#Interview

“Nationalstaatliches Denken können wir uns nicht erlauben”

"Europa ist zu fragmentiert. Wenn in China eine Technologie auf den Markt gebracht wird, gibt es dort über einer Milliarde potenziellen Kunden, in Amerika sind es 340 Millionen Menschen. Zudem sind die dortigen Märkte relativ einheitlich", sagt Michael Brandkamp vom HTGF.
“Nationalstaatliches Denken können wir uns nicht erlauben”
Donnerstag, 22. November 2018VonChristina Cassala

Der High Tech Gründerfonds (HTGF) ist seit Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Startup-Szene. Der Seedinvestor kann mit seinem dritten Fonds aktuell  316,5 Millionen Euro investieren. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Michael Brandkamp, Geschäftsführer des High Tech Gründerfonds, über Wachstumsphasen, nationalstaatliches Denken und Regularien.

Ist es für deutsche Startups weiterhin schwierig, Wachstumskapital einzusammeln?
Grundsätzlich ja, aber  es ist leichter geworden. Durch das Wachstum der deutschen Venture Capital Szene werden neue Fonds eröffnet und mehr Geld investiert. Das bietet Unternehmen mehr Chancen an Geld zu kommen. Größere Runden von bis zu 10 Millionen Euro sind jetzt durchaus möglich. Positiv ist beispielsweise die Gründung der Tochtergesellschaft der KfW, die das Finanzierungsangebot im Bereich Venture Capital bündeln und erweitern soll.  Darüber hinaus gibt es positive Initiativen der europäischen Union in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Auch hier wird in Fonds investiert und geholfen, diese weiter aufzubauen. Dennoch werden größere Wachstumsphasen meist noch mit internationalen Konsortien gemacht. Das ist nicht per se schlecht, denn dadurch kommt internationales Know-how an Bord. Das hilft und unterstützt beim internationalen Wachstum.

Die Vorstandssprecherin des Bundesverbandes Deutsche Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK), Regina Hodits, mahnt an, dass deutsche Gründer ihre Technologie ins Ausland verkaufen , um Geld zu bekommen. Wie stehen Sie persönlich dazu?
Da ich weiß, dass Regina Hodits global denkt, darf ich ihr hier widersprechen, denn Innovationen sind ein internationales Geschäft. Wir brauchen Technologien und sollten diese nicht nur für den heimischen Markt entwickeln, sondern an internationale Märkte bringen. Für Startups ist es gut, wenn sie frühzeitig international denken. Natürlich ändern sich Gesellschafterstrukturen, wenn internationale Firmen oder Kapitalgeber einsteigen, aber ich sehe das eher positiv. Technologie fließt nicht notwendigerweise ab. Es gibt viele Beispiele dafür, das hiesige Startups als Brücke für das internationale Unternehmen ins europäische Geschäft dienen. Zudem sind wir eine global vernetzte Wirtschaft. Kaum eine andere Nation profitiert von der internationalen Vernetzung.  Auch große deutsche Unternehmen kaufen internationale Technologien und Unternehmen hinzu, um zu wachsen. Nationalstaatliches Denken können wir uns in Deutschland schlichtweg nicht erlauben.

Sind denn die Deutschen innovativ genug, um international Bestand zu haben und für internationale Investoren interessant zu sein?
Die deutsche Wissenschafts- und Innovationslandschaft wird als interessant eingeschätzt und von vielen Investoren geschätzt und geachtet. Ein wichtiger Grund, warum mehr Geld auf den hiesigen Markt fließt. Die Innovationskraft unseres Landes ist eine ganz entscheidende Säule für den Wohlstand unseres Landes. Wir müssen bei den Innovationen immer einen Schritt voraus sein, um weiterhin international Bedeutung zu haben.

Die Szene beklagt sich, dass es nicht möglich ist, ein neues Facebook, Uber etc. aufzubauen. Stimmt das etwa nicht?
Stimmt, wir haben zwar kein Facebook, aber wir haben gute Aussichten, tolle und große Technologieunternehmen aufzubauen. Wir haben hierzulande einen ausgeprägten Mittelstand, der in vielen Bereichen Markt- und Technologieführer zugleich ist. Dort ergeben sich hervorragende Potenziale, beispielsweise beim Thema „Industrie 4.0“. Hier hat Deutschland absolut die Nase vorne!  In Deutschland haben wir Leitmärkte im Automotive, Maschinenbau, Lasertechnologie, Chemie und der Biotechnologie. Das sind zwar keine sichtbaren B2C-Modelle a la Facebook, aber es gibt viele gute Innovationen, die dazu beitragen, unseren Standort zu sichern.

Wird das so bleiben, oder droht Deutschland durch GAFA – Google, Amazon, Facebook, Apple – noch das große Erwachen?
Es ist ein Wettlauf, ja! Der deutsche Mittelstand und die deutsche Industrie muss ihre eigene Innovationsgeschwindigkeit erhöhen. Deswegen unterstützen wir sehr die Zusammenarbeit zwischen Groß und Klein. Beide profitieren voneinander: Die Kleinen können Dinge eruieren und ausprobieren.  Wenn Ideen funktionieren, ist es gut, sich mit den Großen zusammenzuschließen. Eine gute Symbiose ist aufgrund der Innovationsdynamik sehr wichtig und relevant. Immer mehr Unternehmen erkennen das und beginnen, sich für Startups zu interessieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Fördersummen in Deutschland und jenen im Ausland. Besteht überhaupt Grund, zu jubeln?
Zunächst: In der Venture Capital Szene passiert ja eine Menge. Aber  trotz des guten Wachstums wächst der Abstand zu den USA. Dort wird deutlich mehr investiert. Allerdings: Wenn wir jetzt beginnen würden,  Unmengen von Geld in den Markt zu pumpen, würde es zu Fehlerallokationen kommen! Geld ist nicht der einzige Engpass.

Warum fällt es Deutschland so schwer, das Tempo der USA oder auch Asiens mitzugehen?
Europa ist zu fragmentiert. Wenn in China eine Technologie auf den Markt gebracht wird, gibt es dort über einer Milliarde potenziellen Kunden, in Amerika sind es 340 Millionen Menschen. Zudem sind die dortigen Märkte relativ einheitlich. Unternehmen können daher viel größere Finanzierungsrunden einwerben, um diesen großen Märkte offensiv zu adressieren. In Europa hingegen haben wir Förderprogramme, die sich  auf Landesgrenzen bzw. manchmal sogar nur auf Bundesländer beziehen. Unterschiedliche Regularien, die in den unterschiedlichen  europäischen Ländern bestehen, erschweren die Finanzierung von Start-ups. Zudem brauchen wir mehr sichtbare Börsengänge, aber die Landschaft ist auch hier zu fragmentiert. Jedes Land hat eine eigene Börse, so dass viele börsennotieren Unternehme zu wenig Aufmerksamkeit von Investoren erhalten. Wir sollten heute schon mit Cross-Border Deals beginnen, um Start-ups als europäische Unternehmen auszusetzen. Damit können wir Nachteile im Vergleich zu Märkten wie Asien oder den USA vermindern!

Wer sollte der Impulsgeber für diesen Prozess sein?
An erste Stelle Investoren, die ihre Fonds europaweit aufsetzen; an zweiter Stelle auch die Politik und jene, die Förderprogramme stricken. Frankreich geht hierbei mit gutem Beispiel voran. In Sachen grenzüberschreitende Investitionsmöglichkeiten ist unser Nachbarland sehr viel weiter als wir. Ich glaube, dass dabei die großen deutschen Städte wie Berlin, Hamburg oder München ihre Bedeutung als Magneten für Startups erhalten. Sie werden auch im europäischen Kontext Zugpferde in einem agilen Investment-Markt bleiben.

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Foto (oben): HTGF

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.