#Interview

“Als Startup kannst du dir es nicht leisten, die falschen Personen mitzuziehen”

Gründeralltag - gibt es das überhaupt? "Als Berater habe ich mir schon vor Jahren einen Rhythmus angewöhnt, der für mich persönlich sehr gut funktioniert. Unter der Woche konzentriere ich mich zu 100 % auf die Arbeit". sagt Til Klein, Gründer von Vantik.
“Als Startup kannst du dir es nicht leisten, die falschen Personen mitzuziehen”
Freitag, 2. Oktober 2020VonAlexander Hüsing

Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Til KleinGründer des Altersvorsorge-Startups Vantik.

Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Mein Alltag hat sich durch Corona komplett verändert. Seit Mitte März arbeiten mein Freund und ich vom Homeoffice aus – erst komplett, mittlerweile wieder im Wechsel mit Büroarbeit. Wenn wir zu Hause in den Arbeitstag starten, stehen wir um 6 Uhr auf. Dann gehe ich mit unserem Hund eine Stunde im Wald joggen, denn dabei kann ich ganz gut Probleme lösen und Entscheidungen treffen. Danach füttere ich den Hund, dusche, mache mir einen Kaffee und plane meinen Tag. Bis zum ersten Call habe ich ca. zwei Stunden Zeit, in denen ich mich gut konzentrieren und auf wichtige Dinge fokussieren kann. Sobald der Telefonwahnsinn losgeht, gibt es den “ganz normalen Arbeitsalltag” nicht mehr, denn jeder Tag bringt eine neue Überraschung.

Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Als Berater habe ich mir schon vor Jahren einen Rhythmus angewöhnt, der für mich persönlich sehr gut funktioniert. Unter der Woche konzentriere ich mich zu 100 % auf die Arbeit. Am Wochenende blende ich die Arbeit komplett aus. Das funktioniert für mich persönlich sehr gut. Die Woche ist komplett dem Job gewidmet. Das heißt, dass ich unter der Woche “nur” darauf achte, einigermaßen genug Schlaf und Bewegung zu bekommen. Zum Hochfahren am Morgen und Herunterfahren am Abend bin ich vor Corona circa eine halbe Stunde ins Büro und nach Hause gelaufen. Momentan ersetzen das die Spaziergänge mit unserem Hund. Am Wochenende, von Freitagabend bis Sonntagmittag, kann ich den Job dann sehr gut ausblenden. Die Zeit gehört meinem Freund, unserem Hund, meiner Familie und meinen Freunden. Sonntagnachmittags setze ich mich dann gerne wieder an den Schreibtisch, vor allem für Themen, für die man Zeit und Ruhe braucht.

Was über das Gründer-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Wie schwierig es ist, wirklich Top-Level-Mitarbeiter*innen zu bekommen! Aus meiner Zeit bei BCG war ich natürlich sehr verwöhnt, was die Pipeline an super motivierten Menschen fürs Team angeht. Im Nachhinein verstehe ich noch besser, warum Unternehmensberatungen wie BCG oder McKinsey so viel Ressourcen fürs Recruiting verwenden. Als Startup hast du am Anfang kein Brand, vergleichsweise wenig Geld und vor allem keine komplettes Recruiting-Team. Das heißt: Um Top-Leute zu bekommen, musst du das x-fache an Zeit und Geld aufwenden. Mein Rat daher an alle Gründer*innen: Recruiting ist entscheidend, plant viele Ressourcen dafür ein!

Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Mit Vantik wollen wir die Altersvorsorge einfacher machen. Aber Geldanlage ist in Deutschland generell stark reguliert. Das ist grundsätzlich richtig und notwendig. Aber leider verfehlt die Regulierung oftmals ihr Ziel. Statt die Verbraucher*innen zu schützen, werden die Banken vor ihnen geschützt. Wir sind zum Beispiel rechtlich gezwungen, den Kund*innen mehrere hundert Seiten komplizierter rechtlicher Texte zur Verfügung zu stellen. Das schützt vor allem uns als Finanzdienstleister vor der Haftung – aber die Verbraucher*innen haben gar nichts davon. Hier wäre ein generelles Umdenken seitens des Regulierers wünschenswert, denn nur mit mehr Transparenz kann Vertrauen seitens der Verbraucher*innen aufgebaut werden.

Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Mein größter Fehler war, mich nicht schnell genug von Mitarbeiter*innen getrennt zu haben, die entweder ihrem Job nicht gewachsen waren oder nicht voll hinter dem Produkt standen. Ohne die notwendige Überzeugung vom Produkt fehlt die notwendige Passion für den Job. Das zeigt sich übrigens schon im Bewerbungsprozess. Bewerber*innen, die nicht mal so viel Interesse haben, dass sie das Produkt vorher mal ausprobiert haben, lehne ich gleich ab. Als Startup kannst du dir es nicht leisten, die falschen Personen mitzuziehen.

Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Wirklich gute Mitarbeiter*innen zu finden, ist nicht leicht. Die besten Mitarbeiter*innen haben wir fast immer direkt oder indirekt über unser Netzwerk gefunden. Gerade Investoren mit einem guten Netzwerk können hierbei Gold wert sein. Mit Atlantic Labs und STS Ventures haben wir Investoren mit einem großen Netzwerk von Top-Talenten gewonnen, die sie möglichst innerhalb ihres Portfolios weitervermitteln. Das ist natürlich eine Win-win-Situation für alle.

Welchen Tipp hast Du für andere Gründer?
Fokus, Fokus, Fokus. Insbesondere kleine Unternehmen, aber das gilt auch für große Unternehmen, können nur ein paar Dinge gleichzeitig wirklich sehr gut machen. Daher fokussiere dich auch die absolut wichtigsten Dingen. Das tut manchmal sehr weh, weil man gerne 100 Ideen gleichzeitig umsetzen möchte. Aber auch hier gilt, weniger ist meistens mehr. Und unterschätze nicht deine Rolle als Gründer*in. Dein Fokus ist der Fokus des Unternehmens. Für Gründer*innen im Bereich FinTech und InsurTech ist die richtige Einstellung zum Thema Compliance besonders wichtig. Regulierung ist richtig und wichtig. Aber in einigen Fälle ist die Regulierung bzw. die Umsetzung nicht im besten Interesse der Verbraucher*innen. Über hundert Seiten Vertragsdokumente in unverständlichem Juristendeutsch schaffen nicht mehr, sondern weniger Transparenz und Vertrauen. Daher kann ich nur empfehlen, das Thema Compliance nicht allein den Juristen*innen zu überlassen.

Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Ehrlich gesagt: keines. Tools sind Tools und kein Selbstzweck. Ja, es gibt zahlreiche Tools, die uns das Leben erleichtern. Aber es gibt inzwischen für jedes Thema mehrere Lösungen, die jeweils Vor- und Nachteile mit sich bringen und austauschbar sind. Das ist oftmals eine Gewohnheitsfrage. Ich musste mich nach 15 Jahren Windows etwa auf Mac OS umstellen. Das ist nicht unbedingt besser, sondern einfach anders.

Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Erfolg ist der beste Garant für eine gute Stimmung im Team. Daneben spielt der soziale Aspekt eine große Rolle. Der wöchentliche Team Lunch, monatliche Teamevents, aber auch das Feierabendbier auf der Dachterrasse sind wichtig. Der fehlende soziale Austausch ist auch für uns bei Vantik die größte Herausforderung durch Corona. Wir alle vermissen den informellen Austausch untereinander und versuchen, dass virtuell und digital – so geht es eben nur geht – zu kompensieren.

Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Da gibt es einige. Der Launch von Vantik 2019 war zum Beispiel “intensiv”. Bis zum Tag X musste die neue Webpage und Onboarding-Strecke fertig sein. Wie das immer so ist, hat sich einiges verzögert. Da wir den Termin schon in der Presse angekündigt hatten, war eine Verschiebung nicht mehr möglich. Um 3:00 Uhr nachts haben wir die neue Webseite dann doch noch rechtzeitig live geschaltet. “Wild” war aber besonders diese Episode: Im Sommer letzten Jahres haben wir mit dem Team einen Bootsausflug auf der Havel gemacht. Auf dem Rückweg sind wir mit Motorschaden liegen geblieben und mussten zwei Stunden warten, bis wir abgeschleppt wurden. Zwei Teammitglieder mussten aber am Abend noch zum Flughafen. Um ihren Flieger zu bekommen, mussten sie ans Ufer schwimmern und per Anhalter weiterfahren… Aber sie haben ihren Flieger noch bekommen!

Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.

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Foto (oben): Vantik

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.