#Interview

“Die deutsche Startup-Szene bietet einen großen Talentpool”

Bei Finmatics dreht sich alles um die Automatisierung von Buchhaltungsprozessen. Das Wiener FInTech, das von Mangrove unterstützt wird, drängt nun auf den deutschen Markt. "Der deutsche Markt bietet enormes Potenzial für uns", ist sich Gründer Christoph Prieler sicher.
“Die deutsche Startup-Szene bietet einen großen Talentpool”
Montag, 4. September 2023VonAlexander Hüsing

Das Wiener FinTech Finmatics, 2016 von Christoph Prieler und Patrick Sagmeister in Wien gegründet, “digitalisiert und automatisiert Buchhaltungsprozesse mit Hilfe einer KI-gestützten Software”. In den vergangenen Jahren ist das junge Unternehmen auf über 100 Mitarbeiter gewachsen. “Unsere Kundenbasis ist mittlerweile auf 900 Kanzleien und über 50.000 Unternehmen gewachsen, darunter führende Unternehmen wie KPMG aus den Big Four”, sagt Gründer Prieler. 

Mangrove Capital Partners und Altinvestor eQventure investierten zuletzt 6 Millionen Euro in Finmatics. “Im Vorfeld unserer Series A-Finanzierungsrunde haben wir intensive Gespräche mit mehr als 120 Fremdkapitalgebern geführt”, berichtet Prieler. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Finmatics-Macher außerdem über Rechnungsprüfung, Infrastruktur und Talente.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Finmatics erklären?
Die Erfassung, Verarbeitung und Vorkontierung von anfallenden Belegen und Rechnungen aller Art erfolgte bei einem Großteil der Steuerberater und Finanzabteilungen mittelständischer Unternehmen bisher mit viel Aufwand, d.h. durch manuelle Tätigkeiten. Das kostet Unternehmen in der Regel viele Ressourcen in Form von Zeit und Geld. Gleichzeitig leidet die Branche unter einem akuten Fachkräftemangel. Finmatics löst dieses Problem mittels modernster Technologie, indem wir wesentliche Arbeitsprozesse für Steuerberater und Buchhalter automatisieren, effizienter gestalten und somit ihren Berufsalltag nachhaltig verändern. Mühsame repetitive Arbeitsschritte in der Belegverarbeitung gehören so der Vergangenheit an.  

War dies von Anfang an euer Konzept)?
Finmatics ist 2016 aus dem Unternehmen Enteos entstanden, einem Dienstleistungsunternehmen, das Buchhaltungsunternehmen bei der Digitalisierung der Transaktionsverarbeitung half. Aus den abgewickelten Transaktionen haben wir die Grundlage für unsere Algorithmen gewonnen. Nachdem Finmatics 2017 an den Start gegangen ist, haben wir das Produkt sukzessive an die Bedürfnisse und Marktanforderungen angepasst. Das Produkt in seiner heutigen Form vermarkten wir seit 2020 aktiv an Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und mittelständische Unternehmen.  

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Wir bieten für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Finanzabteilungen mittelständischer Unternehmen ein auf künstlicher Intelligenz (KI) basierendes SaaS-Modell an, mit dem alle Prozesse der Belegverarbeitung digitalisiert werden. Durch Finmatics werden bis zu 70 % der Zeit in der Buchhaltung und Belegverarbeitung eingespart. In der Konsequenz können unsere Kunden ihre Rolle als Berater deutlich effizienter ausschöpfen. Die cloudbasierte Software kann nahtlos in bestehende Buchhaltungssysteme integriert werden und ermöglicht die effiziente Verarbeitung von Belegen, unabhängig von ihrer Form (Papier oder digital). Finmatics automatisiert manuelle Arbeiten wie das Scannen von Belegen und das Abtippen von Buchungssätzen mithilfe von KI-Algorithmen. Die Lösung stellt damit auch eine Art Antidot zum bestehenden Fachkräftemangel dar. Die Finmatics Mobile-App erleichtert die transparente Rechnungsprüfung und -freigabe. Insgesamt revolutioniert Finmatics die Buchhaltungsbranche durch Zeitersparnis, nahtlose Integration und fortschrittliche Funktionen.

Wie ist überhaupt die Idee zu Finmatics entstanden?
Vor Finmatics habe ich viele Jahre als Leiter von Buchhaltungsabteilungen bei Unternehmen wie IBM, General Electrics und Flex sowie in der Managementberatung bei McKinsey gearbeitet. Dort habe ich die Unzulänglichkeiten manueller Tätigkeiten und Prozesse in Buchhaltungsabteilungen am eigenen Leib erfahren. Mit Patrick Sagmeister habe ich letztlich einen erfahrenen Partner gefunden, der als Experte für KI und Data Science in der Lage ist, eine Software zu entwickeln, die diese Probleme in Angriff nimmt. Wir haben aus unseren unterschiedlichen Erfahrungen und Stärken ein Produkt entwickeln können, das die Branche fundamental zum Positiven verändert. 

Es herrscht derzeit Krisenstimmung in der weltweiten Startup-Szene. Was ist Deine Sicht auf die aktuelle Eiszeit?
Zweifelsfrei haben die Verwerfungen und Realitäten der vergangenen zwei bis drei Jahre die Startup-Szene hart getroffen. Ich bin jedoch generell ein positiv gestimmter Mensch und sehe es so, dass nach einer “Eiszeit” Tauwetter einkehrt. Zugleich hat die “Eiszeit” auch ihre positive Seite. Sie zwingt uns dazu, unsere Geschäftsmodelle zu überdenken, uns anzupassen und effizienter zu werden. Zugleich bin ich der Überzeugung, dass sich in Zukunft diejenigen Geschäftsmodelle durchsetzen werden, die echten Value schaffen und nachhaltig wirtschaften. Hierfür sehen wir uns gut gewappnet.

Wie hat sich Finmatics seit der Gründung entwickelt?
Finmatics ist in den vergangenen sechs Jahren auf über 100 Mitarbeiter gewachsen, wovon der Großteil in Wien tätig ist. In Budapest beschäftigen wir auch schon 17 Mitarbeiter. Mit der neuesten Finanzierungsrunde haben wir uns zum Ziel gesetzt, vor allem in Deutschland weiter zu wachsen. Unsere Kundenbasis ist mittlerweile auf 900 Kanzleien und über 50.000 Unternehmen gewachsen, darunter führende Unternehmen wie KPMG aus den “Big Four”. Das vergangene Jahr war ein besonders erfolgreiches: Im Vergleich zum Vorjahr konnte Finmatics einen beeindruckenden Umsatzanstieg von über 150 % verzeichnen. 

Zuletzt konntet ihr 6 Millionen einsammeln. Wie seid ihr mit euren Investor:innen in Kontakt gekommen?
Im Vorfeld unserer Series A-Finanzierungsrunde haben wir intensive Gespräche mit mehr als 120 Fremdkapitalgebern geführt. Die Kontakte zu den VCs ergaben sich auf drei verschiedenen Wegen. Erstens haben wir aktiv Direktansprachen durchgeführt, um potenzielle Investoren auf unser Unternehmen aufmerksam zu machen. Zweitens haben bestehende Investoren Empfehlungen ausgesprochen und uns mit VCs in Kontakt gebracht, die sie bereits kennen und schätzen. Und drittens haben wir auch Inbounds erhalten, das heißt, VCs haben von unserem Unternehmen gehört und selbst das Interesse gezeigt, mit uns zu sprechen. Im speziellen Fall unserer Investoren, Mangrove Capital Partners, kam der Kontakt über eine Vermittlung von bestehenden Investoren zustande. 

Euer Firmensitz ist Wien. Was zeichnet die Startup-Szene vor Ort aus?
Es gibt in Wien eine lebendige Startup-Szene mit vielen Möglichkeiten zur Vernetzung und spezialisierten Veranstaltungen. Die österreichische Regierung unterstützt Startups durch Förderprogramme in der Frühphase, die durch private Investoren und Risikokapitalgeber mit zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten ergänzt werden. Die zentrale Lage von Wien in Europa, die erstklassige Infrastruktur und die guten Verkehrsanbindungen erleichtern die Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern in ganz Europa. Die Stadt bietet auch eine hohe Lebensqualität mit Grünflächen, kulturellen Veranstaltungen und einer ausgezeichneten öffentlichen Verkehrsanbindung. Sicherlich ist Wien noch nicht so auf dem VC-Radar wie andere europäische Hauptstädte. Wir möchten jedoch mit gutem Beispiel vorangehen und Finmatics als Wiener Vorzeigeunternehmen weiterentwickeln.

Und wie ist eure Sicht auf den deutschen Markt, die deutsche Startup-Szene?
Der deutsche Markt bietet enormes Potenzial für uns. Die gesamte Steuerberater- und Buchhaltungsbranche ist deutlich größer als in Österreich und liegt im zweistelligen Milliardenbereich bei ständigem Wachstum. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen stellen nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft dar. Die deutsche Startup-Szene, insbesondere Berlin, bietet vor allem eine ausgezeichnete Infrastruktur und einen großen Talentpool. Deutschland verfügt über eine erstklassige Ausbildung und renommierte Universitäten sowie Hochschulen, die hochqualifizierte Fachkräfte hervorbringen. Darüber hinaus zieht das Land talentierte Menschen aus der ganzen Welt an, die sich in der Startup-Szene engagieren wollen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Glücklicherweise sind in den vergangenen Jahren keine gravierenden Misserfolge eingetreten, ansonsten würden wir hier nicht mehr als Finmatics sitzen. Dennoch ist es natürlich vorgekommen, dass einige Maßnahmen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt haben. In solchen Fällen ist es wichtig, aus Fehlern zu lernen, den nächsten Versuch anzugehen und sicherzustellen, dass Fehler nicht wiederholt werden. Auf diese Weise können wir uns kontinuierlich als Unternehmen und Unternehmer weiterentwickeln.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Uns ist es vor allem gelungen, unterschiedliche Kompetenzen zu bündeln und so ein Team aufzustellen, das über weitreichende Fähigkeiten verfügt. Durch diese Zusammenführung von Fachwissen können wir die Bedürfnisse unserer Kunden besser verstehen und so Lösungen anbieten, die sowohl technologisch ausgereift als auch leicht integrierbar sind. So kommen wir unserer Vision, künstliche Intelligenz langfristig als Gold-Standard in der Buchhaltung zu etablieren und einen Paradigmenwechsel in der Branche herbeizuführen, jeden Tag einen Schritt näher.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir in einer VUCA-Welt – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Mehrdeutigkeit – leben. Gerade in solch einer Umgebung ist es als Gründer entscheidend, flexibel zu bleiben. Seid offen dafür, euer Geschäftsmodell anzupassen, falls nötig, und erkennt die neuen Möglichkeiten, die sich möglicherweise durch die aktuelle Krise ergeben haben. Es ist ratsam, Beziehungen aufzubauen und aktiv nach potenziellen Partnern oder Investoren zu suchen, die euch auch in schwierigen Zeiten unterstützen können. Bleibt kreativ und innovativ: Jede Veränderung kann neue Chancen für Produkte, Dienstleistungen oder Märkte bieten.

Wo steht Finmatics in einem Jahr?
In einem Jahr sind wir auf dem deutschen Markt deutlich gewachsen. Zugleich haben wir unsere Position als führender Anbieter von Software zur Digitalisierung und Automatisierung von Buchhaltungsprozessen weiter zementiert. Des Weiteren planen wir, im Jahr 2024 in weitere europäische Länder zu expandieren.

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Foto (oben): Finmatics

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.