#Interview

“Die Personalentscheidung bei der du kein gutes Gefühl hast, wird dich einholen”

"Der Markt für Patientenaufklärung ist fast monopolistisch besetzt und viele Kliniken verwenden seit Jahrzehnten die gleichen Papierbögen", sagt Mona Ciotta, Gründerin von medudoc. Das Berliner Startup versucht diesen Markt nun zu digitalisieren.
“Die Personalentscheidung bei der du kein gutes Gefühl hast, wird dich einholen”
Montag, 21. November 2022VonAlexander Hüsing

Das Berliner Health-Startup medudoc, 2018 von Michael Horacek, Mona Ciotta und Dennis Beyer gegründet, kümmert sich um “digitale Patient:innenaufklärung”. “Die Lösung wird von großen Unikliniken, spezialisierten Facharztzentren sowie regionalen Versorgern im DACH-Raum zur Patientenaufklärung genutzt”, sagt Gründerin Ciotta. Business Angels wie Reinhard Wichels, Wieland Sommer und Martin Klässner investieren 2 Millionen Euro in die Jungfirma.

“Unser Ziel ist es, einen internationalen Standard für die Patientenaufklärung zu schaffen. Wir wollen unsere Marktdurchdringung im DACH-Raum ausbauen, den Markteintritt in UK schaffen und das weitere internationale Wachstum vorantreiben. Durch ein neues AI Feature bei der Inhaltserstellung werden wir auch automatisiert alle gängigen Sprachen anbieten können, wodurch wir den lang überfälligen Abbau von Sprachbarrieren zwischen Arzt und Patient schaffen möchten”, sagt die medudoc-Macherin zu den Zielen für die kommenden Monate.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Ciotta außerdem über Faxgeräte, Zufriedenheit und Klinikalltag.

Wie würdest Du Deiner Großmutter medudoc erklären?
Angenommen du bekommst eine neue Hüfte, dann ist der Arzt rechtlich dazu verp?ichtet dich über Behandlungsalternativen, den Ablauf der Operation sowie die damit verbundenen Risiken ausführlich, individuell und verständlich aufzuklären. Die Qualität der Aufklärung ist leider nicht standardisiert und wird von jedem Arzt unterschiedlich durchgeführt. Gerade junge Ärzte investieren bis zu eine Stunde in diese Gespräche, wobei dir vorbehaltlos jedes noch so unwahrscheinliche Risiko im Detail erklärt wird, was nicht nur zeitaufwendig und teuer für die Klinik ist, sondern dich im schlimmsten Fall eher verunsichert und deine Angst vor der OP verstärkt. Andere Ärzte wiederum wickeln diese Gespräche innerhalb weniger Minuten ab und du bleibst am Ende mit offenene Fragen und Unsicherheiten alleine zurück. Im Gespräch mit dem Arzt ist man auf Grund dieser Ausnahmesituation auch häu?g so nervös, dass die Hälfte direkt danach wieder vergessen wird. Du bekommst zwar Informationen in Form von mehreren Papierbögen mit Hause gegeben, aber deren Inhalt ist mehr auf die rechtliche Absicherung der Klinik hin ausgerichtet sind und für Patient:innen nicht verständlich formuleirt sind.

Und wo kommt ihr jetzt ins Spiel?
medudoc sorgt jetzt dafür, dass Patient:innen vor diesem Gespräch ein persönliches Video erhalten – nur mit Informationen, die für sie spezi?sch relevant und einfach erklärt sind. Das Video können sie sich in gewohnter Umgebung, auch gemeinsam mit Angehörigen, in Ruhe anschauen. Für das anschließende Gespräch mit dem Arzt sind sie besser vorbereitet, können gezielt Fragen stellen und wissen genau worauf sie sich bei der Operation einlassen. Ärzt:innen können sich so voll auf die Versorgung von Patient:innen konzentrieren und sind sich sicher, dass die wichtige PatientInnenaufklärung validiert und standardisiert durchgeführt wird. Alle Beteiligten gewinnen Sicherheit, erleben einen reibungslosen Ablauf und sparen Zeit sowie Geld.

Was waren die größten Herausforderungen, die Ihr bisher überwinden musstet?
Das sind für uns drei Bereiche: Innovationsbereitschaft der Kliniken, Interoperabilität und Gesetzgebung. Der Markt für Patientenaufklärung ist fast monopolistisch besetzt und viele Kliniken verwenden seit Jahrzehnten die gleichen Papierbögen. Unser Ansatz zur individualisierten Aufklärung mittels Video denkt das Konzept für eine informierte Patienteneinwilligung komplett neu. Von der Bereitstellung von Vorabinformationen bis hin zur Prozessintegration in den Klinikalltag. Wir haben schnell gemerkt, dass wir – in einer Industrie deren bevorzugtes Kommunikationsmittel häu?g noch das Faxgerät ist – ein autonomes Fortbewegungsmittel entwickelt haben, wobei sich im Gesundheitsbereich gerade erst darauf verständigt wurde, ein einheitliches Straßensystem zu bauen auf der keine Pferdekutschen mehr fahren dürfen. Das ist vielleicht überspitzt ausgedrückt, spiegelt aber unsere Erfahrungen wider. Wir haben unsere Lösung plattformagnostisch aufgebaut, sodass Kliniken medudoc ohne aufwändige Integration nutzen können. In Kombination mit einer kostenlosen Testphase können Ärzt:innen sich so erst einmal unkompliziert vom Nutzen einer videogestützten Patientenaufklärung überzeugen und initiale Vorbehalte abbauen.

Wo steht medudoc derzeit?
Unser Team besteht aus 20 Personen und die Lösung wird von großen Unikliniken, spezialisierten Facharztzentren sowie regionalen Versorgern im DACH-Raum zur Patientenaufklärung genutzt. Jeder Patient schaut sich im Schnitt sein individuelles Videos 3.5 Mal an und die Patientenzufriedenheit der Inhalte liegt bei 98 %. Aktuell führen wir neun klinische Studien mit rennomierten Einrichtungen durch, welche entweder die zeitliche Entlastung von Ärzt:innen, das Patientenverständnis oder die allgemeine Zufriedenheit untersuchen. In einer unserer ersten Pilotkliniken konnten wir in der Zwischenzeit eine Entlastung in der Aufklärungssprechstunde von 20% nachweisen. Wir bereiten aktuell unseren internationalen Markteintritt vor und führen Gespräche mit entscheidenden Personen u.a. im Gesundheitssystem von Großbritannien.

Kürzlich konntet ihr 2 Millionen Euro einsammeln. Wie seid ihr in Kontakt mit euren Investoren gekommen?
Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre ein starkes Netzwerk im Gesundheitsbereich erarbeitet und groundwork betrieben. Wir waren auf vielen Events und haben mit vielen VCs sowie Business Angels gesprochen. Uns war immer klar: wir brauchen nicht nur Geld, sondern vor allem Believer und Expert:innen die sich mit den Regularien und Herausforderungen im Gesundheitsmarkt auskennen und uns Türen aufmachen sowie mit den richtigen Partnern ins Gespräch bringen können.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Spezi?sch im Bereich Digital Health: Uns hat es sehr geholfen, gerade in der Validierungs- und Prototypphase innovationsbereite Partner gefunden zu haben, die nicht nur essentiell bei der Produktentwicklung waren, sondern sich auch zu ersten Kunden entwickeln konnten. Durch die enge Zusammenarbeit und das Vertrauen in die gemeinsam entwickelte Lösung, haben sich unsere Klinikpartner zu Ambassadors entwickelt, was uns beim market access und der Finanzierung geholfen hat. Und allgemein: If it is not a hell yes, it is a no. Zumindest solltest du dir das immer mal vor Augen halten. Die Personalentscheidung, gerade in der Anfangsphase, bei der du kein uneingeschränkt gutes Gefühl hast, wird dich einholen. Die Partnerschaft mit Menschen aus anderen Unternehmen, die du aus Prestigegründen eingehst, aber nicht weil es absolut klickt, wird dir Schwierigkeiten bereiten und die Kundinnen und Kunden die von Anfang an sehr fordernd sind, werden nicht den Return aufwiegen, den andere an Ihrer Stelle einfacher bringen.

Wo steht medudoc in einem Jahr?
Unser Ziel ist es, einen internationalen Standard für die Patientenaufklärung zu schaffen. Wir wollen unsere Marktdurchdringung im DACH-Raum ausbauen, den Markteintritt in UK schaffen und das weitere internationale Wachstum vorantreiben. Durch ein neues AI Feature bei der Inhaltserstellung werden wir auch automatisiert alle gängigen Sprachen anbieten können, wodurch wir den lang überfälligen Abbau von Sprachbarrieren zwischen Arzt und Patient schaffen möchten. Mit unserer, eigentlich recht profanen, Lösung zur Prozesoptimierung haben wir einen Nerv bei der Ärzteschaft und den Patienten getroffen. Durch die Modellierung medizinischer Eingriffe mit verschiedenen Datenparamentern sind wir in der Lage hyper personalisierte Videoinhalte zu generieren und schaffen dadurch einen transparenten Heathcare-Loop, der uns bislang einzigartige Data-Insights zurückgespielt. Für einen noch effizienteren Klinikalltag, für predictive Healthcare und sogar zur Daten-Erkenntnis getriebenen Vorbeugung von Erkrankungen. Dort geht die Reise für uns hin.

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Foto (oben): medudoc

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.