision: die Kundin hat das Problem, hat nach einer Lösung gesucht und nix gefunden und arbeitet nun bereits an einer eigenen Lösung

Die latenten Probleme dieser Welt können Startups nicht lösen. Dafür musst Du Deine Kunden unterrichten, dass sie dieses latente Problem haben und lösen sollten. Erst dann kannst Du ihnen die Lösung verkaufen. Startups können das nicht, aber Steve Jobs konnte das, wie z.B. beim iPad.
Auch von passiven Problem solltet ihr die Finger lassen. Die Kunden suchen nicht nach einer Lösung, also ist es schwer, ihnen diese Lösung zu verkaufen.
Ihr sucht Kunden mit aktiven Problemen. Denen könnt ihr sofort eine Lösung verkaufen. Und weil die Kunden das Problem angehen, werden sie von eurer Lösung berichten und die frohe Kunde ins Land tragen, dass es euch und eure Lösung für ihr aktives Problem gibt. Genau diese Kunden sucht ihr als Startup.

Weiter im Experiment Board: Annahmen
Wenn ihr euch im Team auf Kunde und Problem geeinigt habt, überspringt ihr die Lösung und listet die Annahmen auf, dieser Kombination von Kunde und Problem zugrunde liegen. Dann stimmt ihr ab, was ihr für die riskanteste Annahme haltet und tragt diese in die erste Spalte des Experiment Board ein. Die riskanteste Annahme erkennt man daran, dass sie zugleich wichtig fürs Geschäftsmodell ist, aber es liegen auch keine oder kaum Daten vor.

Die anderen Annahmen behaltet ihr aber, weil ihr die nach der riskantesten Annahme testen werdet. Dafür bleiben dann die oberen Punkte gleich, bis alle Annahmen getestet sind.

Annahmen testen: Get out of the Building!

Für das Testen von Hypothesen haben wir drei Möglichkeiten: Interview, Pre-Sell, Concierge-MVP.

Pre-Sell bedeutet, Du verkaufst dem Kunden Deine Lösung, sagst aber, dass sie noch nicht fertig ist (aber so-und-so aussehen soll) und er/sie erst zahlen muss, wenn die Lösung fertig ist.

Concierge-MVP bedeutet, dass Du so tust, als ob die Lösung bereits fertig ist, tatsächlich Deine Kunden aber manuell bedienst, also händisch die Lösung lieferst, die später das fertige Produkt automatisch liefern soll. In einem späteren Artikel dieser Serie über Prototyping wird das Concierge-MVP näher erläutert werden.

Pre-Sell und Concierge-MVP beziehen sich auf Lösungen, also passen die hier kaum. Wir fangen also mit Interviews an. Richtig gelesen: wir fangen mit Interviews an: Du musst raus und mit Leuten sprechen.

Zum Thema Kunden-Interviews hier nur einige kurze Tipps aus Never Ask What They Want?—?3 Better Questions to Ask in User Interviews , im nächsten Artikel dieser Serie wird ausführlicher darauf eingegangen:

Meistens reichen 5 Interviews mit Personen der Zielgruppe, um fast alles zu erfahren. Am besten führt man die Interviews zu zweit: Ein Interviewer und einer, der dokumentiert.

Ganz wichtig: Die Interviewpartner reden lassen und zuhören!

‘Was willst Du?’ ist eine doofe Frage
Viel besser geeignet sind die folgenden drei Fragen:

  • Was willst Du erreichen?
  • Wie machst Du das derzeit?
  • Was könnte besser dabei sein?

Bevor Ihr nun mit Interviews verprobt, ob eure Zielgruppe das vermutete Problem hat, legt ihr noch messbar fest, wie die Hypothese erfolgreich getestet wird, z.B. ich rede mit 20 Leuten aus meiner Zielgruppe und acht von ihnen sagen, dass sie dieses Problem auch wirklich haben. Und dann? Raus aus der Hütte und Leute befragen!

Nach den Interviews

Wenn ihr dann wieder zurück seid, tragt ihr eure Ergebnisse zusammen und vergleicht eure Erkenntnisse. Die Daten sammelt ihr, die Schlüssel-Erkenntnis tragt ihr im Experiment Board in der 1. Spalte unter dem Strich ein.

Und dann gibt es zwei mögliche Situationen: Ihr habt die Hypothese bestätigt oder widerlegt.

Wenn Deine Ergebnisse nicht den Erfolgskriterien entsprechen, veränderst Du einen Aspekt Deiner Ausgangshypothese: Kunde oder Problem. Das nennt man einen Pivot und Du fängst sozusagen von vorne an, weil Deine ursprüngliche Idee sich nicht validieren ließ. Dafür könnt ihr dasselbe Board nehmen oder ein neues – und das alte aufheben zu Dokumentationszwecken.

Ihr haltet an eurer Idee fest, wenn eure Erfolgskriterien erreicht wurden, und fahrt mit der nächstriskanten Annahme fort. Das nennt man Perseveration, laut Wikipedia krankhaftes Beharren. Ihr geht in die zweite Spalte und fahrt fort, alle Annahmen rund um Kunde/Problem zu testen und später dann auch Lösungen dafür.

Ich habe schon eine Lösung – was tun?!

Die meisten Gründer, die ich kenne und die in meine Workshops und Vorträge kommen, fangen mit der Lösung an. Das muss aber genauso verprobt werden. Wie Ywan van Loon ausführt:

  • Jeder Kunde hat ein Problem
  • Jedes Problem hat eine Lösung
  • Nicht jede Lösung aber hat ein Problem
  • Nicht jedes Problem hat einen Kunden

Lösungen ohne Probleme erinnern mich an Drückerkolonnen. Wollt ihr so euer Produkt vertreiben?

So oder so müsst ihr also, wenn ihr bei der Lösung anfangt, verproben, welche Zielgruppe ein lösenswertes, aktives Problem hat, für das eure Lösung passt. Und auch wenn das klappen kann: Seid zumindest die ganze Zeit so offen und ehrlich zu euch, dass ihr gegebenenfalls von eurer Lösung ablasst, wenn ihr während eurer Interviews über lösenswertere Probleme stolpert.

Und dann immer so weiter
So lauft ihr durch die einzelnen Spalten des Experiment Boards, bis ihr alle Annahmen verprobt habt. Nach einer Weile seid ihr mit allen Annahmen zu Kunde und Problem durch, dann habt ihr den Kunde/Problem-Fit erreicht.

Dann könnt ihr euch Lösungen für das lösenswerteste Problem ausdenken, das ihr identifiziert habt. Dann stellt ihr Annahmen für den Erfolg der Lösung auf und verprobt die mit dem Experiment Board. Nach einigen Iterationsschritten und Änderungen eurer Lösung etc. werdet ihr alle Annahmen verprobt haben. Dann seid ihr beim Problem/Lösungs-Fit angekommen.

Zu diesem Zeitpunkt kennt ihre eure Kunden sehr gut, habt ihr Problem verstanden und sogar bereits eine Lösung entwickelt, die von den Kunden als Lösung des Problems empfunden wird. Beim Business Model seid ihr dann wahrscheinlich auch schon über Plan A hinaus. Auch dort muss alles verprobt werden.

Ihr seid dann kurz davor, dass euer Produkt erfolgreich am Markt starten kann. Der Weg dorthin führt über die Verprobung aller eurer Annahmen durch Interviews mit euren Kunden. Und bei diesen wichtigen Schritten hilft euch das Experiment Board.

Ich wäre damals froh gewesen, eins gehabt zu haben.

Zur Person
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Gregor Groß kam 1973 zur Welt, kurze Zeit nach dem Tode Bruce Lees. Ob es dabei wirklich zu einer Seelenwanderung kam, ist bis heute ungeklärt. Seitdem interessiert sich Gregor für Lean Startup, Produktivität und die Zukunft von Mensch und Maschine. Darüber und über einiges mehr bloggt er auf Denkpass.de und hält auch Workshops und Vorträge dazu.
Ansonsten versucht Gregor, tagsüber in einer seiner Firmen: alpha-board macht Elektronik-Design und Fertigungsservice, Lieblingskaro Kinderzimmer-Ausstattung, Bettwäsche und Spielzeug im Karo-Look- möglichst viel zu lächeln und dabei kompetent zu wirken, prokrastiniert am liebsten mit Büchern und noch mehr Büchern und bildet sich Gottweißwas auf seinen Risotto ein. Sonntagmorgens, wenn ihn seine Söhne um 5:32 Uhr unsanft wecken, wünscht er sich ein Zeitmanagement, das ihm Zeit zum Schlafen verschafft.

Bisher erschienen in der Serie Startup Challenges:

Ohne die richtige Motivation ist alles nichts

Kreativität: So kommt man auf richtig gute Ideen

Product Thinking mit dem Product Field – so geht es!

Product Field: So funktioniert die Validierung

Rockt eure Produkt-Optimierung mit dem Product Field

Elke Fleing

Elke Fleing aus Hamburg liefert Texte aller Art, redaktionellen Content und Kommunikations-Konzepte. Sie gibt Seminare, hält Vorträge und coacht Unternehmen. Bei deutsche-startups.de widmet sie sich vor allem Themen und Tools, die der Erfolgs-Maximierung von Unternehmen dienen.