#Interview

“Die Motivation zu einem Pivot sollte nicht aus Lust und Laune auf etwas Neues getrieben sein”

Über viele kleine und große Umwege wurde aus der Travel-App knowhere das Chatbot-Startup MoinAI. "Die größte Herausforderung war es, die Idee zu knowhere endgültig hinter uns zu lassen und mit neuer Energie nach vorn zu schauen", sagt Gründer Robert Weber.
“Die Motivation zu einem Pivot sollte nicht aus Lust und Laune auf etwas Neues getrieben sein”
Montag, 19. Juli 2021VonAlexander Hüsing

Das Hamburger Startup MoinAI positioniert sich als “SaaS-Unternehmen, dass komplett auf Chatbots spezialisiert ist”. Der Weg dahin war lang. Ursprünglich wollte das Gründerteam mit knowhere, ab 2015, eine Travel-App hochziehen. “Mit jeder Woche wurden die finanziellen Reserven weniger. Es war schwierig Investoren zu überzeugen uns ein Seed Investment zu geben, da der Proof-of-Concept noch ausstand. Hinzu kam dass wir ein völlig unerfahrenes und unbekanntes Gründerteam waren”, sagt Grüner Robert Weber.

Das Team hielt sich dann mit Agenturarbeiten über Wasser. “Angesteckt vom damaligen Hype um Chatbots haben wir das Hamburger Chatbot Meetup gegründet, haben Seminare gegeben und waren als Berater in ganz Deutschland unterwegs. Große deutsche Digital Agenturen haben mit uns gemeinsam Chatbot-Projekte entwickelt und Awards gewinnen können”, erinnert sich Weber. Letztendlich wurde aus diesen Agenturarbeiten dann MoinAI.

“Da wir bei der neuen Ära an Chatbots von Anfang an dabei waren, haben wir viele Ansätze gehabt, ein Business in der Chatbot Ökonomie aufzubauen. Dabei waren wir sehr offen für Partnerschaften und haben sogar für die Umsetzung einer Idee eine weitere UG gegründet. Es sollte aber gut zwei Jahre dauern bis sich die klare Vision von moinAI herausgestellt hat und wir nun einen sehr fokussierten Pfad mit einem klaren Ziel und einem zum Teil geänderten Gründerteam beschreiten”, sagt Weber.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der MoinAI-Macher außerdem über Erfolgschancen, Dropbox und Einstiegshürden.

Wie würdest Du Deiner Großmutter moinAI erklären?
moinAI hilft Unternehmen die Fragen Ihrer Kund:innen zu jeder Tageszeit und ohne Wartezeiten schnell und unkompliziert auf der Webseite im Chatfenster zu beantworten. Unsere Plattform stellt einen künstlichen Intelligenten sogenannten Chatbot bereit, der als digitaler Servicemitarbeiter im Unternehmen tätig wird. Es können ohne Programmier- und KI-Kenntnisse die Themen und Inhalte aus Vorlagen ausgewählt und neue erstellt werden, so dass der Chatbot zu den relevanten Anfragen die passende Antwort bereit hält. Durch die Integrationen in verschiedene Systeme kann der digitale Mitarbeiter auch Gespräche an das Unternehmens CRM oder an einen Livechat Agenten übergeben. Der Chatbot lernt aber auch mit jeder Anfrage dazu und schlägt selbstständig neue Themen vor. So entlasten wir Mitarbeiter:innen indem die immer wiederkehrenden und einfach zu klärenden Themen durch moinAI beantwortet werden.

Ursprünglich wolltet ihr mit knowhere den Reisemarkt bearbeiten. Wie wurde aus knowhere letztendlich moinAI?
Wir wollten damals das Tinder für den Reisemarkt werden und für jeden Nutzer den persönlichen Traumurlaubsort auf der Welt finden. Daher kommt auch unser Name knowhere. Wir haben mit dieser Idee und einer kleinen finanzieller Runde aus dem Freundes- und Familienkreis an mehreren Pitch-Events teilgenommen und auch viele davon gewinnen können. Mit dem Rückenwind sind wir im sehr zu empfehlenden Accelerator dem SpinLab Leipzig gelandet und haben an unserem Businessplan gearbeitet, mit Investoren geredet und unser Pitch-Deck optimiert. In dieser Zeit haben wir auch den ersten Prototypen unsere Idee als App entwickeln können. Mit jeder Woche wurden aber die finanziellen Reserven weniger. Es war schwierig Business Angels und Investoren zu überzeugen uns ein Seed Investment zu geben, da der Proof-of-Concept zu unserer Geschäftsidee noch ausstand. Hinzu kam dass wir ein völlig unerfahrenes und unbekanntes Gründerteam waren.

Wie ging es dann weiter?
Damit wir unsere damals gegründete GmbH nicht liquidieren mussten haben wir uns durch kleine Agenturarbeiten über Wasser gehalten, womit die sehr zeitaufwendige App-Entwicklung ins Stocken geriet. Zu dieser Zeit hat der Facebook Messenger sich für Chatbots geöffnet, worin wir ein sehr großes Potenzial gesehen haben unseren virtuellen Reiseberater dort abzubilden, um zum einen die sehr neue Reichweite früh Nutzen zu können und zum anderen die Entwicklungskosten der Anwendung deutlich zu reduzieren. Angesteckt vom damaligen Hype um Chatbots haben wir das Hamburger Chatbot Meetup gegründet, haben Seminare gegeben und waren als Berater in ganz Deutschland unterwegs. Große deutsche Digital Agenturen – unter anderem la red, JvM, Denkwerk – haben mit uns gemeinsam Chatbot-Projekte entwickelt und Awards gewinnen können. Somit nahm die Agenturarbeit immer mehr Anteil unserer Zeit ein und wir wurden innerhalb weniger Monate zu einer der ersten Adressen für Digital Agenturen, wenn es um die Umsetzung von Chatbots ging. Unsere DNA war es ein Produkt zu entwickeln und nicht beratend oder als Agentur sich von Projekt zu Projekt zu hangeln. Daher haben wir neue Geschäftsmodelle ausgelotet und Ideen rund um das Thema Chatbots gesucht und ausprobiert. Unsere ursprüngliche Reiseidee geriet dabei immer weiter in den Hintergrund und mit der Zeit wurde sie schweren Herzens, nur noch ein Ordner in der Dropbox. Da wir bei der neuen Ära an Chatbots von Anfang an dabei waren, haben wir viele Ansätze gehabt, ein Business in der Chatbot Ökonomie aufzubauen. Dabei waren wir sehr offen für Partnerschaften und haben sogar für die Umsetzung einer Idee eine weitere UG gegründet. Es sollte aber gut zwei Jahre dauern bis sich die klare Vision von moinAI herausgestellt hat und wir nun einen sehr fokussierten Pfad mit einem klaren Ziel und einem zum Teil geänderten Gründerteam beschreiten.

Was war die größte Herausforderung, was die größte Schwierigkeit bei diesem Wandel?
Die größte Herausforderung war es, die Idee zu knowhere endgültig hinter uns zu lassen und mit neuer Energie nach vorn zu schauen. Wir haben knowhere gegründet, weil wir alle fest daran geglaubt haben. Aber ohne vollen Fokus auf die Reiseapp, machte es keinen Sinn. Das Ganze in die Schublade zu packen, hat uns viel Überwindung und Kraft gekostet. Schwierig war dabei für uns die Frage, wie es weitergehen soll und ob noch genug Energie für einen zweiten Anlauf in einem neuen Feld vorhanden ist. Denn zu diesem Zeitpunkt wussten wir auch noch nicht, ob Chatbots überhaupt das Thema sein werden, das uns über die Zeit begeistert und motiviert.

Welche Veränderungen waren in Sachen Personal nötig – ein B2B-Unternehmen braucht doch vermutlich andere Mitarbeiter als ein B2C-Start-up?
Mit dem Richtungswechsel kam auch ein Wechsel in unserem Gründungsteam. Zwei Gründungsmitglieder haben uns verlassen. Glücklicherweise konnten wir in unserem Netzwerk Chatbot-Enthusiasten Frederik Schröder überzeugen mit an Bord zu kommen. Er war Gründer einer Messenger-Marketing-Agentur und daher voll im Thema. Er übernahm bei uns die Verantwortung des bis dahin fehlenden Vertriebs und hat diesen über die letzten Jahre skaliert. Außerdem haben wir früh ein Customer-Success-Team aufgebaut, welches ein elementarer Erfolgsfaktor ist, für uns im B2B Enterprise-Segment.

Welchen Tipp gibst du anderen Gründern, die vor einem Pivot stehen?
Nicht jeder wird glücklich sein, wenn sich die ursprüngliche Route ändert und es kann passieren, dass nicht mehr alle an einem Strang ziehen. Wichtig ist, dass die Entscheidung gemeinsam getroffen wird und alle an Bord zufrieden sind. Ein respektvoller und transparenter Umgang mit viel Verständnis für jede Seite, ist in einer solchen Situation gefragt. Die Motivation zu einem Pivot sollte nicht aus Lust und Laune auf etwas Neues oder von Außen getrieben sein. Vielmehr ist es wichtig, sich mit dem neuen Geschäftsmodell identifizieren zu können und zu schauen, ob der neue Markt mehr Erfolgschancen verspricht.

Wie genau hat sich MoinAI seit dem Start entwickelt?
Zu Beginn waren wir sehr von der Idee getrieben, ein Investment zu erhalten um dann skalieren zu können. Sahen dies auch als einzigen Weg. Seit der Gründung sind wir deutlich von diesem Kurs abgekommen und haben uns nachhaltig selbst skaliert und sind nicht von Investoren-KPIs getrieben. Unser Wachstum ist von unserem Erfolg abhängig und beides steigt stetig. Zudem sind wir stolz darauf sagen zu können das wir ein echtes bootstrapped SaaS-Unternehmen sind.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist MoinAI inzwischen?
Seit Anfang 2020 haben wir unsere Zahl an Mitarbeiter:innen auf über 20 verdoppeln können. Unser MRR ist in den letzten 12 Monaten um 150 % gestiegen und unser ARR ist inzwischen
siebenstellig. Wir haben Kund:innen in Polen, Dänemark, Schweiz, Italien und vielen weiteren europäischen Ländern. Im Dezember 2020 haben wir ein zweites Office in Düsseldorf eingeweiht und ermöglichen es allen Mitarbeiter:innen Remote zu arbeiten.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Zu Beginn von moinAI haben wir uns von großen Kund:innen beeindrucken lassen und viele ihrer Wünsche erfüllt. Hier mussten wir viel lernen, denn kundenspezifische Wünsche kosten Zeit und damit auch Geld. Die meisten dieser Wünsche ließen sich nicht für andere Kund:innen einsetzen und waren danach Insellösungen. Aber auch vor dieser Zeit sind viele unserer Ideen und Partnerschaften im Grunde gescheitert. Aber jeder Fehlversuch war ein Schritt nach vorne aus dem wir gelernt haben.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Probleme und Ideen pragmatisch zu lösen und zu machen anstatt Dinge tot zu diskutieren. Ein “Geht nicht”, gibt’s bei uns in der Unternehmenskultur nicht. Wir versuchen immer eine Lösung zu finden und sind hierbei sehr hartnäckig. So kamen wir auch zu unserem selbst entwickelten NLP-System. Denn zu Beginn haben wir für unsere KI das NLP-System von Google genutzt. Wir waren beschränkt durch die Funktionalitäten und der Black Box von Google, konnten aber so mit unseren Kunden sehr schnell Erfolge feiern. Den Schritt zu wagen ein eigenes System aufzubauen war ein großer, aber auch der notwendig richtige Schritt. Nun haben wir unser in Deutschland laufendes und entwickeltes KI-System, welches zugeschnitten auf unser Produkt ist. Auch hat es uns ermöglicht intelligente Ansätze aus der Reiseapp aus der Schublade zu kramen und auf neue Problemstellungen zu adaptieren. Typeform und Google Docs haben uns bei OnBoardings neuer Kunden geholfen, bevor wir solche Funktionen in unserem eigenen Backend entwickelt haben. So konnten wir viel ausprobieren und es wurden die wichtigen Prozesse in unserer eigenen Software abgebildet. Die beste Entscheidung war die Transformation von einer Chatbot-Entwickler-Agentur zu einem festen SaaS-Produkt. Denn ein Produkt passt ideal zu unserer Denkweise und treibt unsere Motivation.

Wo steht MoinAI in einem Jahr?
Wir werden es Unternehmen noch einfacher machen, Chatbots in die Kundenkommunikation zu integrieren. Unser Versprechen, dass die moinAI Plattform ohne großen Aufwand (Plug & Play) eingebunden werden kann, werden wir in den nächsten Monaten weiter vorantreiben, um uns so von der Konkurrenz abzusetzen. So sinkt die Einstiegshürde und auch die initialen Kosten für einen Chatbot. Außerdem werden wir weiterhin zeigen, dass “KI made in Germany” für Innovation, Datensicherheit und Erfolg steht.

Startup-Jobs: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung? In der unserer Jobbörse findet Ihr Stellenanzeigen von Startups und Unternehmen.

Foto (oben): aileen höltke/ chapchaplin

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.