#Interview

“Das Insektensterben ist keine Verschwörungstheorie”

Die Dattelner Jungfirma Carrot betreibt bisher die beiden Plattformen MeinHuhn und MeineBlumenwiese. "Das Ruhrgebiet und das Rheinland stellen einen hervorragenden Absatzmarkt für regionale und ökologische landwirtschaftliche Produkte dar", sagt Gründer Elmar Bresser.
“Das Insektensterben ist keine Verschwörungstheorie”
Montag, 6. April 2020VonAlexander Hüsing

In Datteln – abseits der großen Startup-Hotspots – sind Carsten Abenhardt und Elmar Bresser mit ihrem Startup Carrot zu Hause. Die Jungfirma betreibt bisher die beiden Plattformen MeinHuhn und MeineBlumenwiese. “Wir haben Carrot in 2019 gegründet und zu Beginn mit der Plattform MeinHuhn gestartet. Hier können Hühnerpatenschaften für glückliche Hühner in der Umgebung gesucht und übernommen werden. MeineBlumenwiese verbindet die Naturfreunde und Landwirte. Damit können auf landwirtschaftlichen Flächen Blumenwiesen geschaffen werden”, sagt Mitgründer Bresser zur Entstehungsgeschichte des naturnahen Unternehmens. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Carrot-Gründer außerdem über das Insektensterben, Futtermöhren und Landwirtschaft im Allgemeinen.

Welches Problem wollt Ihr mit Carrot lösen?
Das Insektenstensterben ist ein großes Problem, wir bieten mit MeineBlumenwiese eine schnelle unbürokratische Lösung an der sich jeder beteiligen kann. Häufig wird beklagt, was kann ich als Bürger gegen das Insektensterben oder für eine in deinem Sinne geänderte Landschaft und Landwirtschaft tun?! Wir sagen, du kannst darüber reden, bei Fridays For Future mitlaufen, du kannst weniger Müll produzieren oder auf Plastik verzichten. Du kannst auch Forderungen stellen die andere belasten, dich selbst jedoch nicht. Aber – hilft das wirklich? Eine nachhaltige Veränderung deines landwirtschaftlichen Umfelds und damit der Landschaft ist aber wirklich möglich. Die Welt besteht aus einem komplexen Ökosysten, in dem Insekten eine wesentliche Rolle spielen. Das Überleben der Insekten ist für uns Menschen lebensnotwendig. Das Insektensterben ist keine Verschwörungstheorie, es ist wissenschaftlich bewiesen, dass circa 70 % der Insektenarten in Deutschland rückläufig und circa 40 % bedroht sind. Wir wollen dem entgegenwirken.

Wie genau?
Wir wollen jedem Bürger die Möglichkeit bieten etwas Gutes für die Umwelt und gegen das Insektensterben zu tun. MeineBlumenwiese verbindet die Naturfreunde und Landwirte. Damit können auf landwirtschaftlichen Flächen Blumenwiesen geschaffen werden. Jeder Naturfreund hat die Möglichkeit für 1 Euro pro Quadratmeter eine Lebensraum für Insekten zu schaffen. MeineBlumenwiese ist eine Plattform, die die Interessen der Landwirtschaft und des Naturschutz miteinander kombiniert und vereint. Somit wird der Einklang zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und der ökologischen Notwendigkeit von Insekten und Pflanzenvielfalt gestärkt und beide Parteien profitieren voneinander. Motivierte Landwirte bieten einen Teil ihrer Flächen für die Allgemeinheit an, um dort im Zyklus einer Blühperiode Blumen, Naturgräser durch sogenannte Blühstreifen wachsen zu lassen. Dabei steht der natürliche Wachstumsprozess im Vordergrund und bietet so den unterschiedlichsten Insekten- und Tierarten ein neues zuHause.

Wie ist überhaupt die Idee zu Meine-Blumenwiese entstanden?
Wir haben die Carrot GmbH in 2019 gegründet und zu Beginn mit der Plattform MeinHuhn gestartet. Hier können Hühnerpatenschaften für glückliche Hühner in der Umgebung gesucht und übernommen werden. Unsere erste Idee war eigentlich Meine-Möhren. Wir wollten Futtermöhren direkt an Pferdehalter vermarkten. Das Problem ist jedoch die letzte Meile zum Kunden. Hier sind die Kosten so hoch, dass es sich nicht lohnt. So haben wir dann von den Möhren zunächst nur den Namen Carrot GmbH behalten.

Wie seid ihr dann zu Ei gekommen?
Das Ei ist das perfekte Nahrungsmittel um eine Direktvermarktung zu starten. Es ist ausgesprochen vielseitig einsetzbar, gesund, lecker und lange haltbar. Ich habe mir daher auch einen Hühnerstall auf mein Grundstück gestellt und meine Kinder lieben es. Wir möchten auch den Menschen die Nahrungsmittelproduktion näher bringen und einen engeren Bezug zur täglichen Nahrung schaffen. Darüber hinaus möchten wir Kunden die Möglichkeit geben sich vom Verbraucherschutz vor Ort zu überzeugen. Aber da wir nicht nur Eier vermarkten wollen, haben wir dann Hühner und auch Hahnpatenschaften in unseren Ställen angeboten. Wir haben hier mittlerweile viele Ställe und viele glückliche Kunden, die sich beim Tag des offenen Stalls vor Ort von ihren glücklichen Hühnern überzeugen können. Im Januar diesen Jahres ging dann unsere Plattform MeineBlumenwiese online. Wir bieten aktuell circa 50 Hektar an, welche wir an Firmen und Privatpersonen vermarkten wollen. Auch dieses Modell hat das Ziel Landwirten alternative Einkommensmöglichkeiten zu geben und sie so in die Lage zu versetzen einen Beitrag für die Umwelt zu leisten. Diese Beiträge können aber viel besser geleistet werden, wenn sich viele daran beteiligen und dies auf unbürokratische Weise.

Wo steht Carrot in einem Jahr?
Wir wollen gerne einen Landwirt und einen Datenanalysten einstellen. Unser Ziel ist die Verbindung der Landwirtschaft mit digitalen Techniken im Bereich des Onlinemarketing. Wir arbeiten darüber hinaus daran auch außerhalb von Nordrhein-Westfalen je Bundesland Area Manager einzusetzen, welche die Landwirte für MeineBlumenwiese und MeinHuhn akquirieren sollen. Bei MeineBlumenwiese wollen wir die 50 Hektar vermarkten und das Projekt inhaltlich weiter entwickeln, hierbei wird ein Schwerpunkt ein Produkt für mehrjährige Blumenwiesen sein. Bei MeinHuhn wollen wir 30 Hühnerställe mit Schwerpunkt im Ruhrgebiet und Rheinland gewinnen und natürlich die Kunden dazu.

Reden wir zudem noch über das Ruhrgebiet. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Ich würde die Frage mit einer Gegenfragen beantworten, was spricht für Berlin? Heute sind alle Hipster und Busy. im Ruhrgebiet steht man noch auf ehrliche Arbeit, die man in ein Startup stecken muss, um es auch erfolgreich zu machen. Hier sind ehemalige Kumpel, Landwirte und Industriemalocher am Werk. Da fehlt uns keiner aus Berlin. Geld kann zwar, wie im Amerikanischen Modell sofort zu großem Einfluss führen, aber wir wollen lieber jedes Jahr etwas wachsen. Mehr Kunden und Landwirte für unsere Idee gewinnen und die glücklichen Kunden langfristig binden.

Was genau macht den Reiz der Startup-Szene in Datteln aus?
Unsere Stadt Datteln hat keine Startup-Szene, aber wir leben hier im Ruhrgebiet. Wir sind allein durch unsere landwirtschaftlichen Betriebe tief mit dem Ruhrgebiet verwurzelt. Darüber hinaus stellt das Ruhrgebiet und das Rheinland einen hervorragenden Absatzmarkt für regionale und ökologische landwirtschaftliche Produkte dar. Dortmund liegt direkt um die Ecke und Essen ist nur 40 Minuten entfernt. Hier sind wir schon mal im ruhr:Hub zugegen und besuchen Veranstaltungen um uns mit anderen Gründern auszutauschen.

Was ist in Datteln einfacher als im Rest der Republik?
Landwirtschaft zu betreiben und trotzdem den Trend des restlichen Ruhrgebiets nicht zu verschlafen, Außerdem liegt Datteln an der Grenze zum Münsterland und ist dementsprechend durch die nahen Metropolen aber auch das ländliche Münsterland geprägt. das ist sehr vielseitig und bietet zahlreiche Möglichkeiten. Sowohl die Industrie als auch die Landwirtschaft sind im Ruhrgebiet tief verwurzelt, hier ist Datteln eine schöner Übergang.

Was fehlt in Datteln bzw. im Ruhrgebiet noch?
Ein Einhorn auf einer Blumenwiese!

Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Ruhrgebiet?
Erstens: Dass es mehr mutige Gründungen gibt und nicht nur in der Technologie, sondern auch in neuen Modellen der Art von Landwirtschaft. Zweitens: Mehr Mut im mittleren Alter. Ein Startup-Gründer muss keine Zwanzig sein, es geht um den Wille was zu verändern. Egal ob im Haupt- oder Nebenberuf. Drittens: Mehr Mut und Selbstwertgefühl, wir müssen uns vor niemanden verstecken.

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.