#Interview

“Was für ein Unternehmen funktioniert, muss nicht für ein anderes gelten”

In den vergangenen Jahren flossen bereits rund 44 Millionen in Hygraph. Die Wurzeln von Hygraph liegen in Gießen - dort ging das Unternehmen einst als GraphCMS an den Start. "Das Rebranding eines Unternehmens ist immer eine Herausforderung" sagt Gründer Michael Lukaszczyk.
“Was für ein Unternehmen funktioniert, muss nicht für ein anderes gelten”
Montag, 18. September 2023VonAlexander Hüsing

Das Berliner Unternehmen Hygraph (früher als GraphCMS bekannt), 2017 von Michael Lukaszczyk und Daniel Winter in Gießen gegründet, positioniert sich als “Enterprise-Content-Management-Plattform, die es Erstellern von Inhalten ermöglicht, die vernetzten digitalen Ereignisse von morgen schnell und in großem Umfang zu entwickeln”. One Peak, SquareOne, OpenOcean und Business Angel Boris Lokschin investierten zuletzt 30 Millionen US-Dollar in das Unternehmen. Insgesamt flossen bereits 44 Millionen in Hygraph.

Die Wurzeln von Hygraph liegen in Gießen – dort ging das Unternehmen einst als GraphCMS an den Start. Später machte das Team als Hygraph weiter. “Das Rebranding eines Unternehmens ist immer eine Herausforderung. Du musst deine neue Marke finden, deine Domains und Social-Media-Präsenzen umleiten bzw. neu aufsetzen und dabei sicherstellen, dass du bei allem deine SEO-Auffindbarkeit nicht ruinierst. In jedem Fall wirst du immer auf Hindernisse stoßen”, sagt Hygraph-Gründer Lukaszczyk.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Jungunternehmener außerdem über Testversionen, Talente und die USA.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Hygraph erklären?
Unsere Software hilft Menschen und Unternehmen, ihre digitalen Inhalte jeglicher Art erfolgreich auf jeder Website, App oder jedem Gerät, das mit dem Internet verbunden ist, zu verbreiten. Wir liefern jeden Monat Informationen an mehrere Hundert Millionen Geräte. Dabei ersparen wir Entwickler:innen und Erstellern von Inhalten eine Menge Zeit und Stress.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir haben unser Produkt und unsere Unternehmensvision über die Jahre hinweg verfeinert und verbessert, um den Marktentwicklungen in unserer Branche gerecht zu werden. Wir arbeiten derzeit an der nächsten Evolutionsstufe des Content-Management-Systems, indem wir vom Headless CMS zu Federated Content Plattformen übergehen. Dies ermöglicht es uns nicht nur, Inhalte auf jedes Gerät auszuspielen, sondern auch Inhalte und Daten von anderen Systemen zu beziehen, die eine API bereitstellen. Dies hilft Unternehmen beim Aufbau skalierbarer digitaler Produkte, die auf Daten aus verschiedenen Quellen angewiesen sind.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Für Projekte auf Hobbyniveau und kleinere professionelle Businesses bieten wir eine kostenfreie Testversion unserer Plattform an. Für größere Unternehmen und Organisationen haben wir Enterprise Lizenzen an, bei denen Betriebszeit- und Servicegarantien, Leistung und große Volumen ausschlaggebend sind. Wir hosten dann alles und sorgen dafür, dass die Infrastruktur 24/7 überwacht wird.

Wie ist überhaupt die Idee zu Hygraph entstanden?
Die Idee entstand, als sich die Headless-CMS-Branche bereits zu formieren begann. Es gab bereits einige Akteure auf dem Markt, aber wir sahen die Möglichkeit für ein differenziertes Angebot, indem wir dem Mix noch GraphQL hinzufügten.

Anfangs war euer Name GraphCMS. Warum habt ihr euren Namen gewechselt?
Der Name GraphCMS hat uns schon immer gefallen. Den Namen der Kategorie im Firmennamen zu haben ist ein mentaler Anker. Das macht es einfach, sich genau in dieser Kategorie zu positionieren. Aber dann haben wir begonnen, Produktfunktionen anzubieten, die über das hinausgingen, was die Leute im Kopf hatten, wenn sie “CMS” hörten, so dass es schwierig war, mit neuen Innovationen auszubrechen. Da wir die Grenzen dessen, was ein CMS leisten kann, immer weiter ausdehnten, wollten wir einen abstrakteren Namen. Wir wollten wieder mehr Kontrolle über unsere eigene Geschichte zurückgewinnen und wählten einen aus unserer Sicht geeigneteren, weiterreichenden, neuen Namen. Hygraph ist wörtlich angelehnt an Hypergraph. Ähnlich wie ein Hyperlink im Web kann ein Hypergraph als ein vernetzter Graph gesehen werden – das Kernkonzept hinter Content Federation. Das Rebranding eines Unternehmens ist immer eine Herausforderung. Du musst deine neue Marke finden, deine Domains und Social-Media-Präsenzen umleiten bzw. neu aufsetzen und dabei sicherstellen, dass du bei allem deine SEO-Auffindbarkeit nicht ruinierst. In jedem Fall wirst du immer auf Hindernisse stoßen, daher ist es wichtig, dass du deine Entscheidungen mit Bedacht triffst und du voll entschlossen bist, ein Rebranding durchzuführen.

Hygraph ging in Gießen an den Start. Wie seid ihr ein Berliner Unternehmen geworden?
Unser Seed-Investor ist in Berlin ansässig und empfahl uns, dort ein Büro zu eröffnen, da es dort einen größeren Talentpool für Leute mit einem SaaS-Hintergrund gibt – insbesondere auf der kommerziellen Seite. Außerdem gibt es dort eine Menge potenzieller Kunden und digitaler Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten können. Ein kleiner Aspekt ist natürlich auch, dass Berlin international für sein Tech-Ökosystem bekannt ist.

Trotz allgemeiner Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene konntet ihr zuletzt 30 Millionen einsammeln. Wie seid ihr mit euren Investor:innen in Kontakt gekommen?
Wir hatten immer eine gut gefüllte Pipeline von Investoren, die mit uns in Kontakt treten wollten. Dazu  pflege ich persönlich auch immer mein Netzwerk von potenziellen Investoren. Mit unserem Series-B-Investor war es ähnlich. Sie waren hartnäckig in der Kontaktaufnahme und ich habe mich bei ihnen gemeldet. Obwohl mir damals alle von einer Kapitalerhöhung abgeraten haben, war es eine sehr erfolgreiche Kapitalerhöhung. Es dauerte nur 90 Tage vom ersten Pitch bis zum Abschluss und wir hatten mehrere Angebote auf dem Tisch.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wenn ich zurückblicke, würde ich nicht sagen, dass es große Katastrophen gab. Vielmehr gab es viele kleine Fehler, aus denen wir aber lernen konnten. Sei es ein falscher Markteinführungsansatz oder eine schlechte technische Entscheidung. War das am Ende von Bedeutung? Ja und nein – ich glaube, man muss auf die harte Tour lernen, um wirklich zu verstehen, wie sie sich auf das eigene Unternehmen, die Organisation und die eigene Persönlichkeit auswirken. Ratschläge sind sehr nützlich, aber da jedes Unternehmen einzigartig ist, bringen sie einen nur bedingt weiter. Und was für ein Unternehmen funktioniert, muss nicht unbedingt für ein anderes gelten.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Wir legen uns besonders ins Zeug, um unsere Kund:innen und Nutzerbasis zu unterstützen. Viele Unternehmen bieten ihren kostenlosen oder Community-Benutzern keinen Support, ich hingegen glaube, dass das wirklich wichtig und ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Besonders am Anfang, wenn ein Produkt noch nicht so ausgereift ist. Viele Unternehmen bieten nur den großen Firmenkunden richtigen Support. Wenn du jedoch eine produktgesteuerte Einführung unterstützt, können Nutzer:innen der kostenlosen Version manchmal wichtige Entscheidungsträger sein, die ein Proof-of-Concept für ein großes Unternehmen erstellen. Die hohe Kundenzufriedenheit und die gute Erreichbarkeit haben uns in fast allen Bereichen unseres Geschäfts geholfen: sei es bei Investitionen, Empfehlungen, Expansion oder sehr positiven Bewertungen auf Plattformen wie G2.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Versteh deinen Markt. Versteh die Menschen, denen du dein Produkt verkaufen willst. Versteh, wie du sichtbarer werden und wie du sie ansprechen kannst. Versteh, wie du an sie und ihre Kollegen und Kolleginnen in ihrem Unternehmen verkaufen kannst. Versteh, was sie von deinem Produkt wirklich brauchen, und stell sicher, dass dieser Wert auch vermittelt wird. Mach ihnen den Einstieg leicht. Und nimm das Motto “Move fast and break things” nicht zu wörtlich. Wir schreiben das Jahr 2023 und die Menschen sind an einen hohen Standard von Software gewöhnt. Dieses Motto funktioniert nicht mehr. Wenn du organisch wachsen willst, muss dein Produkt reibungslos funktionieren, also geh einen Schritt weiter und beseitige frühzeitig alle Fehler und technischen Schwierigkeiten. Und schließlich: Stell sicher, dass das, was du anbietest, anders ist und einen einzigartigen Aspekt aufweist, sei es auf der Produktseite oder darin, wie du das Produkt auf dem Markt platzierst. Als ich jung war und Fußball spielte, sagte mein Vater immer: “Auf dem Feld musst du frei stehen, dann kommt der Ball zu dir”. Und das gilt auch sehr gut für die Wirtschaft.

Wo steht Hygraph in einem Jahr?
Wir investieren große Anstrengungen, um ein widerstandsfähiges und effizientes Unternehmen zu werden, das organisch wachsen kann und mit einem modernen Go-to-Market-Ansatz kapitaleffizient ist. Wir werden weiterhin Innovationen auf den Markt bringen und streben die Marktführerschaft bei Lösungen an, die Unternehmen auf ihrem Weg zu einer kompatiblen Softwarearchitektur unterstützen. Wir bauen derzeit ein größeres Team in den USA auf, da wir dort fast die Hälfte unseres Umsatzes erwirtschaften, so dass eine Expansion für uns naheliegend ist.

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Foto (oben): Hygraph

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.