#Interview

“Wir waren für viele Unternehmen ein digitaler Rettungsschirm”

Bei zahlreichen vertriebsintensiven Unternehmen kommt Flexperto zum Einsatz. Zuletzt konnte das Startup massiv wachsen. "Wir haben unseren Umsatz binnen vier Monaten verdoppeln können", sagt Mitgründer Felix Anthonj.
“Wir waren für viele Unternehmen ein digitaler Rettungsschirm”
Donnerstag, 22. Oktober 2020VonAlexander Hüsing

Beim Berliner Startup Flexperto dreht sich alles um Kundenkommunikation. Das Unternehmen bietet eine Communication Cloud als SaaS Lösung an und stelle diese vor allem vertriebsintensiven Unternehmen aus der Finanz-, Energie oder Telekommunikationsbranche für ihren Vertriebsdialog zur Verfügung. “Als klassisches SaaS-Modell zahlen uns die Kunden eine monatliche oder jährliche Lizenzgebühr für die Arbeitsplätze, die flexperto nutzen”, sagt Mitgründer Felix Anthonj.

Investoren wie hub:raum, der Inkubator der Deutschen Telekom, die IBB Beteiligungsgesellschaft, Berliner Volksbank Ventures und Redstone investierten in den vergangenen Jahren rund 4 Millionen Euro in Flexperto, das 2015 an den Start ging. Inzwischen wirken rund 25 festangestellte Mitarbeiter für das Startup. Zuletzt konnte das Unternehmen stark wachsen: “Die Corona-Krise war für uns echtes Business-Doping. Unsere Nutzungsraten sind innerhalb von zwei Wochen um über 2000 % gewachsen, wir haben unseren Umsatz binnen vier Monaten verdoppeln können”.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Flexperto-Macher Anthonj außerdem über Traditionsunternehmen, Gutscheine und Video-Tutorials.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Flexperto erklären?
Oma, du musst jetzt nicht mehr in die Bankfiliale fahren, weil du nun über dein Tablet ganz einfach mit einem Knopfdruck deinen Bankberater per Videochat sehen kannst, Unterlagen besprechen und auch rechtssicher alles unterschreiben kannst. Alles was du vorher vor Ort machen musstest, kannst du nun auch bequem von zu Hause machen, bleibst gesund und schonst dein Knie. Und das funktioniert, weil deine Bank jetzt unsere Software-Lösung flexperto nutzt.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Wir sind in 2013 mit einem Marktplatz für Onlineberatung an den Start gegangen. Endkunden konnten Gesundheits-, Rechts- oder Finanzexperten suchen und dann per Videochat gegen eine kleine Gebühr ihre Fragen klären. 2014 haben wir unser Geschäftsmodell dann hin zu einem B2B-Ansatz gewandelt und stellen seitdem unsere Communication Cloud als SaaS-Lösung vor allem vertriebsintensiven Unternehmen aus der Finanz-, Energie oder Telekommunikationsbranche für ihren Vertriebsdialog zur Verfügung.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Die Corona-Krise war für uns echtes Business-Doping. Unsere Nutzungsraten sind innerhalb von zwei Wochen um über 2000 % gewachsen, wir haben unseren Umsatz binnen vier Monaten verdoppeln können. Die harte Arbeit der Vorjahre hat sich ausgezahlt und viele Bestandskunden von uns konnten in kürzester Zeit ihren Vertrieb auf digitale Kanäle wie Videochat umstellen, ohne Umsatzeinbußen. Wir waren für viele Unternehmen gewisser Maßen ein digitaler Rettungsschirm.

Wie ist überhaupt die Idee zu Flexperto entstanden?
Im Studium hat es uns gestört, dass wir Informationen im Onlinekanal praktisch ausschließlich in Form von redaktionellem Content, Video-Tutorials oder undurchsichtigen Foren erhalten konntest. Wir waren überzeugt: Für jedes Problem gibt es da draußen einen passenden Experten. Und wir wollten den Weg zu diesem Expertenrat so einfach und flexibel wie möglich gestalten. Auch heute zählt für uns vor allem eins: Das Internet persönlicher machen und den Zugang zu persönlicher Beratung vereinfachen.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Als klassisches SaaS-Modell zahlen uns die Kunden eine monatliche oder jährliche Lizenzgebühr für die Arbeitsplätze, die flexperto nutzen. Wir haben dabei sowohl eine Lösung für selbstständige und kleinere Unternehmen, als auch eine Enterprise-Lösung, wo wir oft mehrere Tausend Mitarbeiter mit der Lösung ausstatten.

Wie hat sich Flexperto seit der Gründung entwickelt?
Wir sind heute der deutsche Marktführer für die digitale Kundenkommunikation im Vertrieb. Das war insbesondere in den ersten Jahren in den von uns fokussierten traditionellen Branchen, wie Versicherungen und Banken ein sehr steiniger Weg, da auch die Bereitschaft für eine Transformation des Vertriebs nicht wirklich da war. In den letzten zwei bis drei Jahren haben aber immer mehr unserer Zielkunden erkannt, dass sie durch die Onlineberatung sich nicht vom Kunden entfernen, sondern ganz im Gegenteil die Kontaktfrequenz und Kundenzufriedenheit durch den vereinfachten Zugang zu persönlicher Beratung steigt. Vertriebe, die Onlineberatung einsetzen, sind effizienter, kundenfreundlicher und profitabler.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Flexperto inzwischen?
Wir haben heute circa 25 festangestellte Mitarbeiter, wachsen stark profitabel um mehr als 150 % pro Jahr, haben knapp 50 Enterprise-Kunden und über 15.000 Kunden im Mass Market. Zu unseren Groß-Kunden zählen große Versicherungen und Banken, zum Beispiel MLP, DEVK, HUK-Coburg, die W&W Gruppe, Berliner Volksbank, aber auch viele Energiedienstleister, zum Beispiel die EWE aus Oldenburg oder Innogy. Auch im Telekommunikationsmarkt sind wir stark vertreten mit Kunden und Partnern wie EWE und der Deutschen Telekom.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Die deutschen Traditionsunternehmen, insbesondere die Banken, haben viel zu spät erkannt, dass digitale Beratung die Zukunft ist. Jetzt durch die Corona-Krise merken viele, welche Vorteile die Kommunikation über Distanz haben kann – vielleicht für einige die Rettung, da sie zum Handeln gezwungen waren. Aber auch wir mit flexperto haben viel ausprobiert und nicht alles hat funktioniert. Ein Beispiel: In 2014 haben mein Co-Founder Marcel und ich mal versucht Gutscheine für unseren Marktplatz auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zu verkaufen – nach sechs Stunden hatten wir ganze 30 Euro verdient und waren durchgefroren. Danach sind wir dann auf den Enterprise-Vertrieb umgestiegen.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Enterprise Sales ist nicht einfach. Und Enterprise Sales im deutschen Finanzdienstleistungssektor erfordert enormes Durchhaltevermögen und ein hervorragendes Relationship-Management und Marketing. Wir haben in wenigen Jahren ohne jegliche Vorerfahrung Referenzen aufgebaut, auf die auch die großen Software-Player wie Salesforce nur neidisch blicken können, obwohl sie deutlich mehr Erfahrung, Marketing- und Vertriebsbudget haben. Da sind wir schon ziemlich stolz drauf. Wer heute Enterprise-Sales in einem deutschen Software-Unternehmen lernen möchte, der kommt zu flexperto.

Wo steht Flexperto in einem Jahr?
Wir sind auf einem guten Weg im europäischen Ausland und etablieren uns dort ebenfalls als Marktführer für die digitale Vertriebskommunikation.

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Foto (oben): Flexperto

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.