Deutsche Gründer berichten

Brexit-Stimmen aus London: “Viele reden vom Umzug”

In Großbritannien leben und arbeiten viele Deutsche. Darunter junge Unternehmer, die auf die Insel gegangen sind, um dort ein Start-up hochzuziehen. deutsche-startups.de hörte sich einmal bei deutschen Gründern, die in der Metropole leben und arbeiten, um.
Brexit-Stimmen aus London: “Viele reden vom Umzug”
Freitag, 24. Juni 2016VonAlexander Hüsing

Jetzt ist es tatsächlich passiert: Die Briten verlasen die EU – siehe “Brexit: Das sagt die Startup-Szene zum EU-Austritt” und “Was der Brexit für junge Start-ups bedeuten kann“. deutsche-startups.de hörte sich in Großbritannien bei deutschen Gründern, die dort leben und arbeiten, und Deutschen, die auf der Insel wirken, um. Grob ging es um die Frage: Welche Auswirkungen wird der Brexit – Ihrer Meinung nach – auf die Start-up-Szene in Großbritannien haben und welche auf Ihr eigenes Start-up? Hier die Antworten.

“Viele reden bereits von einem Umzug”

Es gab zuletzt recht große Hoffnungen dass die ‘Remain Campaign’ das Referendum doch für sich entscheiden kann. Deswegen ist es jetzt umso bitterer, dass es doch nicht geklappt hat. Der Londoner Startupsektor lebt von der Internationalität und hängt stark von EU-Initiativen und Investitionen ab. Viele Venture Capitalists haben sich hier vor allem wegen dem Fintech-Sektor angesiedelt. Durch eine Teilabwanderung der Bankenverwaltungen und jungen Fintech-Unternehmen könnte vor allem der Standort Berlin profitieren. Meine eigne Firma, Crozdesk, ein Vergleichsportal für Business Software, wird es vor allem an günstigen und talentierten Arbeitskräften aus Zentral- und Osteuropa fehlen. Mehr als 80 % unser bisherigen Mitarbeiter kam aus dem Ausland. Außerdem werden diverse Partnerschaften, Kundenbeziehungen und Investitionen die wir im europäischen Ausland aufgebaut haben betroffen sein. Viele meiner britischen und europäischen Kollegen reden bereits von einem Umzug ihrer Firmen nach Berlin, Paris oder Stockholm in den nächsten zwei Jahren. Der Brexit könnte also das aus für das schnelle Wachstum des Londoner IT-Sektors bedeuten. Man kann nur hoffen das sich eine Lösung finden lässt. Ansonsten schaut es trist aus für den Silicon Roundabout.
Nick Hopper, Crozdesk

“Viele Startups werden jetzt reagieren”

Wenn man die Statistiken betrachtet, wo die Entscheidungen für den Austritt der Briten aus der EU gefallen sind, dann fällt auf, dass London, Cambridge und Oxford für den Verbleib gewählt haben, d.h. diejenigen Bürger des Vereinigten Königreiches, die, vereinfacht gesagt, für Business und Wissen stehen. ‘Vote Remain’ wurde in diesen Standorten als die einzig richtige Wahl und der Austritt als die falsche Entscheidung betrachtet, weil man hier ganz klar die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen erkannt hat. Eine der für die Wirtschaft im Allgemeinen und für Londoner Startups entscheidenden Konsequenzen wird sein, dass die Suche nach talentvollen Professionals schwieriger werden wird. Bisher war London ein Schmelztiegel von internationalen jungen Spitzenkräften. Die Rekrutierung von internationalen Talenten wird, wie erwartet wird, in Zukunft mit größeren Anstrengungen verbunden sein. Nicht nur Startups, sondern auch große Unternehmen, werden darunter leiden. Eine weitere Konsequenz des Brexit ist die Abschwächung des britischen Pfundes. Für The Collectors Index bedeutet die Abschwächung allerdings einen Vorteil, da wir international orientiert sind. Wir erwarten darum einen Boom für den europäischen und amerikanischen Markt für Luxusuhren und Subskriptionen. Auch wenn es mindestens noch zwei Jahre dauern wird, bis Großbritannien offiziell aus der EU austritt, werden jetzt viele Startups reagieren und ihre Hauptsitze von der Insel verlegen, nach Europa oder in andere Länder. Berlin als Standort wird sicherlich eine interessante Alternative für London werden.
Philip van Dedem, The Collectors Index

“Ein schlechtes Signal”

Der Brexit ist ein schlechtes Signal für die gesamte europäische Startup-Szene, nicht nur für London und UK – wobei natürlich die tatsächlichen Auswirkungen von den Verhandlungen in den nächsten Jahren abhängen. Was steht also auf dem Spiel für Startups? Schneller und unbürokratischer Zugang zu einem riesigen Markt. Im schlimmsten Fall hätten es britische und EU-Startups deutlich schwerer, ihre Produkte in den jeweilig anderen Märkten anzubieten. Gerade in der Frühphase ist es wichtig für Startups, schnell zu lernen und Kunden zu gewinnen – ein Punkt in dem US-Startups bereits heute einen deutlichen Vorteil haben – riesiger, homogener Binnenmarkt -, den sie gegebenenfalls. weiter ausbauen können. Für uns ganz konkret bedeutet der Brexit UNNÖTIGE Kopfschmerzen: Was passiert mit unserer britischen Limited in Berlin? Bereits während EU-Zeiten war der Umzug von London nach Berlin ein riesiger Aufwand – die Limited in Berlin weiterzuführen wird sicherlich kostspielig und kompliziert. Meiner Meinung nach kann Politik Startups am meisten helfen, wenn sie möglichst viele bürokratische Hürden aus dem Weg räumt. Leider ist der Brexit ein Signal in die genau andere Richtung.
Alexander Weidauer, Lastmile

“Von problemloser EU-Einwanderung profitiert”

Der Brexit passt kulturell zu England, aber nicht zu London. London hat für mich mehr mit Berlin, New York oder Tokyo gemeinsam als mit Brighton oder Birmingham. Aber daher eben auch diese kollektive Unfähigkeit, die ‘andere Seite’ zu verstehen – und die macht mir wirklich Sorgen: ohne Verständnis keine Empathie. Vielleicht sollte London einfach Stadtstaat werden, mit Fähigkeit, Visas auszustellen etc. Gerade London hat kulturell so viel von der problemlosen EU-Einwanderung profitiert. Gerade die Startup-Community hier ist wirklich von EU-Einwanderern dominiert. Und die sind nicht hergekommen um zu gründen, sondern zum Studium, zur Arbeit etc. Wenn sie in Berlin gewesen wären, hätten sie vermutlich da was gegründet. Und genau die werden jetzt nicht mehr so einfach herkommen. Für mein Unternehmen ist es glücklicherweise einfacher: Wir haben US-Investoren, eine US-Holding und sind auch alle selbst ziemlich mobil. Wenn es wirklich schlimm wird, dann gehen wir vermutlich nach Barcelona oder Berlin. Oder auch New York, das wissen wir noch nicht.
Malte Nuhn, Momentumworks

“Schranken passen so gar nicht in deren Köpfe”

Ganz unmittelbar betrifft mich der Brexit beim aus Großbritannien kommenden Gehalt: Ein billigeres Pfund bring weniger Euro. Der Firma in England würde eine Anpassung auf Vor-Brexit-Niveau richtig Geld kosten – und ich komme mit 7 bis 8 % Kürzung wegen Wechselkurs-Chaos seit heute Nacht nicht mehr klar. Mal eben ein Gerät oder Muster von England nach Deutschland schicken, dürfte dann irgendwann auch nicht mehr ohne Paierkram auskommen und alles. Exporte von Großbritannien nach Europa könnten aufgrund des Pfundverlustes erst mal günstiger werden, auch schon in der Scheidungszeit – danach weiß noch keiner, Steuern dürften dann aber beim kommerziellem Versand aus Großbritannien den Vorteil mehr als zunichte machen. Viele Startups in der EU genießen einheitliche Zertifizierungen und Qualitätsstandards, einmal gemacht, EU-weit ein no-brainer. Hier könnte die Sache in Zukunft sehr ungemütlich werden, da Zertifizierungen und Audits so richtig ins Geld gehen und kostbare Zeit kosten. Viele junge Entwickler und andere Startup-Leute spielen bereits konkret mit dem Gedanken, Großbritannien zu verlassen. Schranken passen so gar nicht in deren Köpfe und Landsleute, die dies nicht kapieren auch nicht.
Jochen Moelle, Director Business Development bei Pwint

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Foto: Great British Union Jack flag flying in front of Big Ben from Shutterstock

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.