#Interview

Ein Startup, das Workflow Automation für die Masse verfügbar macht

Levity macht es möglich, diverse Vorgänge zu automatisieren. "Trotz eines funktionierenden Prototyps war es schwierig, Investoren davon zu überzeugen, dass wir ohne akademischen Hintergrund in der Informatik die Fähigkeiten haben, ein KI-Thema anzugehen", sagt Gründer Thilo Hüllmann.
Ein Startup, das Workflow Automation für die Masse verfügbar macht
Montag, 1. März 2021VonAlexander Hüsing

Das Berliner Startup Levity, das von Thilo Hüllmann und Gero Keil gegründet wurde, möchte Workflow Automation für die Masse verfügbar machen. “Im Prinzip trainiert man Levity darauf, Dokumente, Bilder oder Text richtig zu erkennen indem man dem System Beispiele aus der Vergangenheit zeigt. Ist dieser Vorgang abgeschlossen kann man Levity mit wenigen Klicks direkt an jedes beliebige System, in dem die Daten auftauchen, anschließen wie etwa das E-Mail-Postfach”, erklärt Gründer Hüllmann.

Angular Ventures, System.One, Discovery Ventures, Martin Henk und weitere Angel-Investoren investierten zuletzt 1,7 Millionen US-Dollar in Levity. “Trotz unseres guten Netzwerks war die erste Finanzierung eine große Herausforderung. Da weder mein Mitgründer noch ich einen akademischen Hintergrund in der Informatik haben, war es am Anfang trotz funktionierenden Prototyps und erster zahlender Kunden schwierig, Investoren davon zu überzeugen, dass wir die Fähigkeiten haben, ein KI-Thema anzugehen”, sagt der Levity-Macher.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Levity-Gründer Hüllmann außerdem über Wertschöpfungsketten, Rückenwind und Wartelisten.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Levity erklären?
Viele Menschen verbringen einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit repetitiven Aufgaben wie dem Sortieren von E-Mail-Anhängen oder dem Weiterleiten von Kundenanfragen an den richtigen Ansprechpartner. Levity macht es möglich diese Vorgänge eigenständig zu automatisieren, ohne dabei auf technische Expertise angewiesen zu sein. Im Prinzip trainiert man Levity darauf, Dokumente, Bilder oder Text richtig zu erkennen indem man dem System Beispiele aus der Vergangenheit zeigt. Ist dieser Vorgang abgeschlossen kann man Levity mit wenigen Klicks direkt an jedes beliebige System, in dem die Daten auftauchen, anschließen wie etwa das E-Mail-Postfach. Im Ergebnis hat man mehr Zeit für Dinge die wirklich Wert stiften und Spaß machen, wie kreative und strategische Aufgaben.

Hat sich das Konzept seit der ersten Idee irgendwie verändert?
Da wir nicht alles auf einmal bauen konnten – vor allem in der Anfangsphase – haben wir das Produkt mit unseren Pilotkunden entlang der Wertschöpfungskette eines Automatisierungsprojekts entwickelt. Meistens beginnt ein solches Projekt mit historischen Rohdaten, die so umformatiert werden müssen, dass die KI von ihnen lernen kann und endet mit der Implementierung in bestehende Systeme und Prozesse. Im ersten Jahr, als wir noch keine Investoren hatten und zu zweit aus unserem Wohnzimmer gearbeitet haben, waren es vielleicht 10 % Produkt und 90 % manuelle Arbeit. Durch diese Projekte konnten wir dann in kurzer Zeit viel lernen und unsere Roadmap klar definieren. Heutzutage nutzen unsere Kunden Levity komplett eigenständig, d.h. sie benötigen weder einen Entwickler, noch andere Software oder unsere manuelle Unterstützung um ihre Prozesse Ende-zu-Ende zu automatisieren.

Wie ist überhaupt die Idee zu Levity entstanden?
Wir haben ursprünglich – 2018 – an einer anderen Idee gearbeitet und hätten Levity gebraucht, um diese zu verwirklichen. Konkret ging es darum, Informationen über Unternehmen aus Texten – etwa News, Blogs, Social Media – zu extrahieren und Vertrieblern zur Verfügung zu stellen. Als wir uns dann nach Software umgeschaut haben, um dieses Vorhaben umzusetzen wurde uns klar, dass wir viele verschiedene teure und komplexe Produkte kombinieren müssten, die hauptsächlich auf Experten – KI-Entwickler – ausgelegt sind. Also haben wir kurzerhand entschieden unsere eigenen internen Tools zu bauen. Daraus ist dann Levity entstanden, als wir gemerkt haben, dass wir nicht die einzigen sind, die mit dieser Herausforderung konfrontiert sind.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Wir gehören zum Glück zu den Startups die durch die Corona-Krise eher an Rückenwind gewonnen haben. Klar, auch bei uns gab es einige Unternehmen im Kundenstamm, die stark unter der Krise gelitten haben, aber das hat sich nicht negativ auf das Interesse an unserem Produkt ausgewirkt. Im Gegenteil, viele Unternehmen schauen sich jetzt noch viel mehr als vorher nach neuen Lösungen für Prozessautomatisierung um.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Grundsätzlich verfolgen wir ein klassisches Software-as-a-Service-Modell mit monatlichen und jährlichen Subscriptions. Zudem gibt es bei uns noch die Volumen-Komponente, d.h. jemand der 100.000 Dokumente pro Monat mit uns verarbeitet zahlt mehr als jemand der nur 10.000 verarbeitet.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist seit der Gründung so richtig schief gegangen?
Trotz unseres guten Netzwerks war die erste Finanzierung eine große Herausforderung. Da weder mein Mitgründer noch ich einen akademischen Hintergrund in der Informatik haben, war es am Anfang trotz funktionierenden Prototyps und erster zahlender Kunden schwierig, Investoren davon zu überzeugen, dass wir die Fähigkeiten haben, ein KI-Thema anzugehen. Oft haben wir gehört “meldet euch wieder wenn ihr einen CTO-Mitgründer habt” oder “lasst uns in sechs Monaten wieder sprechen wenn ihr mehr Traction habt”. Zudem gibt es in Deutschland leider nur sehr wenige Investoren die sich mit B2B-Software und DeepTech wirklich auskennen. Letztendlich konnten wir aber Angular Ventures aus London als Lead-Investor gewinnen, die sich ausschließlich auf Frühphaseninvestments in diesem Themenbereich fokussieren. Mit einem großartigen Team und Produkt sowie mehreren Tausend Unternehmen auf der Warteliste ist das Fundraising heutzutage kein Problem mehr.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Die meisten Entscheidungen die in Startups gefällt werden erweisen sich erst im Nachhinein als richtig oder falsch, da man sehr viele in kurzer Zeit und mit zu wenigen Informationen treffen muss. Vor diesem Hintergrund finde ich es wichtig, die Dinge hervorzuheben, die sich in unserem Fall als richtige Entscheidungen erwiesen haben, obwohl die herrschende Meinung eine andere ist. Schon vor der Corona-Krise haben wir unser Team sehr distribuiert und remote aufgebaut somit war es für uns keine große Umstellung als der Lockdown kam. Statt uns wie viele andere KI-Startups auf DAX-Unternehmen zu fokussieren und zu versuchen große Deals ans Land zu ziehen, liegt unser Fokus auf KMUs. Dadurch sind wir gezwungen, ein Produkt zu entwickeln das für die Masse funktioniert und komplett eigenständig von unseren Nutzern implementiert werden kann. Zudem haben wir uns bewusst dagegen entschieden uns auf einen bestimmten Anwendungsfall oder eine bestimmte Industrie zu fokussieren weil es die Produktentwicklung zu sehr in eine Richtung gelenkt hätte, die man später nur schwer hätte korrigieren können. Da das Produkt komplett horizontal und Industrie-agnostisch ist, hat die Entwicklung zur Marktreife vergleichsweise viel Zeit und Ressourcen in Anspruch genommen und die initiale Kundengewinnung zur Herausforderung gemacht, unser langfristiges Wachstumspotential ist dadurch jedoch um ein Vielfaches höher als bei unseren vertikal fokussierten Marktbegleitern.

Wo steht Levity in einem Jahr?
Bisher sind wir ein kleines Team von 12 Leuten. Im Zuge der Finanzierung und des Markteintritts wollen wir das Team allerdings stark erweitern. Zudem ist das Ziel uns als die Standardlösung für Automatisierung von Prozessen mit unstrukturierten Daten – Bilder, Dokumente, Text – zu etablieren. Aktuell ist dieser Bereich noch eine grüne Wiese weil die meisten unserer Nutzer mangels Alternativen die Prozesse noch komplett manuell ausführen. Das gibt uns die Möglichkeit eine neue Kategorie von Software zu kreieren und den Markt aktiv mitzugestalten.

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Foto (oben): Levity

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.