Offline! “Uns ist mittendrin das Mehl ausgegangen” – das Ende von Kazzong

Über das Scheitern des eigenen Unternehmens zu sprechen ist nicht einfach. Zahlreiche Gründer, die in den vergangenen Jahren gescheitert sind, haben wir angefragt – aber nur wenige wollten uns überhaupt Rede und Antwort […]

Über das Scheitern des eigenen Unternehmens zu sprechen ist nicht einfach. Zahlreiche Gründer, die in den vergangenen Jahren gescheitert sind, haben wir angefragt – aber nur wenige wollten uns überhaupt Rede und Antwort stehen. Nur drei Gründer haben uns begeistert zugesagt, über dieses persönliche Thema zu sprechen. Damit wollen sie dazu beitragen, das Thema Scheitern von all den negativen und schambeladenen Assoziationen zu befreien, die ihm in Deutschland noch immer anhaften. Matthias Riedl (Kazzong), Marius Neumann (Lama Games) und Daniel Thomaser (want2do) berichten in unserer neuen Reihe Offline! von einer sehr schwierigen Zeit in ihrem Gründerleben.

“Uns ist mittendrin das Mehl ausgegangen” – das Ende von Kazzong

“Hoffnung heißt nicht zu hoffen, dass etwas gut ausgeht. Hoffnung heißt zu hoffen, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.” Dieses Zitat, das Matthias Riedl von einem “christlichen Prediger oder so” aufgeschnappt hat, ist ihm zum Leitsatz geworden. Riedl gründete zusammen mit Martin Simma die Musikdownload-Plattform Kazzong. Ihr Start-up führten sie leider nur knapp eineinhalb Jahre lang, dann mussten sie Insolvenz anmelden. Ein Investor war abgesprungen.

Die Idee von Kazzong war vielversprechend: Riedl und Simma hatten erkannt, dass Social Communities aufgrund ihres breiten Nutzerspektrums die perfekte Plattform für Musikdownloads sind. Die beiden Schwaben entwickelten einen Dienst, mit dem Künstler ihre Musik auf Websites wie MySpace zum Verkauf anbieten konnten. Den ersten Versuch machte Kazzong mit einigen freien Künstlern, die sich über die neue Verdienstmöglichkeit sehr begeistert zeigten. “Schnell waren wir auf den Startseiten sämtlicher Künstler verlinkt”, erzählt Riedl. Die beiden Jungunternehmer unterschrieben Verträge mit 20 Social Networks. Trotz des rasanten Aufstiegs zog sich im Herbst des vergangenen Jahres der Investor plötzlich zurück. Riedl zuckt mit den Schultern: “Es war halt die Medien-Hochphase der Finanzkrise.” Als gebrochener Trauerkloß ging Riedl jedoch nicht aus dem Insolvenzverfahren hervor, im Gegenteil. Nach der Insolvenz klärte Riedl die Rechte, verkaufte die Software und lizenzierte die Widgets, an denen sie zuletzt getüftelt hatten. Ihm war es wichtig, Kazzong nicht untergehen zu lassen sondern weiter zu verwerten. Zwar weiß er, dass er mit der Idee nun nicht mehr reich werden kann. Aber darum geht es ihm nicht. “Die Idee ist gut und bleibt es auch dann, wenn sie in anderer Form weiterlebt!”

Reichweite statt Systemgebühr

Ein bisschen bitter ist es allerdings schon, wie es zum Aus kam. Denn zunächst hätten sie ein sehr bodenständiges Finanzierungsmodell gehabt, erzählt Riedl. Von jedem Künstler, der über Kazzong Songs verkauft, wollten die Gründer die ersten fünf Euro als Systemgebühr behalten. Viele Berater rieten ihnen jedoch ab und meinten, dass Kazzong auf “Reichweite” gehen solle. Immerhin gab es schon nach dem ersten Jahr 20 Millionen Seitenaufrufe im Monat. Also folgte als neue Idee die Gewinnbeteiligung an jedem verkauften Song, daneben Affiliate-Lösungen und Werbung. Im Nachhinein hat Riedl bereut, dass sie sich von ihrem ersten Konzept abbringen ließen. Denn dies hätte schnelles Geld bedeutet: “Am Ende haben 5000 Bands über Kazzong ihre Songs vermarktet! Hätten wir von jeder fünf Euro bekommen, hätten wir uns den Investor schenken können!” Leider habe man sich vom Thema “Reichweite” blenden lassen und nicht geahnt, wie sehr diese Entscheidung das Unternehmen einholen würde. Zum Glück hatte er aus seinem früheren Projekt all4move noch ein gewisses Budget übrig und verdiente sich an den Wochenenden etwas Geld mit seiner Hobbyband dazu. Denn an Kazzong hing sowohl seine als auch Simmas Existenz.

Das endgültige Aus war trotzdem eine riesengroße Erleichterung für ihn. “Es ist, als ob plötzlich 200 Kilo von dir abfallen!” Das Aufatmen habe die Traurigkeit weit überwogen. Erst in diesem Moment bemerkte Riedl, wie groß der Druck in den vergangenen Monaten überhaupt gewesen war. Nun konnte er sagen: “Der Kampf ist vorbei. Jetzt kommt etwas anderes.” Riedl nahm sich eine einwöchige Auszeit und dachte über seine Zukunft nach. Dann raffte er sich noch einmal auf und ging auf alle Menschen zu, die man in solch einer Situation nicht unbedingt sehen möchte: Gläubiger, Investoren und Insolvenzverwalter. “Dass wir uns nicht weggeduckt haben, wurde von allen Seiten mit Wohlwollen honoriert”, erinnert er sich. Auch gegenseitig verzichteten die beiden Gründer auf Schuldzuweisungen.

“Lieber klein und profitabel anfangen als groß und unerreichbar”

In der Reflektion des letzten Jahres kommt Riedl zu folgendem Schluss: Es waren vor allem strategische Entscheidungen wie der Verzicht auf die Monatsgebühr für Künstler, die dem jungen Unternehmen das Genick gebrochen haben. “Hätten wir einen kleineren Kuchen gebacken, hätten wir ihn zumindest gebacken. So ist uns mittendrin das Mehl ausgegangen.” Dies ist ihm eine wichtige Lehre geworden: “Lieber klein und profitabel anfangen als groß und unerreichbar”. Dass er und Simma sich später für die Kooperation mit großen Labels entschieden haben, sei zwar kein wirklicher Fehler gewesen. Aber er habe sich im Vornherein nicht bewusst gemacht, was es im Einzelnen bedeutet. “Wenn man auf Kooperationen mit großen Unternehmen angewiesen ist, frisst das immer auch Ressourcen.” Ein Vertragsabschluss habe beispielsweise neun Monate lang gedauert. “Es kann immer auch in zwei Wochen klappen, aber dann ist man hinterher arm”, lacht Riedl. Außerdem müsse man sich fragen, ob man schon erfahren genug ist, um mit solchen Größen zu verhandeln.

Ein weiterer großer Nachteil sei gewesen, dass es keinen technischen Entwickler mit im Team gab, wodurch immer wieder das entsprechende Know-How gefehlt habe. Riedl rät jungen Gründern vor allem eine Sache: Je einfacher desto besser. Von Anfang an müsse ein klares und eindeutiges Geschäftsmodell her, das auf Fakten statt auf Annahmen beruhe. Außerdem sollte es die Möglichkeit geben, von Heute auf Morgen alle Kosten konsequent runterzufahren, “wenn man plötzlich mit dem Rücken zur Wand steht”. Auch Mitarbeiter zu entlassen sollte dann nicht umgangen werden – “die dunkle Seite am Gründen, die kein Gründer mag”. Junge Gründer auf ihrem Weg mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, damit sie ihre Ideen “straight und effizient” umsetzen können, sieht er als seine neue “Berufung” an. Dafür hat er zusammen mit Andreas Dengler im April die Agentur DieGoldeneGans (www.diegoldenegans.com) ins Leben gerufen. Da das Beraten von Gründern sein eigentlicher Traumjob ist, kann er sogar sagen: “Kazzong hat zwar nicht geklappt, aber was danach kam, ist noch viel besser.” Trotzdem hat er noch nicht völlig mit Kazzong abgeschlossen, denn noch immer können Interessenten bei ihm die Kazzong-Software und das neue Widget lizenzieren.

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Yvonne Ortmann

Seit Mai 2009 schreibt Yvonne für deutsche-startups.de Gründerportraits, Start-up-Geschichten und mehr – ihre besondere Begeisterung gilt Geschäftsideen mit gesellschaftlich-sozialer Relevanz. Sie tummelt sich auch im Ausland – immer auf der Suche nach spannenden Gründerpersönlichkeiten und Geschäftsideen.